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Zu Gast im Thalia: Manami Nagahari (l.) und Hitomi Kamanaka

© Manfred Thomas

Kultur: Fünf Jahre nach der Verstrahlung

Segen und Fluch der Kernkraft: Mit einem Sonderprogramm widmete sich das Babelsberger Programmkino Thalia dem Jahrestag des Unglücks in Fukushima

Von Sarah Kugler

Die Leinwand ist gefüllt mit einem Netz aus schwarzen Waben. Körperzellen, die sich im Zeitraffer bewegen. Dazwischen drängen sich weiße, dicke Fäden, die sich immer mehr verbreiten, sich zwischen die Zellen quetschen, sie verdrängen. Die Bilder, die Manami Nagahari in ihrer Life-Installation „7,25 Strahlung – Tschernobyl, Fukushima, Berlin“ anlässlich des Jahrestags des Fukushima-Unglücks im Babelsberger Thalia Kino zeigte, könnten Aufnahmen ihrer eigenen, von Metastasen durchzogenen Zellen sein.

Im Jahr 2014 erkrankte die seit zehn Jahren in Berlin lebende japanische Musikerin und Sängerin an Brustkrebs und verknüpfte dieses persönliche Thema in ihrer Installation mit den Katastrophen in Tschernobyl vor 30 Jahren und Fukushima vor fünf Jahren. Die Strahlung, die dort Tod und Leid bedeutet, ist für Nagahari die Rettung. Gemeinsam mit den Schauspielern Ulrich Meinecke und Wlada Vladislava verknüpfte sie Stimmen sowie Eindrücke, die sie auf Reisen in die Sperrzone von Fukushima und in ein Kindererholungsheim in Weißrussland gesammelt hat. Auf der Leinwand flimmern zerstörte Häuser, Puppengesichter, aus deren Augen Würmer krabbeln, flackernde Augen, die durch die Strahlung weiß erscheinen. Dazwischen Krankenhausgeräusche, Worte über Angst, Leere und Stille. Nagahari verfolgt keine klare Linie, sondern zielt auf die Emotionen der Zuschauer, zeigt ihnen unbequeme Bilder und wirft spirituelle Fragen auf, etwa wenn sie sagt: „Und ich trage eine Krone aus Strahlung und ein Kleid aus blauen Kreuzen.“

Rettung durch das „Kreuz“ also, doch um welchen Preis? Wie viel Macht haben wir noch über unser Leben? Welche Verantwortungen tragen wir? Wo müssen wir Grenzen setzen? All diese Fragen schwingen in ihrem Hör- und Sehstück mit und leiteten damit am Montag gut auf den Dokumentarfilm „Little Voices from Fukushima“ von der japanischen Regisseurin Hitomi Kamanaka über, die im Anschluss an ihren Film zum Gespräch anwesend war. Ähnlich wie Nagahari verknüpft auch sie die Katastrophen in Fukushima und Tschernobyl, widmet sich dabei aber in erster Linie den betroffenen Kindern und Müttern. Sie reiste dazu in die betroffenen Gebiete und stellt in ihrem Film vor allem japanische Mütter vor, die vor Ort versuchen, ihren Kindern trotz der hohen Strahlengefahren ein angstfreies Leben zu bescheren. Dabei sammeln sie Informationen, graben kontaminierte Grundstücke um und sammeln unverstrahltes Gemüse aus Nachbarregionen. Nicht selten stoßen sie auf Widerstand in der Gesellschaft, manchmal sogar in der eigenen Familie.

Wie Kamanaka sagte, sei es sehr schwierig gewesen, Frauen zu finden, die dem Film ihre Stimme geben wollten, weil sie unter Druck gesetzt werden. „Die Regierung spielt das Problem runter, sagt, die Strahlung sei nicht so schlimm“, so die Regisseurin. „Dabei sind oft ganze Familien an Krebs erkrankt, Babys kommen mit Behinderungen zur Welt – die Nachfolgen sind kaum kontrollierbar, Lösungen müssen her.“ Lösungen fordert auch der Dokumentarfilm „Power to change“, der nach Alternativen zur Kernkraft sucht und täglich um 21 Uhr im Thalia Kino zu sehen ist. Sarah Kugler

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