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Interview mit Promi-Fotograf: „Voyeurismus ist doch was Schönes“

Der Fotograf Edgar Herbst stellt ab Mittwoch an der Red-Wall im Waschhaus aus. Im PNN-Interview sprach er über ein Leben im Rausch, Promis in den Neunzigern und die Essenz des Nichtigen.

Herr Herbst, Sie wollten sich in einer Berliner Kneipe treffen?

Damit das klar ist: Das Einzige, was ich brauche, ist Bier, und das geht auf Sie.

Oh. Ja, okay. Wenn es nicht zu viel wird.

Fragen Sie mich etwas.

Was war Ihre erste Kamera?

Was ist das denn für eine Scheißfrage?

Eine klassische Einstiegsfrage?

Ich erzähle doch hier nicht von meiner Kamera. Oder doch, meinetwegen: Es war eine Canon TX, im Jahre 1980. Die hatte mir ein Kollege in meiner damaligen Firma geschenkt, und von meinem Vater habe ich das Objektiv bekommen.

Und damit haben Sie losfotografiert...

...und die Leute sagen: Fotos sind ja toll, mach mal was. Und du merkst, dass das eine Erregung ist.

Das klingt simpel.

Nun ja: Das Bild ist die Reflexion deiner eigenen Sehnsucht. Nicht mehr und nicht weniger. Oder wie es Nan Golding in ihrem Buchtitel genannt hat: I’ll be your mirror. Kennen Sie die? Die amerikanische Fotografin, die Liebe, Schmerz, Exzesse und Aids in der Untergrundszene der 80er-Jahre porträtieret hat. Als ich ihr vor einem Jahr begegnete, empfand ich sie als eins mit ihren Fotografien.

Gibt es noch andere, die Sie inspiriert haben?

Für mich gibt es nur wenige große Vorbilder. Herlinde Koelbl vielleicht mit ihrem Buch „Feine Leute“. Ich hatte als junger Mann keine Lust, mir Vorbilder zu suchen. Ich dachte, ich mache es einfach in meine Richtung. Irgendwann habe ich so eine ganz zarte Richtung verspürt: Wenn du eine 60-jährige Nutte in der Frankfurter Großmarkthalle fotografierst, die deine 19-jährige Freundin ableckt. Das war so ein magic moment.

Sie haben keine Ideale an sich herangelassen?

Nein, ich habe erst mal mein Ding gemacht. Ich fühlte mich schamhaft, wenn mir jemand Fotobücher geschickt hat. Ich habe auch an der Fachhochschule Darmstadt Fotografie studiert, zwei Jahre, und habe dort vor allem die Erstsemesterpartys organisiert, die ich zumeist blutend und aus dem Auto kotzend verlassen habe. Aber es gab einen Professor, bei dem ich Vorlesungen besuchte. Und der hat gesagt: Annehmen und wieder ablehnen. Das bewahrt dich vor der Kopie und fördert die Reise zu dir selbst.

Sie haben das also richtig studiert?

Ich habe mich selbst studiert. In Darmstadt an der Werbeschule, aber ich war da ein Outsider. In Bielefeld hat man mich nicht genommen wegen meines schlechten Abiturs. Ich habe experimentiert, und ich glaube an das, was ich mache. Ein gutes Bild erschließt sich mit meiner Seele. Verrottet, versoffen, verliebt oder was auch immer.

Also ein Bild als Reflexion des Persönlichen? Als Teil der Biografie?

Absolut. Meine Bilder aus den Neunzigern, die sind ein Teil von mir. Das war manchmal provokant, manchmal auch ein bisschen verletzend. Wenn dann eine Frau sagt, ich soll mal ein Foto von ihr machen - dann sieht man ihr einfach an, dass ihre Brüste zweimal operiert sind. Dann will ich auch die Narben sehen.

Sie haben explizit die Narben fotografiert?

Ich stelle scharf manchmal.

