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Kultur: Eine Stadt wird zum Auftragskiller

Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ hatte am Hans Otto Theater Premiere

Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ hatte am Hans Otto Theater Premiere Von Dagmar Schnürer Es ist heiß, die Grillen zirpen. Vier Gestalten lungern an einer Tankstelle herum, die mitten in der Wüste steht. Hin und wieder heulen Schakale, auf dem Dach der Tankstelle sitzt ein Geier. Wo sind wir? Spiel mir das Lied vom Tod? Vier Leute warten auf den Zug, der eine ganz bestimmte Person bringen soll? „Höchste Zeit, dass die Milliardärin kommt“ , sagt einer der vier Arbeitslosen. „Mega“ verkündet das Werbeplakat auf der Plakatwand. Eine Gruppe Cowboys tritt durch den Tankstellenshop hinaus in die brütende Hitze. Sie tragen weiße Cowboyhüte, Cowboystiefel, enge Jeans mit silbern glitzernden Gürteln und Jeanswesten. Auf dem Shirt eines Mannes glänzt silbern der Name „Güllen“. Er ist der Bürgermeister der Kleinstadt Güllen (Philipp Mauritz), die Friedrich Dürrenmatt in einer verstaubten, heruntergekommenen Atmosphäre, wo Zylinder getragen und Böden gefegt werden, ansiedelte, als er in den 50er Jahren das Stück „Der Besuch der alten Dame“ schrieb. Das Güllen der Gegenwart, so wie es – in Koproduktion mit dem Kleistforum Frankfurt/Oder – am Hans Otto Theater von Bernd Mottl (Regie) und Friedrich Eggert (Bühne und Kostüme) auf die Bühne gebracht wurde, ist eine Wüste, über der die Geier kreisen. Einziger noch nicht geschlossener Betrieb der Stadt scheint die Tankstelle zu sein. Warum aber die „Wagnerwerke“ und „Bockmann“ bankrott sind und alle Produkte, die der Tankstellenshop anbietet, ein großes schwarzes „Z“ auf gelbem Grund tragen, fragt sich niemand. Die Einwohner pflegen ihren „american way of life“, ihren großmäuligen, spaßigen Umgangston, ihre Cowboymode. Doch damit kein Missverständnis aufkommt: sie sind arm. Und das steht auf dem Anstecker, den alle auf der Brust tragen. Das grollende Geräusch, das schließlich näher kommt, ist kein Zug, sondern ein Düsenjäger. Es wird dunkel, eine Detonation ist zu hören und im Hintergrund rotsprühendes Feuer. Als es wieder hell wird, ragt das Ende eines Flugzeuges aus dem orangenen Wüstenboden. Ein schwarzes „Z“ auf gelbem Grund prangt darauf. Die Milliardärin ist da, Claire Zachanassian (Christine Schorn). Als bis ins Schräge überspitzte Komödie hat Bernd Mottl das Stück inszeniert. Claire, die das Geld ihres ersten Mannes, armenischer Ölmilliardär, so reich gemacht hat, dass sie sich eine Weltordnung kaufen kann, ist nicht totzukriegen. Gelb ist ihre Farbe, ihre Dienstboten, zu Transvestiten zurechtgemacht, tragen gelbes Haar. Ihr langer Mantel ist aus gelbem Langhaarplüsch, dem Material, das nach und nach Güllen infiltrieren wird. Denn Güllen will die Milliarde, die Claire versprach, unter Stadt und Bewohnern aufzuteilen. Aber das sagt niemand offen, stattdessen kaufen sie gelbe Produkte. Wer will schon zugeben, dass er bereit ist, die Bedingung zu erfüllen, die Claire mit der Schenkung verknüpft hat: tötet Alfred Ill (eindrucksvoll gespielt von Roland Kuchenbuch). Gerechtigkeit nennt Claire das, was sie sich erkaufen möchte. Sie ist in ihre Heimatstadt zurückgekehrt, um den Mann töten zu lassen, der sie mit siebzehn schwängerte und dann vor Gericht als Hure verurteilen ließ. Mit Ironie und leicht belustigt spielt Christine Schorn die „alte Dame“. Mühelos macht sie sich zum Mittelpunkt des Geschehens, auch wenn sie nur leise nörgelt, sicher sitzen alle Pointen und Zwischentöne. Sie ist die desillusionierte Dame von Welt, die weiß, dass man alles kaufen kann, alles, und dass die Welt ein Bordell ist: „Anständig ist nur, wer zahlt.“ Dem Tragischen dieser Komödie wird die Inszenierung gerecht, ohne den ironischen musicalartigen Gutelauneschwung zu bremsen (Ton: Christoph Kalkowski). In grünes Licht getaucht sind die Szenen, in denen Claire und Alfred im „Wald“ ihrer damaligen Stelldicheins die vergangene Liebe beschwören. Plötzlich kommen ihre Stimmen über Lautsprecher, unwirklich entrückt in einem Märchenland. Hier spielt Christine Schorn ihren einzigen Ausbruch und betont das eigentliche Motiv der Claire. Claire will sich ihren Traum von Leben, Liebe, Vertrauen zurückholen, indem sie ihren Geliebten zerstört, der den Traum verraten hatte. Wie eine europäische, demokratisch-rechtsstaatliche Stadt zum Auftragskiller wird, ist die andere tragische Seite des Stückes. Effektvoll und mit Anspielungen auf die Potsdamer Gegenwart arbeitete Bernd Mottl mit seinen Darstellern die schleichenden Veränderungen heraus. Erst der Abscheu gegen das unmoralische Angebot, dann Rechtfertigungsmechanismen, die sich ins Absurde steigern und dem Sündenbock das vorwerfen, was man selbst im Begriff ist zu tun. Indem Bernd Mottl keine Armut zeigt, entblößt er wirkungsvoll das Argument, die Armut, die Not erzwinge den Verfall der Moral. Er zeigt die bloße materialistische Gier, die stärker ist als familiäre Bindungen, Freundschaft, humanistische Überzeugungen. Mit langem Applaus und einzelnen Bravos reagierte das Publikum auf die gelungene Inszenierung und das hervorragende Ensemble.

Dagmar Schnürer

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