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Kultur: In Traumlanden

A Whisper in the Noise spielten in der „fabrik“

Gedankenverloren seinen Träumen hinterherzuhängen, ist das eine. Auf einem musikalischen Klangteppich über eine düstere, von dicken Nebelschwaden überzogene Traumlandschaft hinwegzuschweben, das ist ein Konzert von A Whisper in the Noise. Wenn der ernste West Thordson und die zurückhaltende, schüchterne Sonja Larson auf der Bühne zu Violine, Keyboard und Schlagzeug greifen, glaubt man, eine andere Welt zu betreten. Im Klang der Instrumente scheinen sich Getreidehalme im Wind zu wiegen, schwirren Insekten durch die klare Luft und am Horizont strebt ein dicker roter Feuerball der Erde entgegen. So kann die nachdenkliche und zum Teil traurige Musik der beiden US-Amerikaner klingen.

Nach einer vierjährigen Auszeit hat das Duo am Freitagabend in der „fabrik“ seine Europatournee gestartet. Für das vorwiegend junge Publikum, das den kleinen Saal bis in die letzte Reihe füllte, hatten A Whisper in the Noise Lieder ihrer im Februar erschienenen Platte „To Forget“ im Gepäck. Im Klang der von Sonja Larson mal gestreichelten, mal gezupften Violine und den von West Thordson auf Keyboard, Xylophon und Laptop erzeugten Klingel-, Klopf- und Tick-Tack-Tönen machten sich Musiker und Zuhörer auf die gemeinsame Reise. Spätestens gegen Mitternacht schien auch der Letzte im Saal in eine andere Welt abgetaucht. Das Publikum hatte es sich auf dem Saalboden im Schneidersitz bequem gemacht, andere lehnten an der Wand oder wiegten ihren Kopf genussvoll und fasziniert im Takt der grollenden Basstöne.

Dass es so kommen musste, hatte auch schon Hans Solo geahnt, der das Publikum mit den vier Streichern der IG Streichmetall und seinen sentimentalen Texten auf A Whisper in the Noise vorbereiten sollte. „Ich hab das Gefühl, wir wirken gegen die wie lustige Clowns“, sagte der junge Sänger. Dabei werde doch seine Musik sonst vom Publikum oft als zu melancholisch missverstanden, erklärte er.

Nur einmal während der knapp zweistündigen Performance von A Whisper in the Noise riss West Thordson das Publikum aus der von ihm geschaffenen, emotionalen Klanglandschaft heraus. Als er kurz vor Ende des Konzertes zur elektronischen Gitarre griff, schrie er gefühlsgeladene Texte von Verlassenwerden und Einsamsein in das Mikrofon. Nach zwei Liedern war der Spuk vorbei, die Gitarre landete wieder in der Ecke und dem Publikum öffnete sich erneut die Tür zu einer ruhigen, düsteren Klangwelt.

Am Ende, als Sonja Larson ihre Violine zurück in den Koffer legte und West Thordson den Stecker aus seinem Keyboard zog, ließen die beiden ein verträumtes Potsdamer Publikum zurück. Minutenlang verharrten einige Zuhörer am Boden, ließen ihren Blick noch durch den Bühnennebel schweifen – auf der Suche nach der Traumlandschaft, die doch gerade noch so nah schien. Tobias Reichelt

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