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Ortrud Westheider, Kunsthistorikerin und seit 2017 Direktorin des Museum Barberini in Potsdam.

© Andreas Klaer

Interview | Barberini-Direktorin über den Lockdown: „Wir haben eine beispiellose Solidarität erfahren“

Das Museum Barberini meldet sich zurück: mit „Rembrandts Orient“. Direktorin Ortrud Westheider über die Folgen der Pandemie und Rembrandts Faible für das Fremde.

Frau Westheider, am 13. März öffnet das Museum Barberini wieder seine Türen. Die meisten Museen haben erst mit einer Öffnung zu Ostern gerechnet, Sie auch?

Das ging uns auch so. Wir haben vor einem Jahr die Rembrandt-Ausstellung auf diesen Termin verschoben. Als wir die neuen Verträge für die Ausstellung machten, haben wir uns gesagt: Wir wissen nicht, was kommt, planen wir also einfach mal, als sei nichts – und wie das sich jetzt fügt, ist kaum zu fassen! Es ist der erste Jahrestag des Lockdowns. Und es ist der Termin, den wir uns vorgenommen hatten.

Nun will es der glückliche Zufall, dass Sie mit „Rembrandts Orient“ als eines der ersten Museen in der Region den Lockdown beenden – und dass es wirkt wie von langer Hand geplant.

Wir hatten schon vor zwei bis drei Wochen Gespräche mit unseren Dienstleistern und mit den Studierenden, die in der Halle den Besucherservice machen. Wir hatten unsere Fühler wieder ausgestreckt – einfach nur, um zu gucken: Wie wäre es, wenn? Mit einer schnellen Öffnung haben wir nicht gerechnet.

Welche Spuren hat die Krise am Museum Barberini hinterlassen?

Es ist ein großer Sprung ins Digitale erfolgt. Wir arbeiten jetzt seit einem Jahr über die Ferne zusammen. Die Teams haben sich ganz neu gefunden. Durch die Förderung der Hasso Plattner Foundation konnten wir weiterhin sinnvoll planen und vorangehen. Das haben wir im zweiten Lockdown verstärkt in Kooperationsgesprächen umgesetzt. Insofern waren wir auf digitale Weise sehr produktiv. Wir haben uns auch entschieden, alle Veranstaltungen zu Rembrandt ins Digitale zu verlegen: Unsere Veranstaltungsreihe mit Vorträgen läuft jetzt als Live Lecture online. Weil wir derzeit keine Gruppenführungen anbieten können, wollen wir auch bei der täglichen Live Tour bleiben. Hier im Museum werden wir einzelne Besucher begrüßen, aber alles was mit Gruppen oder Veranstaltungen zu tun hat, machen wir noch digital.

Die Ausstellung "Rembrands Orient" ist vom 13. März bis 27. Juni im Barberini zu sehen.
Die Ausstellung "Rembrands Orient" ist vom 13. März bis 27. Juni im Barberini zu sehen.

© Andreas Klaer

Diese neuen virtuellen Formate, die man als Teil eines Demokratisierungsprozesses des Kulturbetriebs beschreiben könnte: Werden sie bleiben, wenn der analoge „Normalbetrieb“ wieder einsetzt?

Sie machen auch viele Menschen neugierig, die bislang selten ins Museum gingen oder ohnehin nicht hätten kommen können. Wir haben vorletzte Woche den 10.000 Besucher in unserer Live Tour begrüßt. Darunter Besucher aus Südamerika und ein Soldat, der sich aus einem Camp in Afghanistan zugeschaltet hat. Diese Formate bieten die Möglichkeit, das Museum zu besuchen, auch wenn ich aus den verschiedensten Gründen nicht anreisen kann. Deshalb ist das ein Angebot, das wir weiter machen wollen. In Ergänzung zu unseren analogen Angeboten.

Trotz der positiven Nebeneffekte im Digitalen: Die Pandemie ist für Museen ein riesiges Verlustgeschäft. Wie wirkt sich das aus?

Als wir vor einem Jahr in den Lockdown gingen, wussten wir, dass das für unser Ausstellungsprogramm eine Gefahr darstellt. Wir wussten nicht, wie die Leihgeber, die anderen Museen reagieren würden. Schließlich haben wir aber eine beispiellose Solidarität erfahren: Denn weltweit saßen alle in einem Boot und haben sich unterstützt. So wurden Verschiebungen möglich, die unser Ausstellungsprogramm konsolidiert haben und sich auch im Budget positiv auswirken. Dass wir Monet verlängert und Rembrandt verschoben haben, den Impressionismus aus Russland im Herbst zeigen können: Diese Verschiebungen hatten auch finanziell sehr positive Effekte.

