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Ernst Ludwig Kirchner, „Badende Frauen und Kinder“, 1925/32, Öl auf Leinwand.

© Galerie Henze & Ketterer

Köpfe und Körper: „Die Brücke und ihre Modelle“ in der Galerie Henze & Ketterer

Die renommierte Baseler Galerie stellt Ernst Ludwig Kirchner ins Zentrum einer Ausstellung über den expressionistischen Akt.

Berühmt sind die „Viertelstundenakte“, die Ernst Ludwig Kirchner aufs Papier bannte: jeweils fünfzehn Minuten für eine Körperhaltung des Modells. Da musste die Zeichnung sitzen, und Korrekturen waren kaum möglich, auf jeden Fall aber verpönt. Die Frische des unmittelbaren Eindrucks galt es zu bewahren, ganz gegen das Studium an der Akademie, wo in unablässiger Wiederholung Proportionen gelehrt und eingeübt wurden.

Kirchner ist der Mittelpunkt einer jeden „Brücke“-Ausstellung. Das ist auch in der renommierten Galerie Henze & Ketterer so, in deren Basler Dependance aktuell der „Brücke und ihren Modellen“ gehuldigt wird. Kirchners Fähigkeit, mit wenigen Strichen eine Situation, eine Landschaft, ein Modell zu erfassen und bei aller Abbreviation wirklichkeitsgetreu festzuhalten, macht ihn zum primus inter pares der Künstlergemeinschaft, die 1905 in Dresden zusammenfand und in kürzester Zeit zum Zentrum der Erneuerung der Kunst in Deutschland reifte.

Eine rundum museumswürdige Ausstellung

Die rundum museumswürdige Ausstellung unter dem Obertitel „Momente der Begegnung“ beschränkt sich ganz auf Porträt und Akt; die Landschaft, der andere Schwerpunkt der „Brücke“-Kunst, und die Stadt, die bei Kirchner für eine kurze Schaffensphase dominiert, bleiben unberücksichtigt. Wie es dem Nachlass Kirchners entspricht, stammt die Mehrzahl der gezeigten Arbeiten dem Spätwerk, als Kirchner nahe Davos mit seiner Lebensgefährtin und späten Ehefrau Erna Schilling lebte. Um so stärker fallen frühe Blätter wie die „Badenden an den Steinen“ aus dem Feriendomizil auf Fehmarn im Jahr 1912 ins Auge, eine Tuschfederzeichnung, die kompositorisch den Ölgemälden dieses Aufenthalts vorangeht, oder die Bleistiftzeichnung des „Stehenden nackten Mädchen an der Küste“ vom Jahr darauf.

Erich Heckel hat im selben Jahr 1912 „Frauen am Strand“ festgehalten und als Radierung verarbeitet, wie zuvor schon die „Ballspielenden“ als Holzschnitt 1911, wohl von den unbeschwerten Stunden an den Moritzburger Teichen bei Dresden. Noch ein weiteres Jahr früher schuf er „Kind und nackte Frau“, eines der wenigen Ölgemälde, die die derzeitige Ausstellung akzentuieren; auf der Rückseite – die „Brücke“-Künstler waren knapp bei Kasse – eine Landschaftsdarstellung. Dargestellt ist Heckels Freundin und bald Ehefrau Siddi Riha in all’ ihrer ausgeprägten Körperlichkeit. Otto Mueller, der erst später zur „Brücke“ stieß und immer der artifiziellste der Künstlergruppe blieb, ist mit der Lithographie eines „Mädchens auf dem Kanapee“ von 1922 vertreten.

Kirchner suchte eine neue Monumentalität

Kirchners Stil wandelt sich in der Schweiz und gelangt in den 1920er Jahren nach und nach zu einer eigenen Ausprägung von Sachlichkeit. Besonders seinen dreißig Jahre älteren Frankfurter Galeristen Ludwig Schames hat der Künstler mehrfach dargestellt, so 1918 in einem Holzschnitt geradezu als professoralen Gelehrten. Umgekehrt hat er seinen zwanzig Jahre jüngeren Schüler Rudolf Wehrlin 1926 als tastenden Jüngling in Öl gefasst; das Gemälde übrigens seinem langjährigen Sammler und frühen Förderer der „Brücke“, Gustav Schiefler in Hamburg, gewidmet.

Um diese Zeit suchte Kirchner eine neue Monumentalität, beschäftigte sich auch gedanklich mit Wandbildprojekten. In diesem Zusammenhang könnte die wohl ausgewogene Gruppe „Badende Frauen und Kinder“ von 1925 stehen, die er 1932 überarbeitete. Da rückt in der Ausstellung plötzlich ein Holzschnitt von Emil Nolde in den Blick, „Doppelbildnis“ von 1937 und wie zum Kontrast ganz mit der Kraft des alten Expressionismus. Nolde hatte bekanntlich viele Jahre zuvor die ihm angetragene „Brücke“-Mitgliedschaft abgelehnt, steht der einstigen Vereinigung hier aber stilistisch noch immer sehr nahe.

Kirchner ist da längst in anderen Gefilden und stilisiert die Köpfe derer, die er portraitiert; nur scheinbar abgeschieden in seiner Davoser Bergwelt. Dass er mit seinen monumental angelegten Kompositionen keine Resonanz mehr finden konnte, wie mit den „Drei Akten im Walde“ als Farbholzschnitt von 1933, bezeichnet die Tragik seines Lebens, dem er 1938 ein allzu frühes Ende setzte.

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