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Das aktuelle Leitungs-Duo der Berlinale: Mariette Rissenbeek geht Ende März 2024, ob Chatrian bleibt, in anderer Position, ist vorerst offen. 

© picture alliance/dpa/Jens Kalaene

Künftig wieder mit Intendanz: Berlinale zurück auf Los

Das Filmfestival soll nicht mehr von einer Doppelspitze geleitet werden, beschloss der Aufsichtsrat unter Claudia Roth. Alles in einer Hand? Zu Dieter Kosslicks Zeiten wurde das zunehmend kritisiert. Jetzt soll es die Lösung sein.

Vor vier Jahren wurde die Doppelspitze eingeführt, jetzt wird sie wieder abgeschafft: Die Berlinale bekommt eine neue Leitungsstruktur nach dem Intendantenmodell. Das heißt, dass wie zu Zeiten von Festivalchef Dieter Kosslick die Berlinale von einer Person geleitet werden soll. Dies gab der Aufsichtsrat der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin (KBB) unter Leitung von Kulturstaatsministerin Claudia Roth am Donnerstag bekannt.

„Künstlerische Entscheidungen, Wirtschaftlichkeit, Filmmarkt und internationale Bekanntheit“ sollen in einer neuen Struktur abgebildet werden, heißt es in einer Mitteilung. „Die notwendigen Entscheidungen zur Modernisierung der Berlinale, zur Zukunftssicherung und Nachhaltigkeit sollten wieder in einer Hand liegen.“

Auch soll zügig eine Findungskommission eingesetzt werden, um einen neuen Intendanten oder eine Intendantin zu finden. Carlo Chatrian, der jetzige Künstlerische Leiter, habe sich bereit erklärt, mit dieser Person dann „in konstruktive Gespräche über eine künftige Rolle im neuen Team der Berlinale einzutreten“. Er wird jedenfalls nicht der künftige Intendant sein. Das kommt einer deutlichen Absage an den 51-jährigen Italiener gleich.

Schon länger wurde gemutmaßt, dass die Doppelspitze mit Chatrian und Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek nicht sonderlich eng kooperiert, sondern seit ihrem Amtsantritt im Sommer 2019 eher nebeneinanderher arbeitet. Lag es an der Governancestruktur oder an der Besetzung, dass das Tandem-Modell sich nicht bewährt hat? Der Aufsichtsrat befand offenbar ersteres.

Die Rückkehr zur Ein-Personen-Spitze mit einem beigeordneten Team ist dennoch erstaunlich. Denn in der von 2001 bis 2019 währenden Ära des in der Branche, bei Sponsoren wie beim Publikum beliebten Dieter Kosslick war der Ruf nach einer Ämtertrennung zwischen geschäftlicher und künstlerischer Leitung immer lauter geworden. Der Job ist zu groß für einen allein, hieß es regelmäßig. Wer sich um Filmschaffende aus aller Welt bemüht, hat kaum genügend Zeit, um die Spielstätten klarzumachen und auch noch Sponsoren zu umwerben. Und bereits Kosslick war ein hochrangiges Team beigesellt, mit Mitarbeitenden, die sich um die Sponsoren kümmerten, ums Finanzielle oder ums Programm.

Macht die Berlinale also eine Rolle rückwärts und kehrt zu früheren Strukturen zurück? Oder gerät das Festival noch mehr ins Schlingern, seit klar ist, dass Mariette Rissenbeek ihren im nächsten Frühjahr auslaufenden Vertrag nicht verlängern wird. Und Chatrians Vertrag wird in der bisherigen Form offenbar seitens der Kulturstaatsministerin nicht verlängert.

Die Rede ist aus dem Hause Roth von einer Stärkung des „größten Publikumsfestivals der Welt“. Stärkung? Roth lässt die wegen Kostensteigerungen, Inflation und krisenbedingter Zurückhaltung der Sponsoren in finanzielle Nöte geratene Berlinale alleine, der Zuschuss seitens des Bundes (10,7 Millionen Euro, ein gutes Drittel des Budgets) wird nicht erhöht. Im Juni gab das Festival bekannt, es werde das Programm deshalb kürzen, und insbesondere die Nebenreihen Perspektive Deutsches Kino und Berlinale Series streichen.

Die Berlinale-Leitung protestierte nicht, suchte keine Verbündeten in der Branche, niemand ging auf die Barrikaden. Im Gegenteil, Rissenbeek und Chatrian erklärten die Finanznot zur willkommenen Gelegenheit, um das Profil der Filmfestspiele zu schärfen.

Eine derart „profilierte“ und verkleinerte Berlinale wird künftig kaum noch den Titel „weltgrößtes Publikumsfestival“ tragen. Das in wenigen Tagen startende Filmfest Toronto hat zwar keinen Wettbewerb und keinen Filmmarkt, dürfte Berlin aber bei der Anzahl der Zuschauer:innen den Rang ablaufen.

Schon als Rissenbeek bekannt gab, dass sie ihre Amtszeit im März 2024 beenden wird, drängte die Zeit. Die Leitung eines großen internationalen Filmfestivals ist schwer zu besetzen, dass Roth sich bis jetzt Zeit genommen hat, um die Strukturfrage zu klären, grenzt an Fahrlässigkeit. Bei der in einer Metropole ausgetragenen Berlinale mit der Trias von Riesenpublikum (320.000 Ticketverkäufe in diesem Jahr), Filmmarkt und Wettbewerb handelt es sich auch als Doppelspitze um eine herausfordernde Personalie. Und erst recht, wenn nun wieder ein Multitalent gefragt ist, eine Filmexpertin oder -Experte mit Geschäftsführungs- und möglichst auch Berlin-Expertise. Vor der vielbeschworenen Stärkung, gar einem Neustart, liegt erstmal diese gewaltige Besetzungshürde.

Die Zeit drängt also noch mehr. Ob Chatrian und die künftige Intendanz sich einig werden, ist äußerst fraglich. Sollte er nicht, quasi degradiert, ins künftige Team einsteigen, wird unter anderem auch ein Kuratorenposten zu besetzen sein.

Zur Berlinale gehörte schon immer der Festivaltrubel. Angesichts der aktuellen Turbulenzen um das Festival selbst sorgt man sich jedoch darum, ob es bei soviel Wirbel nicht großen Schaden davonträgt.  

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