Inwiefern?

Wir hatten im vergangenen Jahr eine Ausstellung weniger und haben dadurch Transport- und Versicherungskosten eingespart. Und für die Russland-Ausstellung in diesem Jahr ist der Katalog bereits gedruckt, die Texte sind geschrieben und übersetzt, das digitale Programm ist fertig. Was mir auch wichtig zu betonen ist: Die Möglichkeit, im Pandemie-Jahr die Sammlungspräsentation von Herrn Plattner mit den 103 impressionistischen Werken hier eröffnen zu dürfen, war ein großer Glücksfall – und aus meiner Sicht überhaupt nicht selbstverständlich.

Die Ausstellung: "Impressionismus in Russland" wurde in den Herbst 2021 verschoben. Hier Ilja Repins "Auf dem Feldrain" (1879).
Die Ausstellung: "Impressionismus in Russland" wurde in den Herbst 2021 verschoben. Hier Ilja Repins "Auf dem Feldrain" (1879).

© Staatliche Tretjakow-Galerie, Moskau

Wird sich die Pandemie als kollektive Seuchenerfahrung auf das Programm auswirken? Kuratiert man mit und nach Corona anders?

Ich sehe in den Reaktionen auf „Rembrandts Orient“ und auf den Impressionismus, wie willkommen die Möglichkeit ist, zumindest in Gedanken zu reisen. Dass ich in ein fernes Land fahre oder mich in den verschiedenen Regionen Frankreichs bewege, ist etwas, worauf sich die Besucher gerade sehr freuen. Ich weiß nicht, ob sich das auf unser zukünftiges Programm auswirkt. Aber im Moment, da wir noch nicht reisen dürfen, ist das sehr verlockend.

Die Ausstellung „Rembrandts Orient“ will nun den bis heute andauernden Eurozentrismus hinterfragen. Wie genau will sie das machen?

Wir leben in einer globalisierten Welt. Die Ausstellung richtet den Blick auf die Anfänge, auf die Künstler des 17. Jahrhunderts, die durch die neuen Handelswege erste Kenntnis von fernen Ländern bekamen – häufig über die Waren, über Konsum- und Luxusgüter. Begeistert nahmen sie alles auf und sorgten für eine Mode: Man schmückte sich oder seine Wohnstube damit. Es war noch keine Begegnung auf Augenhöhe.

Wie zeigt sich das?

Unseren Kuratoren, der Rembrandtforscher Gary Schwartz und Michael Philipp, Chefkurator am Museum Barberini, haben nur wenige Künstler gefunden, die selbst gereist sind. Und nur wenige wie Rembrandt, die sich mit der Kunst der fremden Kulturen befasst haben. So kopierte Rembrandt indische Miniaturen. Sie haben aber auch festgestellt, dass die Kunst nicht die Schattenseiten des wirtschaftlichen Aufstiegs der Niederlande zeigt – wie Handelskriege, Piraterie oder Sklaverei.

Rembrandt nutzte Motive des Orients für seine Darstellungen des Alten Testaments, so auch in "David übergibt Goliaths Haupt dem König Saul" (1627)
Rembrandt nutzte Motive des Orients für seine Darstellungen des Alten Testaments, so auch in "David übergibt Goliaths Haupt dem König Saul" (1627)

© Andreas Klaer

Der Orient bleibt im Wesentlichen Dekoration. Hatte Rembrandt ein Interesse, das tiefer ging?

In der protestantischen Gesellschaft des Amsterdams der damaligen Zeit hat sich Rembrandt auf das Alte Testament bezogen. Die mit goldenen Säulen geschmückten Tempel, die er gemalt hat, sind mit ihrem magischen Licht eine Gegenwelt zu den kargen calvinistischen Kirchen in Amsterdam. Auch die Beschäftigung mit den Kostümen, den Krummsäbeln und allen Dingen, die er selbst in seiner Wunderkammer besaß.

Darunter Löwenfelle!

Genau. All das hat er benutzt, um seinen biblischen Geschichten etwas Authentisches zu geben. Um von der Zeit, in der das Heilsgeschehen stattgefunden hat, ein genaueres Bild zu zeichnen.

