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Joan Mitchell, „Quatuor II, 1976.

© The Estate of Joan Mitchell, Courtesy Joan Mitchell Foundation / The Estate of Joan Mitchell, Courtesy Joan Mitchell Foundation

Im Fluss der Malerei: Claude Monet und Joan Mitchell in Paris

Blockbuster in der Fondation Vuitton: Eine großartige Doppelausstellung bringt zwei außergewöhnliche Künstlerpersönlichkeiten zusammen.

Der Wind fegt um das gläserne Gürteltier im Bois de Boulogne. Frank Gehrys bizarr-schönes Gebäude, im Oktober 2014 eröffnet, wirkt immer noch frisch und neu. Was auch an der Programmierung des emblematischen Kunstortes liegt: Die Fondation Louis Vuitton zeigt mit „Monet Mitchell“ eine gewaltige Zusammenschau des berühmten Malers und einer Malerin, die immer noch zu entdecken ist. Das Publikum steht Schlange in einem Januarwetter, das sich anfühlt wie ein zu kalter April.

Sie berühren sich. Sie bleiben auf Distanz. Joan Mitchell, geboren 1925 in Chicago, verbrachte die meiste Zeit ihres Lebens in Frankreich, wo sie 1992 starb. Man zählt sie zum Abstrakten Expressionismus, der sich in den 1950er Jahren in den USA explosionsartig entwickelte. Und der vom Spätwerk des Franzosen Claude Monet (1840-1926) stark beeinflusst war.

Auf die großen Leinwände

Sein Triptychon „L’Agapanthe“, an dem er über zehn Jahre lang bis zu seinem Tod arbeitete, bildet das Kraftzentrum der großzügigen Präsentation, deren Energien aufeinanderprallen, aber zugleich auch auseinanderstreben. Jede dieser drei ineinander fließenden Monet-Leinwände misst 2 Meter mal 4,25 Meter, sie sind verstreut, hängen sonst in Cleveland, St. Louis und Kansas City. Seerosen, Schlingpflanzen, Wasserflora. Monets Natur, gebannt in seinem Garten in Giverny, heute noch zu besichtigen, gleicht einem künstlichen Paradies - das der Maler wie ein Eremit pflegte und auf seinen unzähligen dort entstandenen Bildern zurückführte in die Wildnis.

Wie Monet, so griff Mitchell nach den großen Formaten. Auch sie zog es aufs Land, nach Vetheuil an der Seine; dort hatte schon der junge Monet gearbeitet. Gegenüber liegt Giverny. Mitchell hatte es nicht gern, wenn man ihr Monet vorhielt: „Ich kopiere ihn nicht.“ Und doch kam sie um ihn nicht herum, wenn sie Flusslandschaften malte. Wiederum stößt man hier auf Ölbilder von Monet, die um 1920 entstanden sind, skizzenhafte Werke - auf den ersten Blick könnte man sie Joan Mitchell zuordnen. Denn dies hier ist ein malerischer Pas de deux mit weit gestreckten Armen. Nicht zu nah.

Joan Mitchell, La Grande Vallee

© The Estate of Joan Mitchell; Primae/Louis Bourjac / The Estate of Joan Mitchell; Primae/Louis Bourjac

Die Begegnung bleibt spannungsreich in allen Räumen. Wenn Monet stehendes Wasser malt, glaubt man darin zu versinken. Die gewaltigen Formate zielen auf psychedelische Wirkung, man ist allein mit der Natur, die Frieden ausstrahlt in der feuchten Fäulnis. Mitchells Pinselstrich kommt aggressiver, knalliger. Ihr größtes Bild misst 3 Meter mal 7,60 Meter, zusammengesetzt aus vier Leinwänden, ein blauer Sturm. Sie malt ihre Idee von Natur, einen überwucherten Garten kaum kontrollierter Emotionen.

Mitchell attackiert, Monet reflektiert. Die Beobachtung ist nur dann stimmig, wenn man sie auf beide dreht. Auch Monet hat mit seinen Gefühlen gekämpft, die Impressionen geradezu niedergerungen, gut zu sehen in dem flammenden Bild „Le Pont japonais“ aus dem Museum Marmottan in Paris, aus dem die meisten Leihgaben kommen. Mitchell wiederum zeigt sich in einem großen Bild „Sans titre“ um 1970 ruhiger, verletzlicher, da scheint ihr Furor gebannt.

Großraum für Fantasie

Im Untergeschoss des Gehry-Baus läuft eine Mitchell-Retrospektive. Ein Glücksfall: Die gewundene Architektur provoziert die große Geste, das üppige Format. Monet und Mitchell füllen die Wände auf eine Art und Weise, die weiten Fantasieraum lässt.

Man denkt an die satten, verzweifelten Pinselstriche eines Vincent van Gogh in Südfrankreich, aber vielleicht auch an die majestätischen Leinwände von Joan Miró, die in der permanenten Ausstellung des Centre Pompidou hängen, schlicht „Bleu I, II, III“ betitelt, geschaffen um das Jahr 1960. Kunstgeschichte ist in all diesen Werken auch Naturgeschichte: wie wir sie wahrnehmen können.

Mitchell und Monet verbindet die Leidenschaft für Poesie, beide waren mit Dichterinnen und Dichtern befreundet. Schließlich brachten sie das Unsagbare auf die Leinwand. Dafür schufen sie sich draußen ihren je eigenen Kosmos.

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