Das hat aber schon etwas Voyeuristisches.

Ich habe mal ein sehr schönes Kompliment bekommen: dass ich zwar sehr direkt bin, aber nie entlarvend. Der Voyeurismus ist da. Und das Thema „promigeil“ ist für mich ein Spiegelsaal. Und da sind wir alle ein Teil. Sie sind jetzt gerade auch ein Voyeurist.

Kann man das nicht von Neugierde abtrennen?

Voyeurismus ist doch was Schönes. Ich war mal in einer Psychokur, mit Alkoholikern, Drogen, Weibersucht. Und da fragte der Professor in die Runde: Aha, Sie haben Prominente fotografiert. Sind Sie ein Paparazzo? Nein! Der Paparazzo sitzt in den Bäumen oder im Helikopter. Ich fordere die Leute heraus, sie selbst zu sein. Ich bin sichtbar.

Immerhin machen Sie jetzt aber eine Ausstellung damit, gemeinsam mit Karl Anton Koenigs, der viel jünger ist als sie. Wie haben Sie sich gefunden?

Mein körperlicher Schmerz ließ mich nicht mehr weitermachen, also ließ ich dem jungen Wilden den Vortritt.

Als eine Art Ziehsohn?

Wenn es ein anderes Wort dafür gäbe, wäre ich sehr dankbar.

Symbiose?

Ja. Eine Symbiose mit einem, der bereit ist, sich auf diese Partys zu schmeißen und bei dem das Erleben im Vordergund steht. Und von Monte Carlo bis Hamburg sprachen ihn die Leute an: Sag mal, kennst du Edgar? Du erinnerst mich so an ihn. Wir hatten ganz viele Sessions miteinander, und haben uns auch gefilmt. Und dann sagt er: Alter, du siehst wahnsinnig arrogant aus. Da habe ich das Wort „arrogant" mal gegoogelt.

Und dann?

Dann kam ich auf den Satz von Francesco Berni, der 1536 hingerichtet wurde: "Der Papst ist Papst und du bist ein Schurke, der sich von anderer Leute Brot und von Lästerei ernährt; du hast einen Fuß im Bordell und den anderen im Krankenhaus, du ignoranter und arroganter Krüppel."

Das hat Sie inspiriert?

Das war für mich ein Spiegelbild. Weil ich kräfte- und psychemäßig einfach nicht mehr durchgehalten habe. Ich habe mich auf den Partys so was von zugeballert.

Wie oft war das?

Ich war bei der "Gala" und konnte mir die Kirschen aus der Torte picken. Donnerstag, Freitag, Samstag, Sonntag. Ich habe mich total verausgabt. Diese Erzählungen aus einer vergangenen Zeit haben Anton angekickt.

Und jetzt macht Karl Anton Koenigs Ihre Arbeit?

Er ist ja viel charmanter und liebenswerter als ich. Ich war eher ein Provokateur. Also wenn ich jetzt Joschka Fischer fotografiere, mit seiner Verflossenen... Joschka Fischer war immer ein schwieriges Motiv.

Wieso?

Er weiß, dass man ihn ertappt irgendwann, dass man ihm die Maske herunterreißt. Aber mir geht es darum, meine persönliche Gefühlsauffassung auf die Leute zu projizieren. Warum fotografiere ich Menschen in einer melancholischen Stimmung? Weil ich melancholisch bin.

Haben Sie diese melancholische Stimmung gesucht?

Ich habe das nicht gesucht, aber ich wusste, dass das auf mich zukommt. Es gibt ein Bild mit einer Verflossenen von Joschka Fischer, das total traurig ist.

Ist das nicht destruktiv? Wenn Sie Bilder machen, die gar nicht erwartet werden?

Die sind ja in der Öffentlichkeit. Das interessiert mich nicht. Das sind Momente, die eine gewisse Wahrheit zeigen. Das zieht sich durch meine Arbeit durch: dass ich entweder melancholische Momente gesucht habe oder Glücksmomente.

