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Die Musikerinnen des iranischen Mahbanoo-Ensembles. Links im Bild die Tar-Spielerin Shiva Ahmadisepehr.

© Farhad Bazazian

Iranische Musikerinnen beim Musikfest Berlin: Persien singt

Zum Jahrestag des Tods von Mahsa Amini wird an zwei Musikfest-Abenden traditionelle persische Musik aufgeführt. Seit jeher ist sie reich an politischen Untertönen.

Sie dürfen Instrumente spielen, öffentlich singen dürfen sie seit der Islamischen Revolution nicht. Sie erheben trotzdem ihre Stimmen, so wie sie es sich nicht mehr nehmen lassen, ihre Kopftücher abzuziehen: Frauen und Musik, im Iran ist das eine ganz besondere Geschichte.

Denn es gibt sie, allen Verboten zum Trotz: reine Frauen-Ensembles sowie gemischte Formationen, auch mit Sängerinnen, die mit traditioneller persischer Musik nur vor Frauen auftreten dürfen oder im Ausland konzertieren. Das Mahbanoo-Ensemble ist eines davon, es existiert seit zwölf Jahren. An diesem Samstagabend ist es im Rahmen des Berliner Musikfests bei einem der beiden Persischen Abende im Kammermusiksaal der Philharmonie zu Gast.

Dass die erste größere Auslandstour seit Jahren, mit weiteren Auftritten in Bremen, Hamburg oder München, das Ensemble exakt am Jahrestag des gewaltsamen Todes der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini und damit des Beginns der jüngsten iranischen Protestbewegung nach Berlin führt, ist eigentlich Zufall. Das Musikfest bemerkte die symbolträchtige Datierung der beiden Persischen Abende – am heutigen Freitag stehen west-östliche Begegnungen und eine Uraufführung der mit Mikrotonalität spielenden Komposition „My Persia“ von Wolfgang von Schweinitz auf dem Programm – erst nach der Zusammenstellung der Festivaltermine. Dass sie eben jetzt stattfinden, hätte sich nicht trefflicher planen lassen.

Gegründet von dem Komponisten und Tar-Spieler Majid Derakhshani, besteht das Mahbanoo-Ensemble inzwischen aus fünf Musikerinnen, die gemeinsam mit Derakhshani zum festen Kern gehören und mit wechselnden Gästinnen aus dem Ausland konzertieren. Dass Derakhshani als einziger Mann mit Frauen die Bühne teilt, rief 2014 die Behörden auf den Plan, nachdem mehrere Videos der Gruppe viral gingen und auf neun Millionen Klicks kamen.

Denn die Mahbanoo-Frauen beherrschen nicht nur Instrumente wie die Tar, die Oud, die Qanun, die Kamantsche oder die Daf – persische Lauten, die iranische Zither, die Stachelgeige und die Rahmentrommel –, sondern sie singen auch dazu. Im Video „Jane Ashegh“ stimmen sie einzeln oder gemeinsam lyrische und tänzerische Weisen an, mit ansteckender Leidenschaft und kecken Glottisschlägen versetzt. Ein zweijähriges Berufs- und Ausreiseverbot wurde verhängt, Derakhshani lebt heute in Hamburg.

Eine der Mahbanoo-Spielerinnen ist Shiva Ahmadisepehr, Jahrgang 1989. Sie spielt die Oud, die Kurzhalslaute, gehört zu den Gründungsmitgliedern und Managerinnen des Ensembles. Wir treffen uns per Videocall, als Übersetzerin ist Bahar Roshanai von der Körber-Stiftung zugeschaltet, die die Konzertreihe mit organisiert. Bereitwillig erläutert Ahmadisepehr der Westlerin den Namen des Ensembles. „Mah“ wie Mond, „Banoo“ wie Dame. Im Persischen ist der Mond ein Sinnbild für Schönheit.

Die Oud-Spielerin Shiva Ahmadisepehr ist Gründungsmitglied des Mahbanoo-Ensembles.

