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Steve Carell (links) ist der Verwalter der utopischen Wüstenstadt Asteroid City im gleichnamigen Film von Wes Anderson.

© Pop. 87 Productions/Focus Features

Filmfestival Cannes: Von Aliens und anderen höheren Wesen

Wes Anderson, Aki Kaurismäki und Jessica Hausner bringen ihren speziellen Humor in den Wettbewerb ein. Der finnische Regisseur feiert ein triumphales Comeback.

Von Andreas Busche

Filmstars, die Filmstars spielen – das ist auch eine treffende Beschreibung für das Procedere auf dem roten Teppich in Cannes. Die berühmten 24 Stufen hinauf zum Grand Théâtre Lumière sind eine Performance: Innerhalb weniger Minuten ist man ist Botschafter:in eines Films und der eigenen Marke, Werbeträger:in von Designern und Beauty-Produzenten, publikumsnah und gleichzeitig von einer glanzvollen Aura umgeben.

Sehr eindrucksvoll war das am Eröffnungsabend vor inzwischen schon wieder neun Tagen zu sehen, als die französische Regisseurin Maïwenn in perfekter Maskerade neben ihrem Star Johnny Depp die Stufen erklomm und die – Insidern zufolge – erbitterten Machtkämpfe am Set von „Jeanne du Barry“ einfach weglächelte.

Anderson reduziert die Starpower auf Cameo-Auftritte

Einen Filmstar spielt auch Scarlett Johansson in Wes Andersons neuem Film „Asteroid City“, mit schwarzer Perücke und dem entrückten Glamour der späten Bette Davis. Am Dienstag schreitet sie mit Tom Hanks, Jason Schwartzman und dem Regisseur über den roten Teppich und darf sich noch einmal im Blitzlichtgewitter an ihrer Starpower erfreuen. Einer Power, der Anderson in seinen Filmen, in denen große Namen gleich dutzendweise auf bessere Cameo-Auftritte reduziert werden, ironisch entgegenarbeitet.

Der Star ist in einem Wes-Anderson-Film immer der Regisseur, der sich eine unverkennbare Handschrift erarbeitet hat. Selbst die Hollywood-Prominenz (unter anderem Steve Carell, Ed Norton, Margot Robbie) degradiert sie zu Statisten.

Wie viele Hollywoodstars passen auf einen roten Teppich? „Asteroid City“-Regisseur Wes Anderson in der Mitte zwischen (v. l.) Maya Hawke, Steve Carell, Rupert Friend, Stephen Park, Jason Schwartzman, Jeffrey Wright, Scarlett Johansson, Bryan Cranston, Matt Dillon und Jake Ryan.

© REUTERS/Sarah Meyssonnier

Asteroid City heißt das Wüstenkaff, das es durch einen Meteoriteneinschlag zu nationaler Berühmtheit gebracht hat. Die fünfziger Jahre sind die Ära des space race und der amerikanischen Faszination für Aliens (eine Metapher für den Systemfeind Russland). Auch die Kids träumen von einer optimistischen Zukunft; noch hoffen sie, diese mitgestalten zu können.

Die futuristischen Erfindungen dieses „Jugend forscht“-Wettbewerbs und die saturierten Pastellfarben eines hyperartifiziellen Westernsettings – auf einer Meta-Ebene gleichzeitig die Kulisse einer Theaterproduktion – sind in doppelter Hinsicht „Vintage Anderson“.

Doch die Selbstbezüglichkeit der Schauwerte, die allenfalls noch vom Filmset auf die Realität einer Bühne verweisen, produziert nicht mehr als hübsch ondulierte Zuckerwatte. Wenn Stars in diesen überbordend ausgestatteten Kino-Dioramen ausdruckslos ihre Sätze aufsagen (ein Highlight ist ein sprachloser Jeff Goldblum als spindelbeiniger Außerirdischer), stellt sich leicht Genügsamkeit ein.

Kaurismäki macht sich einen Spaß aus der Teppich-Etikette

In Cannes wurde dieser Tage die Gala-Etikette auch für einen Moment außer Kraft gesetzt. Regisseur Aki Kaurismäki schnappte sich beim Gang über den roten Teppich kurzerhand selbst die Kamera der Premieren-Übertragung und filmte das Publikum sowie die Honoratioren.

