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Kultur: Ein Pionier im Orient

Der Kartzower Komponist und Musikpädagoge Paul Lange-Bey wurde in seinem Geburtsort geehrt

Der Kartzower Komponist und Musikpädagoge Paul Lange-Bey wurde in seinem Geburtsort geehrt „Dort nur Monophonie, - hier Polyphonie... - wo ist der Meister, der in tonlicher'' Hinsicht okzidentale und orientalische Völker verbrüdern könnte?“ fragte der in Kartzow geborene Komponist und Musikpädagoge Paul Lange-Bey am 7. September 1917 in einem Artikel der „Deutschen Militär-Musiker-Zeitung“ aus dem fernen Konstantinopel. „Verbrüderung“ meinte, dass seine Türken aufhören sollten, „orientalische Musik zu machen“, oder wie sie selbst es verstanden, „Musik zu trinken“. Offenbar funktionierte das. Als man ihn 1920 nach fast 40-jährigem Wirken unter zwei Sultanen mit einem Staatsbegräbnis durch den Bosporus schiffte und das Leibregiment von Mehmed V. salutierte, schien der Anschluss an die europäische Moderne erreicht. Die von ihm herangezogene Musikergeneration spielte Dvorak und Beethoven, Mendelssohn-Bartholdy, Reicha, Mozart und Wagner in vielumjubelten Konzerten, und der Ehrentitel Bey (zwischen Efendi und Pascha) machte ihn fast zu einem der Ihren. Aber kein Fachlexikon verzeichnet einen Paul Lange, sagte Wolfgang Wirth bei der gut besuchten „Stunde der Einkehr“ in Kartzow. Der Berliner Apotheker und erfolgreiche „Kulturforscher“ machte sich bereits im vergangenen Jahr bei der Auffindung 400 Jahre alter Städtehymnen von Adam Jarzebski einen Namen. Diesmal legte With Recherchen zu einem Manne vor, dessen Geburtshaus gegenüber der Kartzower Pfarrei noch erhalten ist, ohne Gedenktafel bisher. Hier wurde Paul Lange als Sohn eines Lehrers 1857 geboren. Bereits mit acht Jahren konnte er auf dem Klavier freie Themen variieren, er vertrat Heinrich Lange sogar an der Orgel. Dem Wunsch des gestrengen Vaters folgend, wurde auch er zuerst Lehrer mit besten Zeugnissen, trat dann aber in das Akademische Institut für Kirchenmusik Berlin ein. 1880 erreichte ihn die Berufung als Gesanglehrer an die deutsche Schule in Konstantinopel und Organist an der deutschen Botschaftskapelle. Aus drei Pflichtjahren wurden fast 40, darin er das gesamte Musikleben am Bosporus gründlich umorganisierte. Eine Brückenfigur zwischen Orient und Okzident, schwärmte Wolfgang Wirth. Italienische und spanische Opern beherrschten damals den Geschmack der Türken. Lange baute mit einem klugen Konzept zuerst auf die Jugend, schuf Chöre an deutschen, armenischen und griechischen Schulen der türkischen Hauptstadt, bildete Gesanglehrerinnen aus, hatte hunderte Privatschüler, und sorgte sich auch um den Chor des deutschen Vereinshauses „Teutonia“. Die geistliche Musik in der deutschen Botschaftskapelle, welcher er eine Gesell-Orgel aus Potsdam zu verschaffen wusste, vernachlässigte er mitnichten. Dann bildete er das Orchester um und erreichte gegen den Widerstand italienischer Kollegen, dass Haydn, Mozart und Beethoven gespielt wurde. Später folgten Bruchstücke aus Wagners „Rienzi“, „Tannhäuser“ und dem „Parsifal“ mit eigenem Nachwuchs. Die Türken schienen noch mehr begeistert, als er, teils mit eigenen Kompositionen, unter Sultan Hamid zum Inspektor der Marinemusiken ernannt wurde. Die Kapelle der Sultansyacht „Erthogrul“ schlug alle Konkurrenten aus dem Feld. Auch Wilhelm II. war angetan, zum einen hat Lange-Bey seiner Auguste Victoria ein Huldigungslied geschrieben, welches sie gnädigst annahm, dann setzte er durch, dass ihm Mehmed V. sämtliche Militärkapellen im Reich übertrug. Er wurde gar Musiklehrer im kaiserlichen Harem. Als Gäste zur „Stunde der Einkehr“ waren die 1. Sekretärin der türkischen Botschaft Berlin und der Leiter des türkischen Konservatoriums Kreuzberg, Nuri Karademirli, gekommen, dazu Politiker des Landtages Brandenburg und der Stadtverordnetenversammlung Potsdam, was Erstaunen hervorrief. Eben Wahlkampfzeit. Mit Werken von Anton Reicha und Kompositionen Langes gab das Potsdamer Horntrio dem alten Kartzower die Ehre, darunter der „Barbarossamarsch“, welcher Gisbert Näther spontan zum Mitspielen anregte. Man hörte Auszüge aus Wagner-Opern (Tenor Heinz Hillmann), indes sich Werner Scholl bemühte, dem leicht verstimmten E-Piano das Allerbeste abzuringen. Stilbildend und von großem Einfluß auf das türkische Nationalbewußtsein, resümmierte Wolfgang Wirth. Man müsse jetzt weitermachen. Als künftige Forschungsstelle deutsch-türkischer Beziehungen schlug er das leerstehende Gutshaus in Kartzow vor – und überreichte dem Chef des Brandenburgischen Kulturbundes, Hinrich Enderlein, einen kostbaren Autograph Lange-Beys an Antonin Dvorak, mit dem die Spurensuche vor Jahren begann. Gerold Paul

Gerold Paul

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