© Farhad Bazazian

Ahmadisepehr verliebte sich als Zehnjährige unsterblich in die Oud, als sie sich in der Schule für ein Instrument entscheiden sollte und sie erstmals einem Oud-Spieler lauschte. Ihre Eltern waren fast etwas enttäuscht, sie hatten in der Tochter eine künftige Pianistin gesehen. „Heute gehört die Oud zu mir, als sei sie mein eigenes Kind. Sie ist meine ständige Begleiterin, bringt meine seelischen Empfindungen zum Ausdruck. Ob Wut oder Trauer, sie ist ein Brennglas für meine Gefühle.“

Die Musikerin erzählt auch, dass sie in der Pandemie nur alleine zu Hause spielen oder unterrichten konnte. Sie freut sich ungemein, dass es wieder losgeht und sie wieder vor Publikum auftreten können. Der Hintergrund: Nach dem Tod von Amini gingen Musikerinnen im Iran nicht mehr auf die Bühne, ein stiller Protest, ein Zeichen der Trauer. Umso mehr nutzten sie Parks oder Straßen, um den Protest durch Musik und Ausdruck zu bringen.

Shiva Ahmadisepehr muss vorsichtig sein, direkte Fragen zur Protestbewegung könnten sie gefährden. Sie möchte auch künftig in Teheran proben und unterrichten. Wie geht es ihr in diesen Tagen als Künstlerin im Iran? „Die aktuellen Geschehnisse machen mich tief betroffen. Ich wünsche mir sehr, dass sich bald wieder Normalität einstellt.“

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Wir sprechen über die Improvisationskunst der persischen Traditionsmusik, die feinen, freien Modulationen, die aus einem über die Jahrhunderte währenden Geist der Freiheit heraus geschieht. Kann die Kultur so eine Botschaft für die iranische Gegenwart übermitteln? „Künstlerische Tätigkeit basiert per se auf Freiheit“, sagt Ahmadisepehr. „Jeder Künstler, ob in der Musik, im Theater oder der Bildenden Kunst, hat den Wunsch, sich frei auszudrücken und Werten wie Freiheit und Demokratie den Weg in der Gesellschaft zu ebnen.“ Mit jedem Konzert wollen sie dafür kämpfen.

Die Tombak-Virtuosin Niloufar Mohseni tritt an diesem Freitag im Berliner Kammermusiksaal auf.

© Simon Gerlinger für den Tagesspiegel

Szenenwechsel ins Exil. Im Institut für West-Östliche Musik in der Badenschen Straße in Berlin-Wilmersdorf proben der Tar- und Setar-Virtuose Majeed Qadiani und die Trommelmeisterin Niloufar Mosheni für ihren Auftritt beim Musikfest. Wer das Institut betritt, wähnt sich in einem bürgerlichen Teheraner Wohnzimmer. Dunkle Holzmöbel, Vintage-Lampen, Vitrinen voller Instrumente, Fotos der großen Musikmeister hinter Glas, Weinflaschen im Regal: ein heimeliger, sympathisch aus der Zeit gefallener Ort. Institutsleiter Qadiani, der seit der Gründung vor 15 Jahren hier bereits mehr als 350 Kammerkonzerte und auch Tourneen veranstaltet hat, trägt erstmal ein Tablett mit Getränken herbei.

Niloufar Mohseni (Tombak) und Majeed Qadiani (Tar, Setar) proben fürs Musikfest.

© Simon Gerlinger für den Tagesspiegel

Dann nimmt das Duo auf einem flachen Podest mit Perserteppich Platz. Qadiani zupft die doppelbauchige Tar mit dem Plektrum. Die andere Langhalslaute, die einbauchige Setar, wird mit den Fingernägeln gezupft. Das westliche Ohr registriert kurze Melodien, Quartsprünge, im nächsten Stück einen volksliedähnlichen, ausgelassenen Tanz.

Aber spätestens wenn Mosheni mit der Tombak einsetzt, wenn sie mit Mittel- und Ringfinger der linken Hand das Trommelfell energisch zum Schwingen bringt und die Finger ihrer Rechten erst leise, dann immer rasanter und virtuoser die Tar-Melodien verwirbeln, driftet man unweigerlich davon und lässt sich bereitwillig von der Poesie der Tar und von Mohshenis anmutigem Spiel hypnotisieren.