Auf Thierry Frémaux hatte er es dabei besonders abgesehen. Beim Gruppenfoto stellte sich der sanfte finnische Riese immer wieder vor den Festivalchef, der die Herabwürdigung seines großen Moments im Rampenlicht zerknirscht akzeptierte.

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Kaurismäkis Kaspereien bereiteten dem Regisseur buchstäblich den Weg zu einem triumphalen Empfang im Kinosaal, der sich nach seinem bisher letzten, fast tragischen Auftritt auf der Berlinale vor sechs Jahren, wo er bei der Preisverleihung von Umstehenden gestützt werden musste, wie ein Comeback anfühlte.

„Fallen Leaves“ ist wie „Asteroid City“ ein altmodischer Retro-Spaß, beide sind gleichermaßen vom stoischen Deadpan-Humor ihrer Regisseure geprägt. Dennoch könnten die Filme kaum unterschiedlicher sein. Wo Anderson seine Bilder mit Devotionalien vollstellt, geben die entleerten Räume bei Kaurismäki den Blick auf die Menschen frei.

Die Geschichte ist von entwaffnender Einfachheit. Girl (Alma Pöysti als Ansa) meets Boy (Jussi Vatanen als Holappa), Boy loses Girl (nachdem er vorher bereitts ständig ihre Adresse verliert), Boy gets Girl, indem er vom Alkohol abschwört. „Fallen Leaves“ erzählt eine für Kaurismäki sehr persönliche Geschichte, gewissermaßen die seiner eigenen künstlerischen Rettung. Das verleiht seinem Auftritt in Cannes und dem Jubel, der ihm zuteil wird, eine besondere Note.

„Verdammter Krieg“ heißt es in „Fallen Leaves“

Kaurismäkis Humanismus entspringt aber nicht primär seiner unsentimentalen Inszenierung und der Sympathie, die er den Lebenswelten seiner Figuren entgegenbringt. Er zeigt sich vor allem in seinem Blick auf die Welt. In Ansas Wohnung läuft ständig das Radio, die Nachrichten öffnen ein Fenster in die Realität, in der die Ukraine von Russland angegriffen wird.

Die Schüler:innen in „Club Zero“ von Jessica Hausner rebellieren mit einer Essstörung gegen die Konsumgesellschaft.

© Coop Film

„Verdammter Krieg“, entfährt es ihr einmal. Dass Kaurismäki der Erste auf dem Festival ist, der den Ukraine-Krieg thematisiert, besagt einiges über die Cannes-Blase. Es brauchte wohl erst einen Film wie „Fallen Leaves“, um daran zu erinnern, warum Aki Kaurismäki immer noch so wichtig für das Kino ist.

Zum Ende des Festivals häufen sich die Spekulationen über die Goldene Palme. Die Prognose, dass Regie-Provokateur Ruben Östlund mit seiner Jury keinen Konsensfilm auszeichnen wird, könnte der österreichischen Regisseurin Jessica Hausner in die Karten spielen, deren Film „Club Zero“, ihre zweite Wettbewerbsteilnahme nach „Little Joe“ 2019, von der Kritik sehr zwiespältig aufgenommen wird.

Mia Wasikowska spielt eine junge Lehrerin an einem britischen Elite-Internat, die einen Kurs im „bewussten Essen“ (der Steigerung von bewusster Ernährung) gibt. Höchstes Ziel ist der komplette Verzicht auf Nahrung, als Zeichen von geistiger Reinheit und als Protest gegen die Konsumgesellschaft.

Hausner präsentiert die Idee einer Essstörung als ultimative Rebellion der „Letzten Generation“, die im titelgebenden Club Zero zum regelrechten Kult auswächst, mit äußerster formaler Zurückhaltung. Es gibt sogar eine Triggerwarnung zu Beginn des Films. Aber ihre interessanten Ansätze zu einer Satire auf unsere hochprivilegierte Achtsamkeitsgesellschaft stellen –gemessen an den Möglichkeiten – keine produktive Reibung her.

Hausner weiß entweder wenig mit ihrer Prämisse anzufangen oder sie schreckt vor der eigenen Chuzpe zurück. Wie Anderson und Kaurismäki arbeitet sie mit unglaublich aufgeräumten, fast klinischen Einstellungen. Aber ihr Formwille findet auf inhaltlicher Ebene keine Entsprechung. Cannes wäre allerdings nicht Cannes, besäße die Meinung der Filmkritik an der Croisette irgendeine Relevanz.

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