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Kultur: Entbehrliche vereinigt euch

Das neue Theaterstück am Haus der Begegnung erzählt viel übers Leben, auch über Axel Trögers

Das neue Theaterstück am Haus der Begegnung erzählt viel übers Leben, auch über Axel Trögers Eigentlich sind wir verabredet, um über „Hans Igel“, das neue Stück der integrativen Theatergruppe im Haus der Begegnung zu sprechen. Ein Stück, das mit dem Aufruf: „Entbehrliche aller Länder vereinigt Euch!“ endet. Wer sind diese Entbehrlichen, die scheinbar keiner mehr braucht? „In unserem Stück sind es – ganz im Sinne von Hartz IV – die Migranten, die Jugendlichen und Alten und natürlich die Behinderten“, sagt Axel Tröger – und ergänzt in seiner leisen Art: „Auch ich habe einen Schwerbehindertenausweis.“ Und plötzlich sind wir mitten drin in seiner Lebensgeschichte, die ganz viel mit dem von ihm geschriebenen Theaterstück zu tun hat. „Als ich 17 war, wurde mir die Diagnose MS, Multiple Sklerose, gestellt. Die Ärzte rieten mir, nichts mehr zu machen, was mich belasten könnte: kein Fahrrad fahren, kein Abi. Natürlich hatte ich große Angst, wollte nicht lebendig begraben werden.“ Er verdrängte die Krankheit, rigoros. Statt kleiner Schritte, setzte er zum Sprung an: arbeitete zu viel, trank zu viel, kletterte zu hoch, tanzte zu lang – alles ohne Maß. „Wie, um mir etwas zu beweisen.“ Depressionen und Erschöpfung waren die Kehrseite dieses exzessiven „Genusses“. Halt fand er in dieser Anfangszeit in der Schultheatergruppe. Sie brachte ihn auf seinen Weg, den er beharrlich weiter verfolgte: das Theater. Der Freiburger assistierte, hospitierte – landete schließlich am Hans Otto Theater in Potsdam. Die Krankheit hatte er vollkommen weg geschoben. Schließlich durfte er auch inszenieren: „Pfänderspiel“ – und hatte Erfolg. Dann kam der nächste Intendant – und mit ihm sein Misserfolg. Er sollte Regie führen bei einem Stück, das ihm nicht lag – und brach die Proben nach Kontroversen mit den Schauspielern ab. Ein nächster Versuch scheiterte ebenfalls. „Es fiel mir sehr schwer, damit umzugehen, ich fraß alles in mich hinein. Das passt zum MS-Bild, diese große Verletzlichkeit.“ Eine Therapie half ihm, aus diesen dunklen Löchern wieder herauszufinden, auch über die Krankheit zu sprechen. „Ein langer Weg. Und wenn ich in einer Gesellschaft das Thema anschnitt, war ich mit einem Schlag der einzige Sterbliche im Raum. Es war total absurd. Für alle war der Tod viel weiter weg, dabei kann er schon morgen jeden von uns ereilen. Auch ich will noch lange weiter machen. “ Seinen neuen Lebensmut hat er dem Arbeitsamt mit zu verdanken. „Sie wollten mich in die Spargelernte schicken. Also musste ich die Karten auf den Tisch legen.“ Der Druck von außen nahm ihm den inneren. Man schickte ihn nicht aufs Feld, statt dessen ins Haus der Begegnung. Dort hatte die Leiterin Antje Tannert sofort die Idee einer Theatergruppe. „Die Resonanz auf unseren Aufruf war verblüffend. Die erste Zusammenkunft ist mir unvergesslich – nicht nur wegen des Datums 11. September 2001. Während unseres Treffens hatte ich plötzlich die Bilder der zusammen stürzenden Twin Towers völlig ausgeblendet.“ Für Axel Tröger begann jetzt eine Zeit des Aufbaus. „Ich hatte das Glück, dass ich mit meiner MS – die Krankheit der 1000 Gesichter – nie vollkommen auf die Nase fiel.“ Seit dreieinhalb Jahren gibt es jetzt die Theatergruppe. Nachdem seine ABM auslief, kümmerte sich Axel Tröger um eine andere Förderung. „Unser jetziges, zweites Stück förderte der Europäische Sozialfond. Und auch ein nächstes wird es geben“ – ist sich der Theatermann trotz aller Unwägbarkeiten sicher. Denn er hat kämpfen gelernt – für sich und für das Glück. Denn das findet er unter seinen elf Mitstreitern zwischen 13 und 90, weiß und schwarz, körperbehindert und nichtbehindert. „Die Frage der Unterschiede stellt sich im Laufe der Arbeit nicht mehr.“ Seine Art, Theater zu machen, setzt sich ganz bewusst vom Profitheater ab. „Mir ist es wichtig, dass es allen gut dabei geht.“ Und so sind auch die Rollen angelegt, die jedem der Mitspieler auf den Leib geschrieben sind und damit sie selbst betreffen. „Das Spiel auf der Bühne kräftigt sie, auch das Leben zu nehmen.“ „Hans Igel“, ganz frei nach dem Brüder Grimm-Märchen „Hans, mein Igel“ – erzählt, wie sich jemand auf einen Baum zurück zieht. „Bei Grimm ist es ein Dudelsack spielender Igel, bei uns ist es ein Dichter. Er sitzt auf seinem Baum und sagt allen, den Entbehrlichen, wie sie wieder ans Ziel kommen. Eine starke Metaphorik für behinderte Menschen.“ Den Hans spielt Rolf Gutsche, bekannt vom Potsdamer Behindertenbeirat, der auch privat Gedichte schreibt. Er verlässt am Ende seinen Baum, geht zu den Entbehrlichen, um sich gemeinsam mit ihnen unentbehrlich zu machen. Auch Axel Tröger macht sich unentbehrlich. Er hat bereits eine zweite Theatergruppe gemeinsam mit einer Puppenspielerin gegründet. Darin arbeitet er mit geistig behinderten Menschen zusammen. „Es kommen immer neue Erfahrungen dazu, so bleibt die Arbeit und man selbst lebendig. Die Belastung kurz vor der Premiere von ,Hans Igel“ hätte ich mir vor drei Jahren noch nicht zugetraut. Die Ärzte würden mich am liebsten in Watte packen, aber ich muss meine Grenzen selbst austesten.“ Auch mit der MS-Gruppe im Haus der Begegnung würde er gern Theater spielen. „Noch blocken sie ab, aber ich bleibe beharrlich dran.“ 26 Jahre hat Axel Tröger die Wahrheit verschwiegen. „Es ist ein großer Kraftaufwand, die Krankheit wegzudrücken. Ich rede noch nicht lange drüber. Jetzt muss ich sie nicht mehr verstecken. Wenn man sie zu sich genommen hat, gibt das eine neue Leichtigkeit. Und Platz, sein Leben mit Dingen auszufüllen, die Spaß machen. „Ausgefülltsein hat viel mit Glück zu tun.“ Hans Igel ist am 12. Juni um 19 Uhr im Haus der Begegnung, Gutenbergstraße 100-102 zu sehen. Eintritt frei.

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