Das sind zwei Extreme.

Das ist beides das Gleiche. So ähnlich wie die Euphorie und die Depression. Das ist ein Paarlauf, eine Kür. Das kann man jederzeit umdrehen. Schau lange in Schwarz, dann siehst du Weiß, schau lange in Grün, dann siehst du Magenta. Ein Fotograf muss immer eine subjektive Wertung haben. Ob es in diesem Genre gerechtfertigt ist, das ist meine größte Irritation.

Auch heute noch?

Heute ist das anders. Keiner hat mehr ein Glas in der Hand, keiner lacht mehr schief. Heute geht es um Verkaufen.

Und das war in den Neunzigern anders?

Na sicher! Es gab bereits in den Sechzigern Bilder von Robert Lebeck, der Romy Schneider in einer Entzugsklinik besucht hat - und dann waren sie in einer Hafenkneipe in Marseille und haben Champagner getrunken. Lebeck machte ein Bild, wie sie mit einem Clochard tanzt. Das ist ein Bild!

Die heute nicht mehr möglich sind?

Holen Sie doch mal eine Kamera raus und fotografieren Sie jemanden in der U-Bahn. Da haben die voll Angst, dass das Bild morgen irgendwo ist.

Geben Sie sich eine Schuld daran?

Die ganze Gesellschaftsfotografie von heute riecht nur noch nach Maske. Bei einem Ja will ich alles. Ich wurde ein paarmal verklagt wegen dieser Bilder. Bilder, die im Rausch entstanden sind. Maske trifft Maske, Maske lässt Maske fallen - und dann läuft die Tour. Das ist wie eine Liebeserklärung für einen Moment.

Aber Sie haben ja auch die Aufträge für Bilder.

Es gibt eine Situation, da sitzt eine junge Filmschauspielerin in einem fucking Club in München, wir rauchen einen Joint, und ich fotografiere das. Am nächsten Tag gibt es das Bild.

Aber Sie wissen das doch vorher.

Ich hatte aber keine Kontrolle darüber. Ich habe in dem Moment eben die Verantwortung aus der Hand gegeben. Ich bin aber nur für mich selbst unterwegs. Das hat lange gedauert, bis ich mir dessen klargeworden bin. Das ist eine Maschinerie zwischen Prostitution und Selbsterkenntnis.

Wann kam der Moment, an dem Sie damit nichts mehr zu tun haben wollten?

Es gab eine Szene: Da war eine „Stern"-Veranstaltung, in der Auster hier in Berlin, mit allen, Joop, Auermann. Das Fest hieß „500 Jahre Wodka".

Das war das Ende?

Ich habe diese Illusion abgegeben. Aber ich bin gleichsam dankbar für das Erlebte. Ich möchte mit diesem ganzen Zirkus nichts mehr zu tun haben. Und ein Zirkus kann ganz toll sein. Und der Koenigs kam in diesen Zirkus rein, als ich mich gerade verabschiedet hatte. Dadurch ist dieser Zirkus wieder aufgelebt.

Gibt es Momente, in denen Sie sich noch mal reinstürzen wollen?

Gern. Für eine Vanity-Fair-Party bei der Oscar-Verleihung. Die Affinität bleibt. Ich war damals für  Das Magazin in einem Hotel in Bad Ragaz, 400 Euro die Nacht, und ich schalte den Pornokanal ein und mache ein Foto davon, vor einer Obstschale. Und das Foto wurde gedruckt.

Weil das als Kunst interpretiert wurde?

Ach, Kunst! Subjektives Erleben. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen. Das ist doch eine Scheinwelt, alles Humbug, irgendwelche Masken laufen da rum. Dieses ganze Thema "Promigeil" ist ja eine irrsinnige Provokation.

Woher kommt denn diese Promigeilheit? Warum funktioniert das beim Publikum so gut?

