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Kultur: Eine Betrachtung wert

Haus mit Geschichte: Ein Bildband von Wolfgang Brönner und Jürgen Strauss widmet sich der Villa Gericke am Pfingstberg

Ein Spruch am Erker der Villa fällt dem Vorübergehenden sofort ins Auge: „Ich hab gebaut nach meinem Sinn / und wem das Haus nicht gefällt / Der bau es besser für sein Geld.“ Der Bauherr wollte deutlich machen, dass ein jeder nach seiner Nase bauen möge. Die Villa Gericke mit ihrem malerischen Stil und den vielfältigen Holzornamenten, unterhalb des Pfingstbergs und direkt gegenüber vom Jüdischen Friedhof gelegen, ist jedenfalls des staunenden Betrachtens wert. Der Verlag StraussEdition Potsdam hat einen optisch ansprechenden Bildband über die Villa Gericke und ihre bewegte Geschichte herausgegeben. Wolfgang Brönner, Professor für Kunstgeschichte und Autor von Architektur-Büchern, verfasste den kenntnisreichen Text. Mit den zumeist prachtvollen bürgerlichen Villen in Potsdam beschäftigt sich Brönner seit einigen Jahren. Der Verleger Jürgen Strauss ist dabei sein fotografischer Partner. Auch die Restauratoren Rudolf und Eckhart Böhm sowie die einstige Bewohnerin Barbara Lipman-Wulf gehören zu den Autoren.

Jahrzehntelang war die Villa völlig marode. Der Verfall kam schleichend, sodass dieses Baudenkmal hätte abgerissen werden müssen. Glücklicherweise kam 1989 die politische Wende. Kostbare Architekturen erlebten auch in Potsdam ihr Wiedererstehen. Vor mehr als 20 Jahren hat das Anwaltsehepaar Barbara und Jörg Zumbaum die Villa Gericke erworben, es aufwendig und mit hohem finanziellen Einsatz saniert und restauriert. Gesprochen wurde in Potsdam zunächst über das verdienstvolle Engagement der Zumbaums kaum, eher waren die Auseinandersetzungen zwischen Bauherrn und Stadt um sogenannte Versäumnisse, die die Sanierung hervorriefen, von stärkerem Interesse. Man witterte Skandale. Die Berichterstattung über diese Aspekte ebbte jedoch bald ab. Das Buch „Villa Gericke in Potsdam – Eine bewegte Geschichte“ ist nun der Landeshauptstadt gewidmet. Erstaunlicherweise namenlos geht der Dank an die Handwerker, den Oberbürgermeister und die Mitarbeiter des Bauamtes sowie an die Denkmalbehörde.

Wolfgang Brönner lässt wohltuend die Streitigkeiten aus dem Buchmanuskript heraus. Er konzentriert sich schnörkellos auf die Architekturgeschichte der schnörkelreichen Villa sowie auf notwendige und spannende Hintergründe. Sie wurde 1892 von dem Berliner Architekten F. Gericke für „Frau Stadträtin E.Gericke“ erbaut. Brönner vermutet, dass der Sohn der Bauherrin Friedrich Gericke verantwortlich für den Bau war. Er soll Schüler der Architekten Hermann Ende und Wilhelm Böckmann gewesen sein. Endes 1864/65 erbautes Wohnhaus im Berliner Tiergarten, das fast 30 Jahre später dem Bau der S-Bahn weichen musste, erlebte in Potsdam eine bis fast ins Detail gebaute Wiederholung. Das Haus der Stadträtin Gericke ist also eine Kopie der Ende-Villa. Das Mittelalter und die Renaissance klingen in der Holzarchitektur an.

Mit schmückenden Reliefs ist die Villa bestens ausgestattet. Gestalten aus der Antike sind an den Erkern zu finden. Am Turm fallen allegorische Darstellungen aus der Religion, Wissenschaft, Recht oder der Kunst auf, die 1823 bis 1835 von dem Bildhauer Christian Daniel Rauch für den Sockel des Bronzedenkmals König Maximilians I. Joseph in München geschaffen wurden. Die Potsdamer Steinbildhauer und Restauratoren Rudolf und Eckhart Böhm schreiben in dem Buch bildhaft über die spannende Wiedergewinnung des Rauch’schen Reliefzyklus aus Stuck. Vater und Sohn Böhm mussten dabei Lücken feststellen. Durch eine Abformung der fehlenden Reliefs wollte man sie wieder ergänzen. Sie entdeckten Abweichungen zwischen der Potsdamer und der Münchner Fassung. Beispielsweise negierte man am Religions-Relief des Königs-Denkmals die Konzeption des Protestanten Rauch, in dem Münchens erster evangelischer Pfarrer Schmidt links vom beherrschenden Engel postiert wurde, der katholische Bischof dagegen rechts. Die religiöse Ordnung in Bayern wurde auf dem Denkmal wiederhergestellt.

Was wäre aber ein so wertvolles Haus ohne Bewohner? Kalt und ohne Leben. Als Erika Maria Gräfin von Schlieben in der Villa Gericke von 1940 bis 1947 eine Pension betrieb, ging eine bunte Ansammlung von Menschen in dem Haus aus und ein. Die Tochter der Pensionsinhaberin, Barbara Lipman-Wulf, die in den USA lebt, berichtet liebevoll über ihre Kindheitserinnerungen. Da werden die Menschen, die auf Zeit in der Villa wohnten, lebendig, so die Internatserzieherin Fräulein Anna Worms, die die Tante von Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess war, der Herr Pinkel, der des Namens wegen von den anderen Gästen gepiesackt wurde, oder der junge Kunstmaler Walter Hoffmann, der stets einen weißen Anzug trug, alles Soldatische verabscheute und zum Widerstand gegen Hitler gehörte. Er sei zum Malen geboren und nicht zum Kämpfen in den Pyrenäen, schrieb er Frau von Schlieben. Dieser Brief wurde von der Gestapo abgefangen, die Pensions-Chefin verhört.

Man kann viel über Architektur schreiben. Doch wenn die Bilder fehlen, ist es, als bliebe etwas ungesagt. Jürgen Strauss’ Fotografien liefern dem Betrachter Anknüpfungspunkte, mehr zu erkennen, dem oberflächlich Sichtbaren die Intentionen der Bauherren und Architekten sowie die Inhalte des Gebäudes nachzugehen. Das Malerische und die Lichtstimmungen der Villa sowie ihres weiträumigen Gartens gaben Jürgen Strauss beglückende Momente, Bilder von subtiler Schönheit zu fotografieren.

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