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Kultur: Im Reich der Mittel

Wem dient der Architekturexport nach China? Das Hamburger Büro gmp erntet Erfolge – und Kritik

Allein für das Jahr 2007 meldet das Statistische Jahrbuch von Shanghai 614 neue Hochhäuser von mehr als 30 Stockwerken. Dazu kommen weitere 111 in der 1990 als „Sonderwirtschaftszone“ und damit überhaupt erst begründeten Schwesterstadt Pudong.

Hochhäuser sind in China nicht nur nichts Besonderes, ohne sie gelänge die weiterhin umfassend voranschreitende Verstädterung nicht. In Chongqing am Oberlauf des mächtigen Jangtse beispielsweise, angeblich der einwohnermäßig größten Stadt der Welt, wird derzeit die zentrale Halbinsel zwischen Strom und Nebenfluss von allen vier- bis sechsgeschossigen Wohnhäusern bereinigt. Sie soll mit 30-stöckigen, exakt 100 Meter hohen Wohnhäusern – dem Standardmaß des chinesischen Geschosswohnungsbaus – in vielfacher Wiederholung desselben Entwurfs verdichtet werden.

Der Massenwohnungsbau ist kein Feld für Baukünstler. Da herrscht schlichtes Profitdenken. Wohnungen werden als leerer Raum inmitten der Gebäudehülle gekauft, in Erwartung von Preissteigerungen gehalten und weiterverkauft. Erst der tatsächliche Nutzer lässt die Wohnung ausstatten. Aufgrund dieser besonderen Art des Geldhortens in Form von Immobilien stehen abertausende Wohnungen leer, bisweilen ganze Hochhäuser und manchmal ganze Stadtquartiere gleichartiger Gebäude. Weitere 500 Millionen Chinesen werden in den kommenden zwanzig Jahren in den Städten wohnen. Es wächst der Druck auf Partei und Regierung, der Wohnungsspekulation Einhalt zu gebieten und bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. An der architektonischen Misere des Geschosswohnungsbaus wird sich nichts ändern. Westliche Architekten beteiligen sich allenfalls an Mustervorhaben wie der Stadtgründung Lingang.

Lingang, die vom Hamburger Büro von Gerkan, Marg und Partner (gmp) entworfene Reißbrettstadt für 800 000 Einwohner, prunkt mit einem „Meeresmuseum“ allein auf weiter Flur, für das die Ausstellungsstücke erst während des Baus zusammengetragen wurden. Die Wohnanlagen, durch die Visualisierungen von gmp seit langem publiziert, sucht das Auge allerdings noch vergebens. Vorrang für die Stadtoberen haben Gewerbebauten im nahen Zollfreigelände.

Mehr Häuser als Einwohner – das ist wahrlich ein Paradox. Und doch so typisch für die Widersprüche, mit und aus denen die Volksrepublik des Jahres 2011 lebt. Neben rasch hochgezogener Betonware werden durchaus ambitionierte Bauvorhaben verwirklicht, ebenso schnell und zielstrebig. Beispiel wiederum Chongqing: Die Stadt besitzt neuerdings ein Opernhaus, der zentralen Halbinsel gegenüber auf einer Anhöhe. Dem Haus rückt durch den gewaltigen Anstieg des Jangtse aufgrund des „Drei-Schluchten-Staudamms“ der Wasserspiegel bald ganz dicht heran. Wie eine glasgepanzerte Schildkröte hockt das Dreispartenhaus am Abhang, mit grünlich schimmerndem Recycling-Glas.

Auch Qingdao, einst die deutsche Hafenstadt Tsingtau, besitzt ein neues Opernhaus, eröffnet exakt am 23. Oktober vorigen Jahres. Da spannt sich ein weißes Dach über drei Auditorien eines in Richtung Meeresbucht sich öffnenden Theaterbauwerks, das mit seinen rhythmischen Freitreppen den Besucher geradezu schwerelos macht – und ins Innere (ver-)führt. Gediegene Zuschauerräume, kirschholzgetäfelt, mit weichem Gestühl und ausgefeilter Bühnen- und Beleuchtungstechnik.