Weil wir dazu neigen, in einer Neidgesellschaft zu leben. Weil wir nach irgendetwas suchen. Aber diese Sehnsucht steht in keinem Verhältnis zum subjektiven Erleben.

Und das wollten Sie nicht mehr?

Ich hatte damals mal ein Interview gegeben für RTL auf dem Bundespresseball, ich hatte so drei Joints, zehn Bier, ich war Fotograf für die "Gala". Und da habe ich gesagt: Die Kleider der betrogenen Frauen verstoßen hier gegen die Brandschutzmaßnahmen. Ein Funke reicht, und die brennen. Wie Struwwelpeter.

Und dann?

Dann kam der Redakteur und sagte: Edgar, ich habe hier eine Kassette in der Schublade, danach bist du raus. Ich sagte: Danke. Sende es bitte!  So ungefähr 2000 muss das gewesen sein.

Trotzdem machen Sie doch jetzt noch mal eine Ausstellung.

Weil ich herausgefordert wurde. Das ist wie eine ganz große, alte Liebe. Wenn das nicht wehtut, dann ist es keine Liebe. Es muss wehtun.

Mit Fotos üben Sie doch auch Macht aus.

Nein. Es hat einfach mit Respekt zu tun. Macht ist ein ganz schlechtes Wort. Wenn ich ehrlich sein soll: Ich wünsche dieser Gesellschaft einen Narren. Der Narr ist ganz wichtig. Und ich war ein guter Narr.

Funktioniert das denn heute noch?

Nein. Das geht nicht mehr. Da springen die Anzeigenkunden ab.

Das ist doch komisch.

Das ist nicht komisch, das ist einfach Fakt! Drucken Sie doch mal ein Foto von Verona Feldbusch, betrunken, auf einer Doppelseite heute, und sie hat ein Kleid von Chanel an - das sind doch Kunden von der orange press.

Quälen Sie sich damit?

Nein, ich bin nicht böse. Ich habe mit diesem Thema schon lange nichts mehr zu tun. Ich stehe zu meinem Leben und zu meinen Erlebnissen, aber das interessiert mich alles nicht mehr.

Nicht so ein bisschen Wehleid?

Diese Reise ist zu Ende. Ich mache ganz andere Geschichten gerade.Ich widme mich gerade der Serie "Waidmannslust", zusammen mit der Galerie "vorneditions".

Ist die Ausstellung "Promigeil" so etwas wie ein Abschied?

Eher ein Versuch, damit fertig zu werden. Es ist ein nichtiges Thema. Es ist so was von unglaublich nichtig. Es hat einfach keine Bedeutung. Ob jetzt jemand so guckt, oder so guckt, das hat mit Weltgeschehen nichts zu tun. Das ist die Essenz des Nichtigen.

Was ist denn bedeutend?

Ein Brief von deiner Mutter ist bedeutender als dieser ganze Unsinn. Das, was Anton Koenigs und ich machen: Zwei Dilletanten stellen ein Thema auf den Kopf. Das ist nur eine leichte Provokation. Aber es ist erstaunlich, wie viele Leute da aufspringen.

Also Prominenz ist nichtig?

Nein! Das Thema ist einfach nur nichtig.

Können Sie sich denn vorstellen, jemals etwas anderes als Fotografieren zu machen?

Nein. Das geht nicht. Jeder Fotograf hat seinen Schmerz. Mein Schmerz ist der Tanz.

Als Metapher des Erotischen?

Als Metapher der scheinbaren Liebe. Als Metapher des sich selbst nicht erkennenden Moments des Glücks, whatever. Alles ist irgendwie eine Metapher.

Was machen Sie als Nächstes?

Ich suche ein Baumhaus. Oder ein Herrenhaus. Vielleicht liest das ja jemand. Der soll sich bei mir melden.

Das Gespräch führte Oliver Dietrich

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