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Zu Tisch. Detail der Inszenierung des letzten Essens Wilhelms II. mit der Kaiserin und Prinz Oskar im Apollosaal des Neuen Palais – mit Porzellan aus dem Exil in Doorn.

© J. Kirschstein

Kultur in Potsdam: Küche und Herz in kriegerischen Tagen

Am 29. Oktober 1918 tafelt die Kaiserfamilie letztmals im Neuen Palais. Draußen tobt derweil der Hunger.

Der Berliner Scherl Verlag warb 1915 für ein Kochbuch mit dem Titel „Des Vaterlands Kochtopf“, das „allerlei Rezepte für Küche und Herz in kriegerischen Tagen“ versprach: „Die Küchenfrage ist jetzt eine Bewaffnungsfrage geworden, um dem englischen Aushungerungsplan wirksam zu begegnen.“ Die Kochergebnisse beschrieb ein Zeitzeuge mit drastischen Worten: „stinkende Graupensuppe, ungewürzte Salzwasser-Reissuppe, saure Pflaumen mit Wassernudeln ohne Zucker“.

Ob das deutsche Kaiserpaar und seine Familie, die zumeist in Potsdam residierten, das Kochbuch kannten, ist ungewiss, vermutlich sogar ausgeschlossen. Im Potsdamer Neuen Palais hat man auch am 29. Oktober 1918 eine festlich gedeckte Abendtafel für Kaiser Wilhelm II. und Kaiserin Auguste Victoria hergerichtet, diesmal mit drei Gedecken. Zu Gast ist Prinz Oskar, Sohn Nummer fünf des Paares. Es wird das letzte Abendessen für den Kaiser in seinem Potsdamer Residenzschloss sein. Sein nächster Weg führt ihn in das Militärhauptquartier ins belgische Spa und wenig später ins Exil nach Holland.

In der Sonderausstellung „Kaiserdämmerung“ im Neuen Palais sollen die Besucher nun in das kaiserliche Alltagsleben am Ende des Ersten Weltkrieges zurückversetzt werden. Dafür wurde eine Tafel mit jenem Geschirr hergerichtet, das vermutlich bereits vor 100 Jahren, an jenem Abend im Oktober 1918, auf dem Tisch stand. Edel das Porzellan, die Gläser und das Besteck.

Das Museum Huis Doorn in Holland, das als Exilort für Wilhelm II. und Auguste Victoria diente, hat für den Aufbau Tafelsilber und Porzellane mit dem Signet „W“ der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin (KPM) als Leihgaben nach Potsdam geschickt. Die Reichsregierung gestattete dem Ex-Monarchen, neben Kunstwerken kostbare Gebrauchsgegenstände wie diese mit nach Doorn mitzunehmen. Auch die Wandschränke des Anrichtezimmers wurden anlässlich der Sonderausstellung seit 1918 erstmals wieder mit KPM-Porzellan gefüllt. Es schlummerte bislang im Depot der Schlösser-Stiftung.

Bei großen diplomatischen Empfängen wurde in der festlichen Marmorgalerie gespeist. Die familiären Abende wie der im Oktober 1918 fanden in der Regel aber im Apollosaal statt. Die Speisen wurden im angrenzenden Anrichtezimmer zum Servieren vorbereitet. Von dort gelangte man durch eine Tapetentür in das Esszimmer des Kaiserpaares. Über eine „Dienertreppe“ ging es in das Kellergeschoss, in dem beheizte Metallschränke die Gerichte warmhielten. Denn schließlich kamen sie aus der Hauptküche, die sich im Commun-Gebäude I befand. Von dort wurden sie durch einen unterirdischen Gang in das Neue Palais gebracht.

Jörg Kirschstein, der Kurator der Ausstellung, hat bei seinen umfangreichen Recherchen herausgefunden, dass 1890 acht Köche, ein Bäckermeister, zwei Bratenspicker, drei Küchendiener, vier Küchenfrauen sowie zwei Eleven für die Versorgung des Kaiserpaares und seiner Familie tätig waren. In der Folgezeit wurde das Küchenpersonal sogar erheblich aufgestockt. Nur erlesene Speisen und Weine kamen auf den Tisch. So servierte man zum 50. Geburtstag von Auguste Victoria am 22. Oktober 1809 unter anderem Steinbuttschnitten auf Königliche Art, Lammcoteletten, Wachteln, Esterhazy-Bombe und Obst. Für die umfangreich angestellte Dienerschaft wurde ein externer Gastronom bestellt, der „für die Übernahme der Ausspeisung der kaiserlichen Hofdienerschaft“ verantwortlich zeichnete.

Vom „Steckrübenwinter“ in den Jahren 1916/17 werden die Hofangestellten geschweige das Kaiserpaar kaum etwas mitbekommen haben, von den Nöten des Hungers blieben sie verschont. Aber die Untertanen im Land waren davon stark betroffen. Auslöser war eine schlechte Kartoffel- und Weizenernte. Als Ersatz verfiel man auf die Steckrüben, die in besseren Jahren an Schweine verfüttert wurden. Die Verteilung von Brotmarken sollten jedoch Linderung schaffen. Je länger der Erste Weltkrieg anhielt, desto mehr verschlechterte sich die Versorgungslage der Bevölkerung. Man schätzt, dass zwischen 1914 und 1918 rund 800 000 Menschen in Deutschland an den Folgen des Hungers starben.

„Kaiserdämmerung – das Neue Palais 1918 zwischen Monarchie und Demokratie“, bis zum 12. November im Neuen Palais

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