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Kultur: Kunstvisite im Klinikum

Lungenzentrum inszeniert sein einjähriges Bestehen mit einer Ausstellung von Chris Hinze

Aller Voraussicht nach ist die Eisskulptur vor dem Haupteingang des Klinikums Ernst von Bergmann inzwischen Geschichte. Die kantigen Gesichtszüge des Kopfes, den der Künstler Chris Hinze in einer spektakulären Live-Performance unter Einsatz von Kettensäge und Feuer aus einem mannshohen Eisblock herausarbeitete, hielten dem milden Winterwetter nicht allzu lange stand. Der Kaufpreis für die dahin geschmolzene Eisskulptur soll indessen auf Nachfrage noch zu erfahren zu sein. So jedenfalls lässt es die Preisliste zur kürzlich eröffneten Ausstellung Chris Hinzes auf der Station D4 verlauten. Hier, in den Fluren des vor einem Jahr entstandenen Lungenzentrums, sind nun 35 Malereien, Grafiken sowie Holz- und Bronzeskulpturen des Malers, Bildhauers und Musikers zu sehen. Oberarzt Dr. Hans-Georg Gnauk hat sie für einige Wochen ins Haus geholt, um das anerkannte Spezialistenzentrum für Lungenkrankheiten erneut mit einem anderen Geist zu beleben.

Bereits zur Eröffnung vor einem Jahr hatte der kunstsinnige Arzt Malerei von Rayk Goetze in den Fluren der D4 präsentiert. Das einjährige Bestehen des hoch spezialisierten Lungenzentrums gab nun den Anlass, um den Blick gezielt auf das Klinikum zu lenken und mittels Kunstinszenierung allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen.

Kunst im Krankenhaus ist von der Sache her zunächst einmal ein löblicher Gedanke. Könnte sie doch im Idealfall für Patienten, Personal und Publikum zur Augenweide und damit auch zum potentiellen Stimmungsaufheller werden, um Krankheit und Alltag besser zu bewältigen. Nun ist die Wirkung von Kunst nur schwerlich messbar, fraglich von daher, ob sie im Krankenhauskontext auch als ästhetisches Therapeutikum und Stimulanz taugt. Zumal wenn sie – wie im Falle der aktuellen Ausstellung – eher sperrig und insgesamt wenig erbaulich daherkommt.

So manch einer der überwiegend männlichen Patienten auf der Station hätte sich statt der „ollen Krücken“ (Kommentar eines Patienten mit Blick auf Hinzes Holzskulpturen) dann doch eher einen wohlproportionierten Frauenakt gewünscht. Und auch bei den Schwestern scheint die gezeigte Kunst eher auf Unverständnis zu stoßen. Ein gequältes „Für so wat ham wa keene Zeit“ oder ein kopfschüttelndes „Nun is ja die janze Sicht weg!“ angesichts der vor einem Panoramafenster pendelnden Leinwände sind zumindest deutliche Worte.

Kunst im Klinikum als soziales Experiment? Dass man es bei den Arbeiten, die Chris Hinze unter dem Motto „Begegnung“ für die Ausstellung auswählte, überwiegend mit Gesichtern, Masken, Kriegern oder Tänzern zu tun bekommt, wird sich nicht jedermann zwangsläufig erschließen. Ebenso wenig, was es mit dem vorübergehend zum Kunstraum mutierten Bereich mit ausgestreutem feinen Sand auf sich hat. Hier verströmt eine aufgerichtete Bronzefigur in einer Barke von einem Sockel aus die Aura eines Denkmals. Die Frage, ob ein Betreten dieser Kunstzone erwünscht ist oder nicht, muss sich jeder selbst beantworten. Eine an der Wand abgestellte Gartenharke, mit der jemand den Sand in geordnete Bahnen gelegt hat, sorgt in jedem Falle auch ohne viel Worte für gewissen Respekt.

Neben dem „Kolossalkopf“ aus Sandstein erinnert ein vergessenes Sektglas an den Glamour der gut besuchten Vernissage. Nach der Performance von Chris Hinze zum Auftakt, die unter Mitwirkung von Tilman Fürstenau am Cello und Lars Neugebauer am Schlagzeug auf zwei illuminierten Bühnen mit anschließendem üppigen Buffet und feierlichen Reden alle Kriterien eines publikumswirksamen Events erfüllte, herrschte auf den Fluren des Lungenzentrums einen Abend lang das pralle Leben.

Doch längst ist der Alltag wieder auf Station eingekehrt. Kunstbetrachtung findet hier zwangsläufig im Getriebe zwischen Krankenhausbetten und Arzneiwagen statt. Der Geruch von Desinfektionsmitteln mischt sich unter den schwarz-weiß-rot dominierten Farbdreiklang der in niedrige Wandflächen und enge Flure implantierten Leinwände, Grafiken und Skulpturen. Soviel ist sicher: Der rote Bronzeengel wird das Lungenzentrum nicht mehr verlassen. Er bleibt als Wächter über die Station und lädt ein zur Begegnung, notfalls auch ohne Krankenhauskunst.

Die Ausstellung im Lungenzentrum (Station D4) endet am 14. März und ist täglich zugänglich. Klinikum Ernst von Bergmann, Charlottenstr. 72.

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