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Kultur: Freude und Beklemmung

Roger Bernats „Frühlingsopfer“ und Arkadi Zaides „Land Research“ bei den Tanztagen

Wie reagiert eine Gruppe, wenn sie Anweisungen befolgen soll? Was passiert, wenn das Publikum, zum Mitmachen aufgefordert, integraler Bestandteil der Performance wird? Mit solchen Fragen beschäftigte sich der katalanische Regisseur Roger Bernat in seiner Inszenierung am Samstagabend im Rahmen der Potsdamer Tanztage. Auf der Grundlage der weltberühmten Choreografie von Pina Bausch „Le Sacre du Printemps“ (1975) – Bernat übernimmt die Bühnenanweisungen von Pina Bausch beinahe wörtlich – entstand an diesem Abend eine originäre Potsdamer Aufführung des „Frühlingsopfers“.

Gut 120 Besucher mit Kopfhörern betraten nach und nach die leere Schinkelhalle. Die wenigen Stühle am Rand waren sofort besetzt. Dann ertönte über die Kopfhörer eine weibliche Kunststimme, die die Anwesenden um Hilfe bat. Jemand sollte das Wort „Sonnenaufgang“ auf eine der vier Tafeln im Raum schreiben. Die anderen Tafeln erhielten die Aufschriften „Wald“ und „Hügel“ und schon durch diese Aktionen entstand Bewegung und das kommende Geschehen war verortet. Menschen aller Altersklassen, Frauen und Männer unterschiedlichster Statur und Beweglichkeit folgten den detaillierten Anweisungen, die ihnen gruppenweise über die Kopfhörer mitgeteilt wurden und bewegten sich mehr oder weniger präsent und ausdauernd zur Musik von Igor Strawinsky.

Was dem britischen Choreografen Royston Maldoom nach intensiven Proben mit 250 Schülern gelang, passierte hier aus dem Stand und erreichte eine beachtliche Intensität, bei der es keine Rolle spielte, ob das auserwählte Frühlingsopfer von einem Mann oder einer Frau verkörpert wurde. Die Nichtprofessionellen stellten sich in den Dienst der kongenialen Choreografie Pina Bauschs und vermochten das archaische Geschehen aus dem heidnischen Russland nachzuempfinden und abzubilden. Ein sehr plastischer Akt kultureller Demokratie! Natürlich gab es auch die ewigen Zuschauer und man kann auch einwenden, dass so eine spontane und gleichzeitig durchchoreografierte Aktion niemals die Intensität und Ausdrucksstärke des Vorbildes erreichen kann. Sei es drum, den meisten Beteiligten schien das Mitwirken Freude bereitet zu haben.

Dieses Gefühl fehlte nahezu vollständig in der Uraufführung von „Land Research“ des israelischen Choreografen Arkadi Zaides. Über die gesamte Rückwand der Bühne in der „fabrik“ war eine Leinwand gespannt. Dort konnte man Foto-Impressionen aus einem besetzten Land sehen: übereinander getürmte Mauerblöcke, Metallzäune vor grauem Himmel, Betonbunker mit unzähligen Einschusslöchern. Zwei Frauen (Yuli Kovbasnyan, Raida Adon) und drei Männer (Ofir Yudilevitch, Sva Li-Levi und Asaf Aharonson) verschiedener Altersgruppen und israelischer, palästinensischer und russischer Herkunft tanzten in fünf expressiven Solostücken mit großer Intensität Gefühle, die Menschen, die ihr Land verloren haben, bewegen: Wut und Verzweiflung, Angst, Verlassenheit und Sehnsucht nach Entspannung. Dabei gelang es vor allem den beiden Frauen, das enge Nebeneinander positiver und negativer Emotionen überzeugend darzustellen.

Sehr berührend die palästinensische Tänzerin Raida Adon, die nach dem überaus atemlosen Solo von Ofir Yudilevitch mittels eines Volksliedes so etwas wie Heimat und Kindheit in die ansonsten vorwiegend bedrückende Inszenierung einbrachte. Die Betonmauer mit den drei stilisierten weißen (Friedens-)Tauben, die im Anschluss an ihren Auftritt eingeblendet wurde, wirkte jedoch plakativ und man hätte sich zwischen den einzelnen Auftritten eher die weiße leere Rückwand als Projektionsfläche für eigene Assoziationen gewünscht. Diese konnten sehr unterschiedlicher Art sein, als Sva Li-Levi als Vorletzter die Bühne betrat und mit seinen gemurmelten Selbstgesprächen die klaustrophobische Situation in einem Bunker spiegelte, letztlich auf nichts anderes als auf den eigenen Körper als eigentliche Heimat zurückgeworfen.

Am Schluss der sich etwas zu lang anfühlenden hochpolitischen Inszenierung gab es geteilte Reaktionen. Während die Einen begeistert applaudierten, verließen andere wie erlöst sehr zügig den Saal während wieder andere noch Momente beinahe regungslos auf ihren Stühlen verharrten. Astrid Priebs-Tröger

Andrew Harwood & Benno Voorham mit „Miscellaneous Misunderstandings“ am morgigen Mittwoch, 20 Uhr, im T-Werk, Schiffbauergasse

Astrid Priebs-Tröger

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