zum Hauptinhalt
Sofia, mon amour. Alexis Weissenberg, 26. Juli 1929 – 8. Januar 2012. Foto: Ullstein

© ullstein bild

Kultur: Kristall und Seelenfäden

Unterm gläsernen Panzer: Zum Tod des Meisterpianisten Alexis Weissenberg.

Seine Homepage ist ganz in Schwarz- Weiß gehalten, was erwartet man von einem Pianisten, noch dazu von einem der Großen des 20. Jahrhunderts. Ein grafisch strenger, stiller Internet-Auftritt, in jeder Beziehung ohne Schnörkel, fast spartanisch. Wer aber genau hinschaut (und in Alexis Weissenbergs Plattenaufnahmen genau hinhört!), wird belohnt, denn Witz, Selbstironie und Schönheitssinn funkeln hier oft im Verborgenen, im Detail. So zeigt die Bilderleiste den kleinen Alexis nicht nur in weißen Kniestrümpfen am Klavier, sondern auch hemmungslos heulend vor der Kamera. Andere Fotografien geraten förmlich zu Metaphern: Wenn der Pianist am Flügel steht und der Lichtkegel mehr den leeren Klavierhocker beleuchtet als ihn; oder jenes Bild eines Rezitals, auf dem der Solist so verloren wirkt, als würde der Publikumsschlund ihn sich im nächsten Augenblick einverleiben. Jonas und der Wal.

Diese Galerie, lässt Weissenberg verlauten, sei Teil einer privaten Sammlung und auf keinen Fall zur Veröffentlichung bestimmt. Auch die, die ihn mit prominenten musikalischen Wegbegleitern zeigen, mit Herbert von Karajan, der ihn liebte, mit Anne-Sophie Mutter, Carlo Maria Giulini und Seiji Ozawa. Viele der Bilder sind winzig wie Briefmarken, die Konterfeis kaum zu identifizieren. Als wäre dieser Teil des Weissenberg’schen Lebens früh entrückt, Teil der Musikgeschichte. Ein Künstler verschwindet.

Alexis Weissenberg wird 1929 im bulgarischen Sofia in eine jüdische Familie hineingeboren, seine erste Klavierlehrerin, mit drei Jahren, ist seine Mutter, ihr folgt, wie er in seinem so amüsant wie bewegend zu lesenden Essay „The Award“ berichtet, ein Zahnarzt. Sein Konzertdebüt gibt er mit zehn, auf dem Programm steht neben Bach und Beethoven eine eigene Etüde. Komponieren wird Weissenberg sein Leben lang, auch darin eine Ausnahmeerscheinung: Jazziges (unter dem Pseudonym „Mister Nobody“), ein Musical für Darmstadt, ein Songspiel.

1941 flieht die Familie unter dramatischen Umständen aus einem bulgarischen KZ über die Türkei nach Israel, von 1946 bis ’49 studiert Weissenberg an der New Yorker Juillard School bei Wanda Landowska und Artur Schnabel. 1947 nimmt er auf Anraten von Vladimir Horowitz am Leventritt-Wettbewerb teil – und gewinnt. Die große Karriere aber startet er erst Mitte der sechziger Jahre, nach einer zehnjährigen schöpferischen Krise und Schaffenspause. Weissenberg gilt vielen Kritikern zu Unrecht als „Technokrat“: So kristallin sein Ton, so makellos seine Technik, so kalt ließ er viele. „Seelenlos“ seien seine Goldberg-Variationen, „glanzlackversiegelt“ sein Chopin, selten mehr als „kalkuliert“ sein Blick auf Rachmaninow, Schumann, Beethoven.

Die Erklärung für diesen gläsernen Panzer sah Weissenberg selbst in seiner slawischen Herkunft und Mentalität: „Ich bin launisch, sehr sentimental und sehnsüchtig. Die Ursache ist das Land, das man vermisst, (...) Sehnsucht kann für einen Künstler gefährlich werden, weil sie leicht außer Kontrolle geraten kann. Sie kann einen zerreißen.“

Im Studio konnte Weissenberg sich vor solchen Zerreißproben weit besser hüten als auf dem Podium. Belege dafür finden sich vor allem in seiner Referenz-Einspielung der Rachmaninow-Préludes oder seiner hoch dekorierten Arbeit mit Karajan (bei Tschaikowsky und Beethoven). In den Achtzigerjahren zog Weissenberg sich wegen einer Parkinson-Erkrankung aus dem aktiven Konzertleben zurück. Wer nicht das Glück hatte, ihn live erleben zu können, dem sei der Mitschnitt eines Klavierabends bei den Schwetzinger Festspielen 1972 empfohlen (2011 bei Hänssler erschienen). Ein Chopin-Programm, von der dritten Sonate bis zur f-Moll-Ballade, in dem sich der Bulgare als exzentrischer, himmelstürmerischer Freigeist entpuppt: Seelenfäden spinnt er, Nervenstränge legt er frei, in Abgründe schaut er, auch in die eigenen. Am 8. Januar ist Alexis Weissenberg 82-jährig in Lugano gestorben. Christine Lemke-Matwey

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false