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Kultur: Hetzer, Schleimer, Denunzianten

Schulbeispiele am Multifunktionstisch: Tilmann Köhler inszeniert am DT Horváths Vorkriegskrimi „Jugend ohne Gott“.

Ein schlaues Harald-Welzer-Zitat zu Beginn über den „Totalitarismus der Freiheit“ und die „Zerstörung von Sozialität“ durch den Horrorglauben, „in jedem Augenblick alles haben und sein zu können, was man haben kann und sein zu können glaubt“. Ein paar auf die Paradiesvertreibung verweisende demonstrativ verspeiste Äpfel und vier Jungen des „Knabenchors Berlin“, die hin und wieder glockenhell den Lobpreis Gottes anstimmen. Viel mehr braucht Regisseur Tilman Köhler nicht, um Ödön von Horváths Roman „Jugend ohne Gott“ aus dem Jahr 1937 als beklemmende Parabel von heute zu erzählen – und selbst diese Bezüge wären nicht zwingend nötig gewesen.

Denn die Dilemmata, in die Horváth seinen 34-jährigen Lehrer im Verlauf einer Kriminalgeschichte wirft, haben nicht gerade an Aktualität eingebüßt. Erstens: Wie hältst du es mit deiner Überzeugung, wenn das Kollektiv übermächtig wird und der Rausschmiss droht? Zweitens: Wie hältst du es mit eigener Schuld, wenn du durch Aufrichtigkeit die Verurteilung eines Unschuldigen verhindern kannst, dabei aber deine gesicherte Existenz verlierst? Im Gegenteil, im Gewand dieser hässlichen Vorkriegsgeschichte werden die ewigen Fragen um Feigheit und Selbstverleugnung und, andererseits, Mut und Ehrlichkeit (und die Rolle, die dem Glauben dabei zukommt) nur umso kenntlicher.

Ein junger Mann unterrichtet an einer Schule Geschichte, doch von Unterrichten kann keine Rede mehr sein. Die Schüler sollen vor allem auf den bevorstehenden Krieg vorbereitet, als Soldaten ideologisch fit gemacht werden. Als der Lehrer in einem Schüleraufsatz über Kolonialismus einen hetzenden rassistischen Absatz streicht und dem Schüler stattdessen hinter die Löffel schreibt, dass „auch Neger Menschen“ seien, will der wütende Schülervater ihn wegen Sabotage und Volksverhetzung am liebsten hängen sehen. Der Direktor beschwichtigt und gibt dem Lehrer eine Lehrstunde in Zynismus und Duckmäusertum.

Als Ausdruck ihrer fortschreitenden Entindividualisierung hat Horváth den Schülern die Vornamen verweigert. Sie heißen, wie im Polizeibericht, nur: „Der Z.“ oder „der R.“. Mit dem Geist dieser Abstraktion geht auch Tilmann Köhler an die Sache heran. Die Bühne besteht aus nüchternen Multifunktionstischen, die mit jedem Szenenwechsel verschoben werden (Bühne: Karoly Risz). Christoph Franken ist der Lehrer, aber alle anderen – Thorsten Hierse, Anton von Lucke, Helmut Mooshammer, Barbara Schnitzler und die „Ernst Busch“-Studenten Maike Schmidt und Harry Schäfer – bilden ein in zeitlos schickes Grau gekleidetes Kollektiv (Kostüme: Susanne Uhl), in dem ständig die Rollen gewechselt werden und jeder Übergang auf der Bühne sichtbar bleibt. So wie die Schauspieler zwischendurch auf Tischtürme klettern oder sich verspielt in Formation aufbauen, könnte das Ganze auch die Probe einer Jugendtruppe sein – wenn da nicht diese Neugier, diese analytische Sachlichkeit wäre. Es ist nicht einfach, die Qualität dieses Abends in Worte zu fassen, weil Tilmann Köhlers Arbeit vor allem im Wegnehmen besteht. Er hilft den Schauspielern, sich unverstellt zu zeigen, obwohl der permanente Figurenwechsel das Gestellte, den Spielcharakter unterstreicht – woran allerdings auch die Gitarrenbegleitung des Musikers Thonaci ihren Anteil hat. Aber es ist ein ernstes Spiel. Hier wird etwas vorgeführt, um dahinter zu kommen. Hinter die Teufelskreise des Misstrauens etwa oder die Kettenreaktionen der Furcht.

Unaufdringlich und präzise wechselt Helmut Mooshammer vom wütenden Nazivater zum ironischen Staatsanwalt, Barbara Schnitzler von der kaltherzigen Mutter zum leichten Mädchen, das gern bei der Überführung eines Tatverdächtigen behilflich ist. Beeindruckend auch Thorsten Hierse als verbitterter, in die Provinz zwangsversetzter Philosophenpfarrer und als verliebter und opferbereiter Schüler, der störrisch die Wahrheit in sich vergräbt, um jemand anderen zu schützen.

Die Geschichte eskaliert natürlich. In einem Soldatenvorbereitungscamp wird der Schüler Z., eben jener zuvor gegen die Schwarzen hetzende Pimpf, erschlagen, und das Drama wird zum Krimi, in dem plötzlich viele etwas zu verbergen haben. Wie die Sache ausgeht, welche Rolle dabei ein Kompass und die Augen eines Fisches spielen und vor allem: wie beim Lösen des Falls die großen Fragen mitbeantwortet werden – das sollte man selbst erleben. Andreas Schäfer

Weitere Aufführungen: 28. Dezember

sowie 4., 8. und 19. Januar.

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