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Kultur: Im Dschungel

Silvia Ladewig verzauberte im Botanischen Garten

Trüber Himmel. Dschungel. Farne. Palmen. Wilde Tiere, zum Beispiel der Sperling hoch im Geäst, fast unter dem Himmel. Nur eine dünne Scheibe trennt ihn von seiner Freiheit. „Freiheit?“, fragt ein junger Wolf im Berliner Tierpark Silvia Ladewig jenseits des Gitters. „Wir waren einst frei ...“, und berichtet ihr vom ungebundenen Leben im fernen Indien, wo es nicht nur den Dschungel mit Himmel, Farnen und Spatzen gibt, wo auch die Völker der Tiere nach den strengen Gesetzen des Daseins leben, Wölfe und Affen, Bienen und Bären, Panther und Schlangen. Nur Shir Khan, der Tiger, fällt etwas aus der Art, aber das hat seine Gründe.

Im trüben Licht des Sonntags gab die Märchenerzählerin seine Klage an die Kinder weiter. Man befand sich in Potsdams Botanischem Garten. Palmen und Farne waren echt, den Spatzen trennte nur das Glasdach von der vermeintlichen Freiheit, dem Dschungel zu Sanssouci. Fressen und Gefressenwerden! Ja, aber nur nach den Gesetzen der Tierwelt!

So erlebte es der britische Autor und Nobelpreisträger Rudyard Kipling (1865-1936) in Indien. Seine Märchen und Geschichten sind auch heute noch tausendmal schöner als die von Hollywood, oder aus jener virtuellen Retorte, die ohne Strom rein gar nichts ist. Ein Tuch wie zum Turban gebunden, lange Kapuzenjacke in gedeckten Tönen, so trat die Märchenerzählerin Silvia Ladewig im Dämmerlicht vor das zahlreich erschienene Publikum.

Kerzen am Wege, Dschungel-Gesumm aus dem Off und indische Töne auf Sitar und Trommel formten ihre „Bühne“ am Kreuzpunkt dieser Gewächshäuser. Was sie ist und wie sie wurde, berichteten PNN am Samstag exklusiv. Ihren Partner, den Potsdamer Sitarspieler Sebastian Dreyer, der sogar gebrannten Blumentöpfen Maremba-Töne entlockt, sah man vor lauter Grün dafür nicht, aber Musik soll ja auch eher zu hören sein. Beide erzählen unter dem Kürzel „Der Silberne Zweig“, was von China bis Atlantis, von Apuleius bis zur Weihnachtsgschichte auf dieser Welt geschah. Am Sonntag im Botanischen Garten also Kipling.

Mit eigenen Worten berichtete Silvia Ladewig, wie dem Tiger Shir Khan das kleine Menschenkind Mowgli entkam und er es als seine Beute betrachtet, bis dieser ihn überwand. Nur Tiergeschichten aus dem ersten der beiden „Dschungelbüchern“ von 1894/95? Für Kinder schon, wenn sie beispielsweise hören, wie diese närrischen Affen Mowgli entführen, damit er ihre Häuser flickt. So dumm wie die möchte kein Mensch sein. Erwachsene hingegen wissen: Auch Remus und Romulus wurden von einer Wölfin gesäugt.

Silvia Ladewig wählte ein Mittelding aus Bericht und Improvisation, vielleicht könnte man darstellendes Erzählen dazu sagen. Aber warum bezieht sie dann ihr Publikum nicht stärker in ihre Darstellung ein? Technisch gesehen waren zwar „Tonwerfer“ da, doch setzte kein Scheinwerfer die Protagonistin in ein passendes Licht. Der Beginn verzögerte sich leicht, die eigne Mutti fehlte noch. Und sie rief nach ihr, fast wie Mowgli den Geier Tschil. Kiplings Botschaft: Krieg ist und bleibt zwischen Dschungel und Dorf, zwischen Tieren und Menschen! Im zweiten Band des Dschungelbuchs hetzt Mowgli sogar den ganzen Urwald gegen seine Gattung: „Es bersten die Dächer! Die Pfosten zu Falle! Und Karela, die bittere Karela, begrabe sie alle!“ Das ist eine machtvolle Schlingpflanze.

Wir waren einst frei, sagte der Wolf zu Beginn. „Ich bin’s noch“, sprach der gefangene Spatz. Gerold Paul

Gerold Paul

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