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Kultur: Hinter verschlossenen Türen

Die türkische Menschenrechtlerin Serap Çileli war im Frauenzentrum Primadonna zu Gast und berichtete über Zwangsehe, Ehrenmord und Verharmlosungen

„Bewegte Frauen – Frauen bewegen was“ ist das diesjährige 15. Festival der Frauen überschrieben. Im Rahmen dieses Kulturfestivals war am Donnerstagabend die bekannte türkische Menschenrechtlerin Serap Çileli im Frauenzentrum Primadonna in der Schiffbauergasse zu Gast und stellte ihr Buch „Eure Ehre – unser Leid – ich kämpfe gegen Zwangsehe und Ehrenmord“ vor. Çileli ist eine solche „bewegte“ und bewegende Frau.

Sie wurde 1966 in der Türkei geboren und mit acht Jahren nach Deutschland gebracht, wo sie im Alter von zwölf Jahren selbst das erste Mal zwangsverlobt wurde. Das Mädchen wusste sich gegen die Pläne ihres Vaters nur mit einem Selbstmordversuch zu wehren; die Verlobung wurde ein Jahr später von der Familie des Bräutigams gelöst, da sie mit so viel „Widerstand“ nicht umgehen wollte. Diesen Ehrverlust konnte der Vater ihr jedoch nicht verzeihen; noch zwei weitere Male versuchte er die widerspenstige Tochter auf diese Art und Weise unter die Haube zu bringen.

Serap Çileli, die sich mit 27 Jahren von ihrer Herkunftsfamilie, zu der sie seitdem keinen Kontakt mehr hat, emanzipieren konnte, arbeitet unermüdlich daran, anderen muslimischen Mädchen und jungen Frauen, die ähnliches Leid wie sie erfahren mussten, zu helfen. Sie gründete 2005 den „peri e.V.“ (Die gute Fee) und hat in dieser Zeit mehr als 500 Mädchen und Frauen im Alter zwischen 16 und 21 Jahren betreut. Sie nahm sie in Obhut auf der Flucht vor Zwangsverheiratung und besorgte Hilfe und finanzielle Unterstützung bei der Wiederherstellung der Jungfräulichkeit. Inzwischen suchen auch junge muslimische Männer die Hilfe des Vereins, zum Beispiel wegen Homosexualität oder ebenfalls drohender Zwangsehe.

Fast zweieinhalb Stunden lang erzählte Serap Çileli von den Schicksalen, die ihr im Kontext ihrer Arbeit tagtäglich begegnen, und so manches Mal hatte man als Zuhörerin das Gefühl, eher im Mittelalter als im 21. Jahrhundert zu leben. Elke Liebs, die Moderatorin des Abends, sagte in ihren einführenden Worten, dass das Schicksal von Çileli und unzähliger anderer muslimischer Frauen auch in Mitteleuropa noch gar nicht so lange der Vergangenheit angehört. Sie illustrierte das am Beispiel von Goethes Ballade „Die Braut von Korinth“ und zog Parallelen zwischen den sogenannten Ehrenmorden und den hierzulande bis noch vor einigen Jahrzehnten zwar verbotenen, damals aber trotzdem stattfindenden Duellen.

Çileli brachte mit ihren erschütternden Ausführungen Licht in eine Gesellschaft, die sich hierzulande zumeist hinter verschlossenen Türen abspielt. Das erste Kapitel, das sie las, war mit „Die Macht der Väter“ überschrieben und führte eindringlich vor Augen, wie sehr das patriarchalische Erziehungssystem – oberstes Gebot ist der Respekt gegenüber den Eltern – Kinder zu blinden Gefolgsleuten macht, ihre Individualität untergräbt und Gewalt in der Erziehung legitimiert.

Serap Çileli stellte mehrmals differenziert dar, was im Koran über die Rolle der Frau geschrieben steht und wie sehr der Islam in seiner jetzigen (unreformierten) Form dazu geeignet ist, insbesondere Gewalt gegen Frauen zu legitimieren. Sie machte deutlich, dass der Islam in den weltweiten Migrationsgesellschaften konservativer und rückwärtsgewandter gelebt wird als in den Herkunftsländern der Migranten. Die streitbare und couragierte Frau brachte Licht in die in Deutschland existierenden Parallelgesellschaften und zeigte mehrmals an Beispielen aus ihrer Praxis, dass die Integrationsarbeit der islamischen Dachverbände kontraproduktiv ist und die hiesigen Gesetze aufweicht.

Und sie wandte sich entschieden dagegen, das, was mitten unter uns passiert, zu verharmlosen und zu relativieren, wie es einige andere türkische Frauenrechtlerinnen tun. Stattdessen wandte sie sich gegen die Schließung der verbliebenen drei Kriseneinrichtungen in Deutschland und forderte multikulturelle Teams in den Beratungsstellen bundesweit.

Serap Çileli „Eure Ehre - unser Leid. Ich kämpfe gegen Zwangsehe und Ehrenmord.“, 14,95 Euro, München 2008.

Am heutigen Samstag um 11 Uhr wird zur Ausstellungsmatinée „Frauen im Kreuzfeuer“ mit Klezmer geladen. Die Schau in der Schiffbauergasse 4h zeigt Arbeiten der britischen Fotografin Jenny Matthews über Frauen von Afghanistan bis Uganda, die Erfahrungen mit Krieg und Gewalt gemacht haben.

Astrid Priebs-Tröger

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