Nach der Probe gewähren die beiden der Besucherin eine Privatlektion in Sachen Persische Musik. Wir sprechen über die sieben Hauptskalen, die Dastgahs, vergleichbar unseren Tonarten, welche die Basis des Radif genannten Repertoires bilden. Mosheni erläutert die rhythmischen Muster und ihre unendlichen Varianten, bei denen jeder Finger beim Trommeln seine eigene Aufgabe hat. Sie erklärt, dass die Tombak nicht nur untermalt, sondern auch mal die Führung übernimmt – und dass sie die Trommel ständig dreht, weil die Finger bei hohem Tempo zu schwitzen beginnen.

Beim Konzert am Freitagabend im Kammermusiksaal wollen die beiden eine Rundreise durch die von Naturtönen und Mikrointervallen geprägten Radifs unternehmen. „Wir gehen mit vollem Risiko auf die Bühne, erst dort entscheiden wir, was und wie wir spielen, je nach Gemütslage, Licht und Stimmung im Saal“, sagt Quadiani. Klar, sagen die beiden, Iraner haben sensiblere Ohren, sind sie doch von Kind an mit Vierteltönen vertraut. Unsauberer Klang? Nichts da. Wenn der Wind in den Bäumen seufzt, folgt das auch keinem temperierten System.

Eine Musikwelt der Zwischentöne also, angesiedelt zwischen Melancholie und Ekstase. Natürlich sprechen wir auch über Politik. Quadiani, der nach der Revolution zur ersten Generation derer gehörte, die am Konservatorium studierten, fand die Ausbildung zunehmend konservativ. Nachdem einer seiner Brüder hingerichtet wurde, lebt er seit 1996 in Berlin. In seinem Institut erhalten Frauen Gesangsunterricht, zweimal die Woche treffen sich Frauen zum gemeinsamen Singen.

Der Tar-Virtuose Majeed Qadiani gründete 2011 das Berliner Institut für West-Östliche Musik.

© Simon Gerlinger für den Tagesspiegel

Die Tombak-Virtuosin Niloufar Mohseni lebt seit 2021 in Berlin.

© Simon Gerlinger für den Tagesspiegel

Niloufar Mosheni ist seit 2021 hier, sie versteht sich weniger als Emigrantin denn als international tätige Musikerin. „Viele dachten, es geht schnell“, sagt sie zur aktuellen Protestbewegung. „Aber mir war klar, dass Veränderungen Zeit brauchen. Ich war vor kurzem wieder im Iran und habe gesehen, dass sich etwas tut. Viele Frauen tragen kein Kopftuch mehr, das macht mich zuversichtlich.“ Auch wenn Etliche Angst haben, sie selbst eingeschlossen. „Wenn die Angst dominiert, haben wir keine Chance. Aber wenn jede und jeder sich ein bisschen was traut, können wir mit kleinen Schritten etwas verändern.“  

Das Regime, ergänzt Qadiani, würde die traditionelle Musik gerne als Folklore abtun und verharmlosen. „Alleine sie zu pflegen und aufzuführen, ist schon ein Statement, denn sie ist breit in der Gesellschaft verankert, unendlich reich und voller politischer Untertöne.“

Ein Beispiel? Niloufar Mosheni  spielt auf der Tombak ein paar unregelmäßige Fünfer- und Neuner-Rhythmen, wie es sie auch in der Volksmusik gibt. Und Majeed Qadiani schnipst mit den Fingern vor, wie die Iraner einst im 6/8-Takt tanzten. Nach der Eroberung durch den Islam wurde der Rhythmus verboten. Aber die Sufi ließen sich das Tanzen nicht nehmen, und nahmen einen Schlag heraus. Fünf statt sechs, so tricksten sie die Zensur aus. Die Freiheit steckt in der Unregelmäßigkeit. Eine tausend Jahre alte Geschichte. Seit dem 16. September 2022, seit die Frauen im Iran es sich nicht mehr nehmen lassen, ihre Stimmen zu erheben, ist sie aktueller denn je.  

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