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Sie ergänzen sich, ohne einander zu brauchen: Amir steht halbnackt vor seiner Frau Emily.

© HL Böhme/Hans Otto Theater

"Geächtet" am Hans Otto Theater: Die Grenzen des Egos

Wie kann man als Migrant überhaupt in einer neuen Gesellschaft ankommen? Das Otto Theater geht dieser Frage mit dem Stück "Geächtet" nach. Eine gelungene Premiere.

Potsdam - Weiße Waden staksen unten aus den weißen Shorts. Amir steht halbnackt vor seiner Frau. Sie kniet vor ihm immer tiefer, um ihn zu zeichnen. Sie voller Hingabe, er abwesend, telefoniert mit seiner Kanzlei, ist wieder bei ihr. Sie sind – trotz ihrer unterschiedlichen Positionen – vertraut miteinander, ziehen sich gegenseitig auf, ohne sich über den anderen lustig zu machen. Es ist klar: Amir – gespielt als Gehetzter zwischen Mut, Ego und Demut, von Jon-Kaare Koppe – und Emily – gespielt von Melanie Straub – sind ein gutes Paar. Sie ergänzen sich, ohne einander zu brauchen.

Und sie beschützen sich. So scheint es. Der ganze Grund, warum Emily, die New Yorker Künstlerin, ihren Mann, den Anwalt, heute so malt, ist ein Vorfall am Abend zuvor. Sie waren essen, ein Kellner hat ihn rassistisch beschimpft. Amir ist Muslim, zumindest qua Geburt, seine Eltern Pakistani, er aber fühlt sich als Amerikaner durch und durch. Den Islam verachtet er, eine Wüstenreligion mit Glaubenssätzen für Stämme aus dem 7. Jahrhundert, die seine Anhänger aber leider noch heute den Menschen aufzwingen und sie über das Gesetz stellen wollen. Er ist Anwalt, er ist liberal, für ihn ist das unerträglich.

Der Vorfall im Restaurant quält weniger ihn als sie, sie muss es verarbeiten, deshalb malt sie ihn. Aber eben nach einem historischen Vorbild: Velázquez „Juan de Pareja“, einem Gemälde von 1650, auf dem der Maler seinen schwarzen Diener in herrschaftlicher Kleidung porträtierte. „Ein bisschen abwegig ist das schon“, sagt Amir, aber Emily antwortet nur anzüglich: „Du magst es doch abwegig“.

"Geächtet" war ein Riesenerfolg am Broadway

So leicht beginnt „Geächtet“, das Stück von Ayad Akhtar, das am Freitag am Hans Otto Theater unter der Regie von Elias Perrig Premiere hatte. Es ist kein großes Risiko von Tobias Wellemeyer und Dramaturg Christopher Hanf, das Stück ans Haus zu holen – es war ein Riesenerfolg am Broadway. Aber es ist ein kluges Stück, das vielschichtig das Dilemma unserer Zeit auffächert: Was verlangen westliche Gesellschaften von der muslimischen Welt, von Einwanderern, und was müssen sie verlangen? „Geächtet“ gibt keine Antwort, es zeigt, was noch besser ist, wie viel komplexer, als wir glauben, die Frage ist. Akhtar, 1970 in New York geboren, ist selbst Kind pakistanischer Einwanderer. Seine Eltern hatten – wie Amir, mit der ererbten Religion gebrochen, er fing später an, sich damit wieder zu beschäftigen.

Etwas davon findet sich in seiner Figur Emily. Straub spielt sie, wie sie immer spielt: feinsinnig, hingebungsvoll. Sie ist in dieser Rolle, was sie auch als Schauspielerin ist: eine, die alles durchdringen will. Die kosmopolite Amerikanerin Emily mit den roten Haaren, das glaubt man ihr nicht nur, das fühlt man, liebt Amir – fast mehr noch aber seine Kultur. Vielleicht, weil sie ihn liebt, genau erfährt man das nicht, weil sie es selbst nicht weiß. Zwischen ihr und Amir – dessen Hunger nach Liebe Koppe den Zuschauer ebenfalls spüren lässt – ist da jedenfalls dieser Graben zwischen Hass auf den Islam und seiner Romantisierung. Was – auf Mikro-Ebene – auch die ganze westliche Sicht widerspiegelt.

Das ist das Starke an „Geächtet“, dass es so leicht und unterhaltsam die großen privaten mit den großen gesellschaftlichen Fragen verstrickt. Denn Amirs Hass kommt – wie immer – aus einem ganz persönlichen Erlebnis. Auf dieser Steigerung vom Privatesten ins Politischste ist das ganze Stück aufgebaut. Amirs erste Liebe, erzählt er nebenbei, war Rivka, ein Mädchen aus seiner Schule. Das schönste, klügste, lustigste, erinnert er sich. Bis seine Mutter dahinter kam und ihm ins Gesicht spuckte. Mit einer Jüdin – niemals, das war ihre Botschaft. Und statt sich zu widersetzen, spuckte er am nächsten Tag Rivka ins Gesicht.

