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Die norwegische Solistin Tine Thing Helseth

© Paul Marc Mitchell / EMI Classics

Konzert im Potsdamer Nikolaisaal: Lebensfreude pur: Sinfonischer KAP-Saisonauftakt

Dazwischenliegendes entdecken: Das hat sich die Kammerakademie Potsdam mit ihrem Spielzeitthema „Übergänge“ vorgenommen. 

Das Leben ist voller Überraschungen. Veränderungen inklusive. Auch in der Musik. Wer etwas Zukunftsweisendes anstrebt, indem er Konventionen sprengt, wird sich meist an Überliefertes erinnern und zur Inspiration nutzen. Gustav Mahler bringt es auf den Punkt: „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers“. Was auch bedeutet, Dazwischenliegendes zu entdecken.

Genau dies hat sich auch die Kammerakademie Potsdam mit ihrem Saisonthema „Übergänge“ vorgenommen. Zum sinfonischen Start am Samstag im ausverkauften Nikolaisaal wird sie bei ihrer speziellen „Transformationen“-Suche bei Edward Elgar, Joseph Haydn und Johannes Brahms fündig. Für die Entdeckungsreise ist der 58-jährige britische Dirigent Paul McCreesh engagiert. Der Cellist hat das Alte-Musik-Ensemble Gabrieli Consort & Players gegründet und als Gastdirigent auch ein Faible fürs klassisch-romantische Standardrepertoire entwickelt.

Imperialer Glanz

Und so setzt er an den Beginn des reizvollen Abends mit der Streicherserenade e-Moll op. 20 ein Werk seines Landsmannes Edward Elgar, der um 1900 die englische Musik aus zweihundertjährigem Dornröschenschlaf erweckt hat. Und zwar mit Einflüssen aus überlieferter Volksmusik und jenem imposanten Epochengefühl von britannischer Größe, imperialem Glanz und Glamour. Aus wisperndem, kurz gehaltenem Saitengeflüster entwickelt sich ein balladenartiges Thema, das breit und in großer Ruhe dahinströmt. Herrlich gelöste Aufschwünge, pointierte Akzente, beschwingte Leidenschaft und dynamische Feinstarbeiten zeichnen den ersten Satz mit seinem heiteren Serenadenton aus. Elegisches Fließen voller Wärme und ganz schlank gehaltener klanglicher Wollust bestimmen dagegen das in irisierenden Farbspielen sich ausbreitende Larghetto. Die Streicher wissen schwelgerisch atmende Töne zu erzeugen, die knospengleich aufspringen und glanzvoll erblühen. Rundum gute Laune verbreitet ebenfalls das abschließende Allegretto, klanglicher Widerschein eines spätsommerlichen Sonnentages.

Publikumsjubel für barfüßige Trompeterin

Für die um 1793 erfundene Klappentrompete komponiert Haydn drei Jahre später sein Es-Dur-Konzert. Es gilt bis heute als das Standardwerk für die Trompete, wird mittlerweile fast nur noch auf der Ventiltrompete geblasen. So auch von der norwegischen Solistin Tine Thing Helseth: Zupackend, glänzend und strahlkräftig bis in höchste Höhen. Zwecks urwüchsiger Bodenhaftung betritt sie barfüßig das Podium, blättert per Tablet-Klick durch die Noten. Die sie zupackend bis federnd begleitenden Musiker müssen dagegen ihre Spielvorlagen noch analog umblättern. Helseths faszinierende Intonation, ihr schier endloser Atem für weite Bögen, ihre (nicht immer ganz sauberen) Trillerketten und mühelosen Staccati zwischen turbulentem Treiben und pastoralem Empfinden machen staunen und sorgen für Publikumsjubel. Der schwillt auch nach der von mitreißenden Schwung getragenen Wiedergabe der Brahms-Serenade Nr. 1 D-Dur op. 11 gewaltig an. Derb und deftig wie auf einer Kirmes geht es da zu, dann wieder sorgen schattierungsreiche Farbenspiele für besinnliche Stimmungen oder tänzerisch Beschwingtes von allen Saiten und aus allen Rohren für Lebensfreude pur. 

Das nächste Sinfoniekonzert im Nikolaisaal findet am 13. Oktober um 19.30 Uhr mit dem Brandenburgischen Staatsorchester unter Leitung von Jonathan Stockhammer statt.

Peter Buske

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