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wer ist die Schönste im Land? Wenn es nur noch darum geht, zu gefallen.

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Kultur: Im Kampf gegen den Gefallvirus Jugendtheater im Großen Waisenhaus

Verführerisch golden glitzert sie in der Ferne: die Anerkennung. Die absolute, bewundernde, liebende und vielleicht auch ein wenig neidische Anerkennung der anderen.

Von Sarah Kugler

Verführerisch golden glitzert sie in der Ferne: die Anerkennung. Die absolute, bewundernde, liebende und vielleicht auch ein wenig neidische Anerkennung der anderen. Jene anderen, die es schon geschafft haben. Die schon etwas Besonderes sind, Beachtung finden, dazugehören. Aber wodurch wird man überhaupt besonders und individuell? Und geht das in unserer heutigen Welt überhaupt noch, wo schon alles gesagt und getan wurde? Mit diesen Fragen setzt sich die neueste Produktion „Like mich“ des Jugendtheaters „die spielwütigen“ auseinander, die am vergangenen Freitag im Barocken Treppenhaus im Großen Waisenhaus Premiere hatte.

In dem Stück kämpfen Agathe (Louise Jahnke), Cosima (Nina Damberg) und Fabienne (Magdalena Weber) gegen den tückischen Gefallvirus (Dominique Bergemann), der versucht, ihr Leben zu übernehmen. Auf einmal dreht sich bei ihnen alles nur noch um Schönheit und Beliebtheit. Dirigiert von dem Virus rennen sie zu Castings, lassen sich zu Schönheitsoperationen überreden und haben seltsame Dates. In all ihren Bemühungen, jedem zu gefallen, vergessen sie langsam, wer sie eigentlich sind und verlieren den Überblick über ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse. Doch irgendwo tief drinnen spüren sie, dass etwas in ihrem Leben nicht stimmt und somit fangen sie an, sich gegen den Gefallvirus zur Wehr zu setzen.

Ähnlich wie bei der Produktion „Eingeloggt, ausgeloggt, ausgeknockt!“ aus dem letzten Jahr präsentieren „die spielwütigen“ in „Like mich“ unter der Leitung von Yasmina Ouakidi eine turbulente Mischung aus intelligenten Dialogen und fetzigen Choreografien. Dabei wird die Zerrissenheit der jungen Mädchen genauso stark herausgearbeitet wie die Verlockung, die von den verschiedenen Medien ausgeht. Die häufig vorkommenden und perfekt einstudierten Sprechchöre der Darstellerinnen sind dabei ein wunderbares Bild für die gedankliche Gleichschaltung der Gesellschaft. Alles dreht sich dort nur noch um die beste Leistung, den facettenreichsten Lebenslauf und die politisch korrekte Meinung. Gleichzeitig zeigt diese kollektive Gedankendarstellung aber auch, wie sehr sich die Mädchen in ihren Wünschen und Gedanken ähneln. Denn eigentlich wollen sie nur glücklich sein und wissen einfach nicht, wie sie das anstellen sollen. Irgendwo zwischen Kind und Erwachsenendasein ist ihr Leben wie ein fremdsprachiger Film ohne Untertitel. Es gibt einfach zu viel, das sie nicht verstehen, und zu viel, das sie bewältigen müssen.

Diese Verzweiflung und das gleichzeitige Bemühen um den dauerhaften Glamourfaktor werden von den Schauspielerinnen wunderbar dargestellt. Gerade Magdalena Weber, die mit ihrem intensiven und immer etwas entrückten Mimikspiel schon in „Eingeloggt, ausgeloggt, ausgeknockt!“ überzeugte, gelingt es auch hier wieder, jede Emotion und jeden Ton auf den Punkt zu treffen. Wandlungen vom schüchternen Mauerblümchen über die dauergrinsende Diva bis hin zur wütenden Rebellin gelingen ihr auch ohne Kostümwechsel absolut mühelos.

Dabei findet sie mit Dominique Bergemann als Gefallvirus die perfekte Gegenspielerin: Treffen die beiden aufeinander, fliegen die Funken. Wenn Blicke töten könnten, wüsste man nicht, wer hier zuerst zu Boden gehen würde. Bergemann spielt den Virus so exzellent bösartig, schleimig und hinterhältig, dass man ihn fast schon lieben muss. Und so hat man auch beinahe ein wenig Mitleid, als er sich am Ende den aufbegehrenden Mädchen beugen muss und in zorniger Verzweiflung hinter der Bühne verschwindet.

Perfekt akzentuiert sind auch die Requisiten: Glitzernde Handspiegel, goldene Hocker und das goldene Drehbuch des Lebens verdeutlichen einmal mehr die scheinbar schöne Verführung, die aber letztendlich nichts als leere Versprechungen bereithält. Mit seiner temporeichen und tiefgründigen Inszenierung regt „Like mich“ an, den Blick wieder auf das Wesentliche zu richten, die Stärke in sich selbst zu entdecken und die goldene Verführung der Anerkennung nicht allzu wichtig zu nehmen. Sarah Kugler

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