Bloß – so richtig gespielt wird nicht. Die Nebenbühnen liegen blitzblank und verwaist. Keine Kulissen fürs Repertoire. Allenfalls Gastspiele finden statt. Investitionen für die Zukunft; aber das ist eine chinesische Erfahrung, die der Besucher bei einer Rundreise durch bekannte und unbekannte Städte allenthalben macht. Es wird auf Zukunft gebaut.

Das Hamburger Büro gmp, mit weltweit an die 800 Mitarbeitern die größte deutsche Architekturfirma, hat die beiden Opernhäuser entworfen; ein drittes ist im Norden des Landes im Bau. Neuestes Vorzeigeobjekt ist der an diesem Wochenende offiziell in Betrieb genommene Westbahnhof der Stadt Tianjin, ein Gigant mit 24 Gleisen.

Meinhard von Gerkan, Jahrgang 1936, der seit 1964 mit dem gleichaltrigen Volkwin Marg das Büro gmp führt, hat für sein Engagement in China heftige Kritik einstecken müssen. Mit dem Ausbau des chinesischen Nationalmuseums direkt am Tiananmen, dem Herzen der Hauptstadt Peking, ist das Büro im Frühjahr dieses Jahres in die Schusslinie geraten.

Die Kritik an dem Gebäude als Selbstdarstellung des unverändert kommunistischen Regimes erhielt quasi ihre Bestätigung, als der Künstler und Regimekritiker Ai Weiwei just zur Eröffnung der von deutschen Museen, darunter den Staatlichen Museen Berlin, ausgerichteten Ausstellung „Kunst der Aufklärung“ verhaftet und anschließend monatelang weggesperrt wurde.

Der Düsseldorfer Architekt Christoph Ingenhoven, seinerseits wegen der Planung für „Stuttgart 21“ schwer kritisiert, lehnte sich früh aus dem Fenster. Unter dem Titel „Bauen für Despoten“ beharkte er sich mit Meinhard von Gerkan auf einem Hamburger Diskussionsforum. Ingenhoven, dem ein Entwurf für ein Hochhaus in Shanghai buchstäblich vom Reißbrett weg geklaut und geklont wurde, ging Gerkan hart an: „Es geht doch darum, ob man für nichtdemokratische Staaten Repräsentationsbauten errichtet. Ich muss nicht unbedingt am Platz des Himmlischen Friedens das chinesische Nationalmuseum bauen, wie Sie das tun.“

Von Gerkan hielt es mit Nachhaltigkeit: „In China haben wir die erste Fassade mit außenliegender Beschattung an einem Hochhaus gebaut“, entgegnete er, die Unmengen Energie fressender Klimageräte an chinesischen Häusern im Sinn. „Wir Deutschen sind diejenigen, die so etwas in die Welt hinaustragen können. Und das nicht nur aus Eigeninteresse, sondern aus Verantwortung gegenüber der gesamten Menschheit.“

„Nachhaltigkeit“, wie diffus auch immer, ist ein Plus, mit dem der Export Made in Germany, darunter Architekturleistungen, auf dem gnadenlosen Markt Chinas bestehen kann. Einem weiteren deutschen Büro, KSP, wurde der Erweiterungsbau der Nationalbibliothek in Peking anvertraut. Nicht alle Westler aber bauen im strengen Sinne „nachhaltig“, wie etwa das spektakuläre Olympiastadion der Basler Herzog und de Meuron zeigt. Nicht nur, dass es nach Expertenmeinung 20 000 Tonnen Stahl mehr als konstruktiv notwendig verschlungen hat, um seine Form des „Vogelnests“ zu erhalten. Auch wurde die spätere Pflege der aufwendigen Stahlstruktur außer Acht gelassen. Oder das Hauptquartier des Staatsfernsehens CCTV, der Propagandazentrale des Regimes ebenfalls in Peking, das immer noch wegen statischer Probleme unbenutzbar dasteht. Der Niederländer Rem Koolhaas, mit seinem Büro OMA einer der ersten in China, hat das raffiniert geknickte, 234 Meter hohe Gebäude entworfen.

Politische Freiheit, Demokratie und Menschenrechte lassen sich mit Architektur nicht erstreiten. Immerhin „gute“ Architektur ist möglich. Zum Besseren eines Landes, das den Wachstumsrausch für das, für sein 21. Jahrhundert benötigt - und ihm ebenso sehr ausgeliefert ist.

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