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Kultur: Grablege für „Einfache“

Friedhof in der Wichgrafstraße 250 Jahre alt

Friedhof in der Wichgrafstraße 250 Jahre alt Sonnenbeschienen und still zeigte sich gestern Nachmittag der Friedhof in der Babelsberger Wichgrafstraße. Nur hin und wieder wurde die Friedhofsruhe durch Kinderlachen unterbrochen, doch nicht gestört. Leben und Tod, Ankunft und Abschied gehören zusammen. Seit nunmehr 250 Jahren wird auf diesem Friedhof Abschied genommen. Gestern gedachten Babelsberger Gemeindeglieder und Gäste in der Friedrichskirche auf dem Weberplatz mit einem Vortrag des Friedhof- und Stadthistorikers Dr. Klaus Arlt und mit einer Führung von Manfred Mollenhauer des „Geburtstages“ des Kirchhofs der Babelsberger evangelischen Kirchengemeinde. Erst vor zwei Jahren wurde die Gründung von Nowawes vor 250 Jahren gefeiert, ein Ort, der vornehmlich für böhmische Flüchtlinge entstand, 2003 gedachte man einem Viertel Jahrhundert Kirchweih. Im Mittelalter und teilweise auch noch in späterer Zeit legte man Kirchhöfe direkt neben der Kirche an. Mitte des 18. Jahrhunderts war es schon oftmals aus hygienischen Gründen üblich, dass man sie in die Randlagen von Siedlungen verlegte. Sie wurden auch als „Feldbegräbnisse“ bezeichnet. Am 28. Juli 1754 fand die erste Beerdigung am Rande des von Friedrich dem Großen gegründeten Ort Nowawes statt. Der „Wichgraf-Friedhof“, wie ihn Klaus Arlt kurz und bündig nannte, nahm die Toten aller christlichen Konfessionen auf, Lutheraner, Reformierte und auch Katholiken. Das war bereits seit dem Dreißigjährigen Krieg überall gang und gäbe. Der Friedhof der Nowaweser galt im 18. und weit bis in das in das 19. Jahrhundert hinein als ein Arme-Leute-Friedhof, prachtvolle Grabdenkmäler aus der Barockzeit sucht man vergeblich, böhmisch-tschechische Inschriften ebenfalls. Die Gräber der alten böhmischen Exilanten sind längst aus dem Friedhofsbild verschwunden. Bei einem Spaziergang wird man nur wenige bekannte Namen auf den Gedenksteinen entdecken, wie beispielsweise in Bornstedt. Auf diesem Babelsberger Friedhof fanden vor allem die „einfachen“ Bewohner von Nowawes und Babelsberg ihre letzte Ruhe: Handwerker, Viktualienbesitzer, Lehrer, Pfarrer, Küster und Kantoren, im 20. Jahrhundert dann auch Wissenschaftler wie der Astronom Julius Dick sopwie der Physiker Johannes Picht. Arlt und Mollenhauer bezeichnen die Grabstelle von Generalleutnat Friedrich Wilhelm Erhard von Knobloch (gestorben 1817) als die wohl bemerkenswerteste des Friedhofs. Der Offizier, der in Potsdam wohnte, war Freimaurer, denn auf dem Grabstein liest man, dass der Verstorbene „zu himmlischen Geistern eingegangen ist“. Der Grabstein mit dem aufgesetzten Kreuz, so Manfred Mollenhauer, soll von Studierenden der Fachhochschule Potsdam restauriert werden, auch das Metallkreuz des beliebten Nowaweser Ortsvorstehers Josua (gestorben 1853). Die Friedhofshistorie war jahrzehntelang geprägt von Auseinandersetzungen über die Erweiterung des Areals, über die Begrenzung ob mit Bretterzaun oder mit Sträuchern sowie über die Durchsetzung von Belegung von Reihengräbern und Möglichkeiten, Erbbegräbnisstellen (seit 1833) zu erwerben. Auch zur Gestaltung des Friedhofs kam man immer wieder ins Gespräch. 1857 wurde ein „freundlicher Anblick“ in einem Visitationsbericht der Regierung der Nowaweser Grablege eingefordert. Übrigens war noch im 19. Jahrhundert der Nachtwächter zugleich auch der Totengräber. Der „Wichgraf-Friedhof“ ist heute ein freundlicher Begräbnisplatz. Alte Bäume „bevölkern“ die Anlage, Hecken umgeben die Grabstellen, die Kapelle erhielt 1935 von dem Nowaweser Architekten Fritz Eisner seine heutige Form. Im vergangenen Jahr wurde auch hier eine Gemeinschaftsanlage für anonyme Urnenbeisetzungen geschaffen. So hält auch hier die neue Friedhofskultur ihren Einzug. Klaus Büstrin

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