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Swingender Jazz. Das Trio 67 um Christiane Hagedron bewegt sich mit seinem Programm „Paris-Warschau“ zwischen französischen, jiddischen, polnischen Chansons und Gipsy-Swing. Am Samstag finden insgesamt neun Konzerte statt – zum Preis von zehn Euro.

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Erste "Jazzoffensive" in der Schiffbauergasse: Mit den Füßen hören

Konzerte erleben und Flatrate zahlen: Die erste „Jazzoffensive“ am Samstag in der Schiffbauergasse.

Potsdam - In den 40er-Jahren des vergangenen Jahren wurde Jazz keine Zukunft vorhergesagt. Später stritt Frank Zappa zwar ab, dass Jazz tot sei, attestierte ihm jedoch einen komischen Geruch. Und auch heute noch gebe es Berührungsängste mit der Musik, sagt Patrick Dengl vom Waschhaus. „Das größte Problem scheint das Wort Jazz selbst zu sein.“ Man assoziiere es mit alten Männern – Dixielandmusik, vielleicht noch Freejazz. Dabei sei Jazz weitaus vielfältiger, habe Bezüge zum Pop, zur elektronischen Musik. „Jazz ist durchaus auch für Partygänger.“

Diese einzufangen versucht die Schiffbauergasse am kommenden Samstag mit ihrer „Jazzoffensive“. Neun Konzerte verschiedenster Bands und Interpreten und am Ende eine große Swing-Party im Waschhaus bis tief in die Nacht sollen die Spielarten des Jazz offensiv unter das Publikum bringen.

Dass alle Kulturträger am Standort Schiffbauergasse an einem Strang ziehen, gibt es sonst nur bei Veranstaltungen wie „Stadt für eine Nacht“. Ausgerechnet Jazz soll diesmal der Kitt sein – eine Musikrichtung, die schon immer eher ein Nischendasein führt.

Nach der „theartof“-Reihe im Waschhaus, bei der bestimmte Musikinstrumente wie Klavier und Gitarre in den Fokus gerückt wurden, war für die Jazz-Fans Dengl und Waschhaus-Chef Siegfried Dittler ein solcher Abend nur eine logische Konsequenz, auch wenn Jazz bereits in allen Häusern der Schiffbauergasse hin und wieder zu Gast war. Martina König vom Theaterschiff und Siegfried Dittler vom Waschhaus kamen zuerst auf die Idee, die anderen Kulturträger waren schnell mit im Boot: „Das war extrem unkompliziert“, sagt Dengl. Er selbst kommt aus Süddeutschland, ist seit zwei Jahren für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit am Waschhaus zuständig. In Heidelberg hat Dengl das „Enjoy“-Festival von Anbeginn organisiert, angefangen mit 15 Konzerten an mehreren Abenden. Heute sind es 70 Konzerte in mehreren Städten. „Man hat gesehen, dass aus etwas Kleinem etwas Großes wachsen kann“, sagt Dengl. Auch wenn hinter der Potsdamer „Jazzoffensive“ ein anderes Konzept steht: Spielraum, zu wachsen, hat auch sie. „Wir schauen, was sich aus dem Abend ergibt“, sagt Dengl.

Im Museum „fluxus+“ tritt etwa das Potsdam-Berliner Trio TreeMen um Schlagzeuger Max Punstein auf, der es als Veranstalter der Reihe „Jazztime in Babelsberg“ zu einer lokalen Instanz geschafft hat. Von Michael-Jackson-Hits bis klassischen Jazz zaubert die Band alles aus dem Hut, was ihr frisch und unverfälscht erscheint. Im T-Werk dagegen geht es etwas ungewöhnlicher zu mit dem Saxofon-Quartett SaxTon, das sich an Jazzgrößen wie Thelonius Monk oder George Gershwin orientiert. Auf dem Theaterschiff ein Wiedersehen mit Christiane Hagedorn, die zuletzt im Hans Otto Theater in „Das permanente Wanken und Schwanken von eigentlich allem“ und „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ zu sehen war. Diesmal singt sie jiddische, polnische und französische Songs mit dem Trio 67. In der Reithalle wird es soulig mit der aus Bermuda stammenden Sängerin Ginea Adi Wolf und ihrer Band, die sich zwischen Aretha Franklin und Nina Simone verorten.

Aber es soll auch ein Abend der Experimente werden, der Überraschungen. In der „fabrik“ werden gleich zwei Konzerte stattfinden: Den Anfang machen Cayoux, die nur mit Kontrabass und Frauenstimme auf die Bühne gehen, im Anschluss spielt das Contrast Trio subtile elektronische Grooves, die zu energischen Jazzbeats ausarten werden. Dass Electro auch seinen Platz im Jazz gefunden hat, beweist das Duo (W), hinter dem sich Oli Rubow und Peter Wölpl verbergen, die nur mit Gitarre, Schlagzeug und zwei vernetzten Computern groovige Spannungsbögen entwerfen. Die Musiker haben bereits mit einigen Hochkarätern wie den Fantastischen Vier oder Zakir Hussain gespielt. Dass die „Jazzoffensive“ gerade auch neue Spielarten vereint, ist Ansinnen der Organisatoren. „Jazz definiert sich für mich durch Offenheit, durch Freiheit“, sagt Dengl.

Das große Sprungbrett zum Bekannt- oder gar Reichwerden ist Jazz jedoch nie gewesen: Selbst die ausgezeichneten Größen der Szene verkaufen Platten in verschwindend geringer Stückzahl. Und groß etwas verdienen wird auch an diesem Samstagabend wohl keiner: Für unter 18-Jährige ist der Eintritt frei, die anderen bekommen für schlappe zehn Euro eine Jazz-Flatrate, um sich alles anzuhören. Auch die Gagen der Musiker werden sich „in einem vernünftigen Rahmen bewegen“, so Dengl. „Sonst wäre das gar nicht zu machen. Wenn es gut läuft, kommen die einzelnen Häuser auf null raus.“ Fest steht: So oft, wie Jazz totgesagt wurde, muss es ihn einfach ewig geben. Oder wie der amerikanische Komponist John Philip Sousa sagte: „Der Jazz wird so lange existieren, wie die Leute ihn mit den Füßen und nicht mit dem Verstand hören.“ Auch in der Schiffbauergasse. (mit Grit Weirauch)

„Jazzoffensive“ am Samstag ab 19 Uhr in der Schiffbauergasse. Der Eintritt kostet 10 Euro, für unter 18-Jährige ist er frei – für alle Konzerte und die Party

Oliver Dietrich

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