Als die Ausstellung im Kunstmuseum Basel gezeigt wurde, gab es begleitend „Rembrandt, habibi“, einen interessanten Podcast von Amina Aziz, der die postkoloniale Sicht auf die Zeit thematisiert. Und in Potsdam?

Michael Philipp hat fünf Gespräche mit unterschiedlichsten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Cultural Studies geführt und mit ihnen Themen diskutiert, die heute relevant sind. Darunter Anna von Rath, die an der Universität Potsdam die Gruppe Postcolonial Potsdam eingerichtet hat. Mit Postcolonial Potsdam bieten wir auch Führungen zu Aspekten des Kolonialismus an. Die Gesprächsreihe heißt „Rembrandt aktuell“, es geht um die Themen Globalisierung, Orientalismus, Schwarze Menschen, Appropriation und Islam. Anlass ist jeweils ein Werk aus unserer Ausstellung. Über eine ganz frühe Koran-Ausgabe, die wir hier in der Ausstellung zeigen, sprechen wir zum Beispiel mit einem Imam und Koranexperten der Universität Potsdam.

Trotz der Auseinandersetzung mit dem Postkolonialismus verwenden Sie im Katalog den Begriff des „Goldenen Zeitalters“. Dieser ist sehr umstritten und wird zum Beispiel vom Amsterdam Museum nicht mehr verwendet.

Wir verwenden den Begriff „Goldenes Zeitalter“ ein einziges Mal und nur im Vorwort mit Blick auf die Kunst des 17. Jahrhunderts. In diesem Sinn verwendet ihn das Rijksmuseum Amsterdam auch weiterhin. In allen Katalogtexten schreiben wir nur „das 17. Jahrhundert“.

Sie würden generell heute auch eher den neutralen Begriff „17. Jahrhundert“ verwenden?

Ja, auf jeden Fall. Schon im Untertitel der Ausstellung schreiben wir nicht vom „Goldenen Jahrhundert“ und mit „Rembrandts Orient“ verwenden wir einen Begriff der Quellensprache, der auf die Perspektive Rembrandts und seiner Zeit verweist.

Auf Rembrandt folgen im August die russischen Impressionisten. Was steht als nächstes im Museum Barberini an?

Im Februar 2022 eröffnen wir eine Ausstellung zum Thema Fotografie. Darin gehen wir auf die frühe Zeit des Mediums ein. Die Ausstellung heißt: „Eine neue Kunst: Fotografie und Impressionismus“. Unser Gastkurator Ulrich Pohlmann hat dafür viele Motive gefunden, die sehr eng mit den Bildern der Sammlung Hasso Plattner zusammenhängen, so dass man die Verbindung zwischen den Malern und Fotografen thematisieren kann. Im Sommer zeigen wir dann die Ausstellung „Die Form der Freiheit. Internationale Abstraktion nach 1945“. Sie ist ein Beispiel für eine im zweiten Lockdown entstandene Kooperation mit der Albertina Modern in Wien.

Stichwort Kooperation: Im vergangenen Herbst gab es einen Offenen Brief von über 30 deutschen Kunstmuseen, die sich gegen die Schließung der Museen verwahrten. Das Museum Barberini war nicht dabei. Warum?

Wie alle Kolleginnen und Kollegen fanden wir die erzwungene Schließung bedauerlich. Ich fand aber den Zeitpunkt des Schreibens problematisch. Kontaktvermeidung war das Gebot der Stunde.

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Die richtige Forderung zur falschen Zeit?

Wir freuen uns, dass jetzt die richtige Zeit gekommen ist und Ministerin Schüle die Öffnung der Museen vorangetrieben hat.

Am Jahrestag des ersten Lockdowns öffnet nicht nur „Rembrandts Orient“, auch das Potsdamer Bündnis KulturMachtPotsdam macht mobil.

Auch da sind wir mit dabei. In Form einer digitalen Grußadresse aus der neuen Ausstellung.

Was also wären für Sie die Lektionen der Krise?

Digitalität und Kooperation. Ich glaube, dass das Miteinandersprechen sehr wichtig ist. Sowohl die interne Kommunikation wie auch die der Institutionen untereinander. Wir haben auch international viele regelmäßige Calls. Jede Woche Zoom mit Paris: Das war früher nicht denkbar. Vielleicht bleibt einiges von solchen agileren Strukturen erhalten.

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