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Kultur: Gegen den Strom

Erwin Heretsch stellte sein neues Buch „Unbequem“ in der Arche vor

Kurz nach der Wende beschied ihm selbst der St. Benno Verlag: Das interessiert doch niemanden mehr. Der katholische Christ Erwin Heretsch wollte damals seine Erinnerungen an die DDR-Zeit aufschreiben und auch Persönlichkeiten wie dem ehemaligen Außenminister Georg Dertinger oder dem Nossener Pfarrer Willy Kohl ein Denkmal setzen. Er schrieb trotzdem sein erstes Buch „Gegen den Strom“, und es erschien in mehreren Auflagen. Bis heute findet es viele Leser.

Am Dienstagabend war Heretsch, den nicht wenige Zuhörer im Raum bereits aus den früheren Gesprächskreisen „Potsdamer Angebote“ kannten, in der Arche zu Gast und stellte sein jüngstes Buch „Unbequem“ vor. Der inzwischen fast 80-jährige Pädagoge hat sich für die Fortsetzung seines Erstlings entschieden, weil für ihn die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit auch heute nicht abgeschlossen ist. Das war nicht nur seinen bewegenden Schilderungen des eigenen Rauswurfes aus dem Schuldienst 1958 deutlich anzumerken.

Erwin Heretsch, Jahrgang 1928, wurde gleich nach der Rückkehr aus russischer Gefangenschaft und bestandenem Abitur sogenannter Neulehrer. Ohne pädagogische Ausbildung musste er sowohl 120 Kinder unterrichten als auch alles organisieren, was für den Schulbetrieb nötig war. Das gelang ihm auf Anhieb und „es war wunderschön“, sagt er noch heute begeistert. Umso unverständlicher erschienen ihm die Bestrebungen, die 12 Jahre später zu seiner Entfernung aus dem Schuldienst führten. Der aktive Christ hatte sich kritisch gegenüber der Jugendweihe, der russischen Armee und auch den LPG“s geäußert und war „strammen“ Genossen wegen seiner Konfession ohnehin schon lange ein Dorn im Auge.

Noch immer gespenstisch mutete das „Kesseltreiben“ an, das bereits 1956 gegen ihn einsetzte und anderthalb Jahre später in einem gnadenlosen Schauprozess gipfelte. Diese Demütigungen verfolgten Heretsch, der danach auch beruflich Zuflucht bei der Kirche fand, dennoch ein Leben lang. Und nach der Wende machte er sich auf, die Menschen wiederzufinden, die seine Absetzung vor mehr als 45 Jahren mit allen Mitteln betrieben hatten. Neben auch am Dienstagabend eingestandenen Hass- und Rachegefühlen, trieb ihn seit langem ein „Traumbild“ um. Was würde passieren, wenn er sie jetzt treffen und um ein Gespräch und „eine Tasse Kaffee“ bitten würde? Heretsch gelingt das Unerwartete: Eine menschliche Begegnung mit den ehemaligen Tätern und Vergebung des Geschehenen durch das frühere Opfer wird möglich.

Wie tief und schmerzend die Wunden bei anderen hingegen noch immer sind, war der Wortmeldung einer ehemaligen Potsdamer Lehrerin anzumerken. Mit tränenerstickter Stimme erzählte die alte Frau davon, dass ihr Vergebung nicht möglich ist, nachdem sie bis heute nicht weiß, was aus ihrem Sohn geworden ist, den die Stasi als Druckmittel gegen sie benutzte. Erwin Heretschs Buch „Unbequem“ ist ein Plädoyer dafür, gerade diese Vergangenheit nicht ruhen zu lassen. Es zeigt darüber hinaus auch die ehemalige sozialistische Schule „als Ort des fanatischen Klassenkampfes“ auf, wie Bischof Joachim Reinelt im Vorwort schrieb. Trotz allem erlittenen Unrecht hat sich der Autor auch jede Menge Sinn für Humor bewahrt, den er nicht nur durch das gekonnte Erzählen alter Ulbricht-Witze unter Beweis stellte. Auch jüngere Zuhörer, in der bis auf den letzten Platz besetzten Arche, zeigten Interesse daran. Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-Tröger

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