zum Hauptinhalt
Der Jurist und Schriftsteller Ferdinand von Schirach spricht auf der Lit.Cologne Spezial 2022.

© IMAGO/Panama Pictures/IMAGO/Christoph Hardt

Ferdinand von Schirachs Buch „Regen“: Wer wenig schreibt, gewinnt trotzdem

Auf Platz eins der Bestsellerliste mit einem sogenannten Theatermonolog, der eine typische von-Schirach-Erzählung ist. Ein Buch wurde daraus nur, weil der Verlag noch ein langes Interview mit dem Autor angefügt hat.

Am vergangenen Freitag verschickte der Luchterhand Verlag eine Pressemitteilung, in der er jubilierend verkündete, dass Ferdinand von Schirachs Buch „Regen“ knapp zwei Wochen nach der Veröffentlichung Platz eins der Bestsellerliste von „Buchreport“ und „Spiegel“ im Hardcoverbereich erklommen habe. Nun ist das bei Schirach nicht außergewöhnlich. Der einstige Berliner Strafverteidiger hat mit seinen Büchern seit seinem ersten, 2009 erschienenen Erzählband „Verbrechen“ ein Abonnement auf die vordersten Ränge in den Buchcharts.

Ungewöhnlich ist, dass Verlag und Autor das dieses Mal mit einem Buch geschafft haben, das kaum als Büchlein zu bezeichnen ist, so wenig ist für zwanzig Euro darin: eine Erzählung, die aus knapp fünfzig Seiten besteht, und ein Interview, das ebenfalls knapp fünfzig Seiten hat und im September 2022 im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ erschienen ist.

Das ist tatsächlich ein Coup, der über den Trend, den es bei den Sachbüchern mit kleinen gebundenen Büchern einmal gab (auch hier schaffte es von Schirach in Form eines Gesprächs mit Alexander Kluge nach ganz vorn) hinausgeht: aus fast einem Nichts und mittels eines schon einmal veröffentlichten Interviews ein Buch und einen Top-1-Bestseller zu machen. Zumal der „Stern“ zum Erscheinen von „Regen“ ein Gespräch mit dem Autor brachte, als Titelstory und ganz exklusiv, versteht sich, das dem im „SZ“-Magazin passagenweise glich.

Die Menschen wollen ja immer etwas sein, was sie nicht sind. 

Schirachs Ich-Erzähler

Der Luchterhand Verlag und sein Autor sehen das etwas anders: „Regen“ soll ein „Theatermonolog“ sein. Ferdiannd von Schirach will damit als Schauspieler in eigener Sache von Oktober an auf große Tour gehen. Und daraus folgt: „Damit führt erstmals ein deutsches Theaterstück als Buch Deutschlands wichtigste Bestsellerliste an.“

Nun wirkt „Regen“ trotz seines monologischen Charakter und das es sich offensichtlich an ein Publikum wendet wie eine Schirach-Geschichte, die es nicht in seinen letzten Erzählband „Nachmittage“ geschafft hat. Ein Mann, der von Beruf Schriftsteller ist, soll Schöffe werden, also Laienrichter. Eine Frau wurde von ihrem Mann umgebracht, nach einem Streit, mutmaßlich im Affekt. Der Ich-Erzähler fühlt sich nicht befugt, über diesen Fall zu urteilen.

Dass dieser Mordfall oder Totschlag nur der Aufhänger für vieles Andere ist, Unbedeutendes wie Bedeutendes (das zumindest bedeutend klingt), merkt man schnell. Abschweifung folgt auf Abschweifung. Erst sind es Zigaretten, die man nirgendwo mehr drinnen rauchen darf, Ferdinand von Schirach ist passionierter Raucher. Dann der Beruf des Schriftstellers. Schreiben, zumal literarische Texte schreiben, sei doch ein unglamouröser Beruf, räsonniert der Erzähler und fragt sich, warum es überhaupt Filme über Schriftsteller gibt.

Zigaretten und Schreiben

Nur gefällt sich der Schriftsteller Ferdinand von Schirach doch sehr in der Rolle des Schriftstellers. Auch später kommt sein Erzähler noch einmal darauf zurück und erwähnt, dass er sich nie im Bademantel an den Schreibtisch setze, sondern immer ordentlich gekleidet. Man meint, dass Schirach sowas wortgleich schon in Interviews erzählt hat (nicht allerdings in dem Interview in diesem Büchlein).

Vorbild Hemingway

„Die Menschen wollen ja immer etwas sein, was sie nicht sind. Ich sitze dann am Schreibtisch und trinke Kaffee und rauche und schreibe nichts“, heißt es dann. Genauso Schirach. Nur: Er schreibt. Nach diesem Satz folgt Hemingway, wie überhaupt viel von Hemingway (und anderen Heroen) in „Regen“ die Rede ist. Hemingway ist Schirachs Vorbild, ein glamouröser Schriftsteller, über den es nicht genug Filme und Geschichten geben konnte; Schirach folgt ihm nur zu gern, bevorzugt an Orte überall auf der Welt, die den Stars, Reichen und manchmal Schönen unter ihnen vorbehalten sind. In „Regen“ ist es das „Grande Bretagne“ in Athen.

„Es geht darum, dass am Ende der einfachste Satz übrig bleibt“, so Schirachs Hemingway-Devise. Die hat etwas Kraftmeierisches, Angeberisches, bei Schirach durchsichtig Bedeutungshuberisches. „Regen“ soll eine „Liebeserklärung“ sein. Ans Schreiben. Ferdinand von Schirach, so der Eindruck, braucht nur noch wenig und viel Dünnes zu schreiben - und gewinnt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false