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Gidon Kremer im ausverkauften Nikolaisaal: Wehe Abschiedstöne

Der Geiger Gidon Kremer spielte anlässlich seines 70. Geburtstages im ausverkauften Nikolaisaal.

Ein leises Abschiedsgefühl durchzieht den Abend mit Gidon Kremer und der Kremerata Baltica im ausverkauften Nikolaisaal in Potsdam. Anlässlich seines 70. Geburtstags im Februar dieses Jahres schenkte der gefeierte Geiger aus lettisch-deutsch-jüdischer Familie seinen Zuhörern ein besonderes Konzert.

Jedes der Werke, so unterschiedlich sie auch sind, markiert einen Herzpunkt im langen Leben des Musikers. Als Vorspiel erklingt Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierkonzert C-Dur, ein strahlendes Jugendwerk, das den Zauber des Anfangs verströmt. Der junge Pianist Lucas Debargue stürzt sich übermütig in die Skalen und Triller des ersten Satzes, verleiht dem terzenseeligen Andante spieluhrzarte Klänge, lässt die Episoden im Schlussrondo kaleidoskopisch bunt aufleuchten – ein ungetrübter kindlicher Spaß.

Die Kremerata Baltica, das vor 20 Jahren von Gidon Kremer gegründete Kammerorchester mit jungen Musikern aus den baltischen Ländern spielt dazu selbstständig. Erst danach betritt Gidon Kremer das Podium, recht klein und schmal, die weiße Farbe von Haar und Hemd kontrastiert mit dem Schwarz von langer Weste und Hose. Man spürt, dass ihm Glanz und Glamour fremd sind, dass er der Musik, die sein Leben war und ist, dienen möchte. Mit Franz Schuberts Fantasie C-Dur führt er in eine andere Welt, getränkt von Sehnsucht, Wehmut und Erinnerungen. Wie aus dem Nichts entstehen die Töne aus den Pianissimo-Tremolo der Streicher, begleitet von dunklen Cello-Wirbeln. Gespielt wird eine Orchesterfassung von Victor Kissine mit verteilten Melodiestimmen wie in einem barocken Concerto. Zugunsten der ungleich kräftigeren Klänge von erstem Geiger, Bratsche und Cello tritt Gidon Kremer immer wieder in den Hintergrund.

Doch wenn er spielt, steigen die Töne wie silberne Fäden auf, entzücken mit filigranen Ziselierungen und meisterhaftem Saitenspiel. Puristen kann diese süffige Version von Schuberts genialem Spätwerk sicher nicht überzeugen, doch ein Platz auf den Klassikhitlisten ist ihr gewiss. Nostalgie im Breitwandformat erklingt im Last Song von Georgs Pelecis, der von der jungen Geigerin Clara-Jumi Kang ausdrucksstark gespielt wird – eine Elegie mit wehen Abschiedstönen. Sie gesellt sich zum konzertanten Duo in Alfred Schnittkes Concerto grosso Nr. 1, das 1977 von Gidon Kremer in Leningrad aus der Taufe gehoben wurde. Mit seiner dekonstruktivistischen Machart kann dieser Meilenstein der Postmoderne auch heute noch überzeugen. Zitate vom Barock, aus Schnittkes eigener Filmmusik bis hin zu dissonanter Atonalität klingen spielerisch an, auf dem Cembalo ertönt sogar ein Tango, den Schnittkes Großmutter immer wieder gespielt hat. Ein gewitzter Showdown aus drei Jahrhunderten westlicher Musikgeschichte, der tiefen Ernst mit kompositorischer Leichtigkeit verbindet. Dass selbst die Musik flüchtig wie das Leben ist, kann als Quintessenz daraus gezogen werden.

Als Gidon Kremer in den 90er-Jahren die Musik des Argentiniers Astor Piazzolla entdeckte, faszinierten ihn dessen energetische, leidenschaftlich vibrierende Tangos. Zum Abschuss spielt die fantastische Kremerata Baltica überaus schmiegsam und leuchtend zwei Tangos von Piazzolla in der Version von Andrei Pushkarev, dem hochbegabten Percussionisten. Seine fabelhaften Vibrafon-Klänge kontrastieren im Tango Cellos mit dem samtschwarzen Celloton von Giedre Dirvanauskaite, die Kontrabässe grooven in knackigen Synkopen, wie Sandpapier knirschen die Streicher dazwischen – absichtlich natürlich. Ein wenig wehmütiges Schwelgen erlaubt sich Gidon Kremer dann doch noch beim Grand Tango im Finale – verweile doch, du bist so schön, möchte man rufen und hofft, dass dies kein allerletzter Abschied von diesem wunderbaren Künstler ist.

Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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