Die Geschichte wirkt dann doppelt schmutzig

Vor den weißen Wänden ihres schicken Apartments – geschmückt nur durch weiße dicke brennende Kerzen, die der Bühne (Beate Faßnacht) etwas von einem religiösen Raum geben –, wirkt die Geschichte doppelt schmutzig. Und sie wirft zum ersten Mal im Stück die Frage auf, die im Laufe des Abends durchdekliniert werden wird: Wo kommt das her, was wir sind? Aus uns selbst? Aus der Kultur, aus der wir kommen? Gibt es überhaupt ein autonomes Selbst, oder ist auch das auf immer untrennbar verwoben mit unserer Herkunft? Es ist die Frage nach dem Ich, um die es in „Geächtet“ geht, und das auf vielen Ebenen. Emily, die schöne, gebildete weiße Künstlerin, findet das Ich in ihrer – der westlichen – Kultur überbewertet. Emily schaut mit romantischem, ja exotisierendem Blick auf die Welt des Islam, in dem das Ego weniger, die Hingabe an etwas Größeres umso mehr zählt.

Jedes Stück ein elegantes Statement

In einer kurzen Szene mit ihrem Galeristen Isaac, hinreißend gespielt von Philipp Mauritz, dekliniert sie das anhand der Kunst elegant herunter: Wie das Ornamentale, Gegenstandslose fast alle anderen Stile beeinflusst hat. Sie kann nach diesem kleinen Vortrag mit Recht sagen: Der Islam gehört zu uns, zum Kanon der visuellen Ästhetik. Sie lebt das, was sie sagt, bis in ihre von arabischem Muster leuchtenden Kleider hinein – jedes Stück ein elegantes Statement (Kostüme Sara Kittelmann).

Und gleichzeitig ist es genau diese Hingabe an die Hingabe, die – vermeintliche – Überwindung des Egos, die sie blind macht für das Ich ihres Mannes Amir. Seinen Selbsthass, seine Zerrissenheit. Dass er seit Monaten keinen Sex mit ihr haben kann, bringt sie mit nichts in Verbindung, dass er – seit er den Prozess gegen einen mutmaßlichen islamistischen Hassprediger besucht hat – Stress in seiner Kanzlei hat, weiß sie nicht einmal. Die weißen, beweglichen Wände – aus kaum mehr besteht die Bühne – überblenden jeden Unterschied, jedes Problem.

Amir wird nie einer von ihnen sein

Bis eines Abends Isaac und seine schwarze Frau Jory (Larissa Aimée Breidbach) zu Besuch kommen. Dass Emily Schweinelende kocht – das einzige, das weder koscher noch halal ist – ist ein schönes Detail von Perrig, das zeigt, wie ausgeblendet alle religiösen Hintergründe hier werden. Bis die Plauderei der vier, einem Juden, einer Christin, einem Muslim und einer Schwarzen über die Burka-Debatte zu 9/11 führt. Und Amir, von den anderen schon irgendwie in die Enge getrieben, plötzlich klar wird, dass er, egal was er tut, egal wie smart und offen er ist, egal wie hart er arbeitet, nie einer von ihnen sein wird. Dass ein winziger „Fehler“, wie eben als Zuschauer zum falschen Prozess zu gehen reicht, um ihn wieder zum Fremden zu machen, zu einem, der verdächtig ist. Dass sie in ihm immer auch den Teil sehen werden, den er so ablehnt.

Da gibt er es zu: Dass er nämlich damals, als die Türme einstürzten, so etwas wie Stolz empfunden habe. „Und das ist falsch, schreit er. Verzweifelt. „Aber es kommt eben irgendwo her!“ Aus dem Islam, meint er. „Es kommt aus dir“, schreit Isaac zurück. Da ist es. Ego gegen größere Ordnung. Statt beides, wie in der Kunst, zusammenzudenken, reißt Amir den Graben noch ein bisschen tiefer auf. Mit einem Vergleich, der so falsch ist, wie es nur geht, indem er Terror mit dem Recht auf Selbstverteidigung gleichsetzt: Ob Isaac nicht auch Stolz empfinde angesichts der militärischen Überlegenheit Israels. Es ist schwer, Koppe dabei zuzusehen, wie er sich – gegen seinen Willen – in das Bild verwandelt, das Emily in glücklicheren Zeiten von ihm gemacht hat.

„Geächtet“ von Ayad Akhtar wieder am Montag, 3. Oktober, 18 bis 19.15 Uhr im Hans Otto Theater, anschließend Publikumsgespräch, Karten 13-33 Euro. Mehr Infos zum Stück >> 

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