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Kultur: Ein Pazifist auf der Kanone

Vom Comix-Star zum Chronisten des Kolonialkriegs: Gerhard Seyfried und sein erster Roman „Herero“

Herr Seyfried, hier liegt Ihr Buch, 940 Gramm schwer inklusive Umschlag und ...

Wieviel? 940 Gramm? Sehr interessant. Das muss ich notieren. Mein Briefwaage den Geist aufgegeben, als ich das Buch draufgelegt habe.

Marcel ReichRanicki werden Sie nicht als Fan gewinnen. „Herero“ hat 600 Seiten – so einen dicken Roman darf nur Thomas Mann schreiben.

Ich wollte ja auf keinen Fall, dass Herr Reich-Ranicki das Buch liest. Deshalb habe ich auch extra keinen Sex drin. No Sex, dann interessiert er sich nicht dafür! Dafür liefere ich jede Menge Gewalt, es wird aus allen Rohren geschossen. Batschbumm, rattabamm, rattabamm!

Als Zeichner sind Sie seit 30 Jahren eine Berühmtheit. Nun haben Sie Ihr sicheres Terrain verlassen und schreiben.

Weil ich vom Zeichnen nicht mehr leben kann. Ich bin buchstäblich gezwungen worden, aufzuhören. Ich hab die Faxen dicke, drei Jahre arbeite ich an einem Comicband und dann macht der Verlag keine Werbung. Bleiben als Stundenlohn 1 Euro 90. Was soll das!? Ich kann mich doch nicht von meinen Eltern durchfüttern lassen, bis ich 90 bin. Dann haben mir Leute gesagt, dass man mit Romanen noch weniger verdient als mit Comics. Ich dachte: Es muss mal ausprobiert werden, ob das stimmt. Denn nix verdienen kann ich ja. Da bin ich Experte drin.

Sie waren mit Ihren Motiven ein Chronist der linken Bewegung. Ihr Roman handelt nun von einem historischen Ereignis, dem Aufstand der Herero gegen die Kolonialisten in Deutsch-Südwest-Afrika vor einhundert Jahren.

Das Thema hat mich aus dem Hinterhalt erwischt. Ich bin 1999 für zwölf Tage nach Namibia eingeladen worden, um einen Vortrag über Comics im Sprachunterricht zu halten. So ein leeres, riesengroßes, wunderschönes Land! Diese unendliche Weite, 40 Kilometer auf einen Blick. Ich bin sechs Stunden lang auf einer perfekten Straße gefahren und bin nur einem Rudel Warzenschweine begegnet. Und dazu ein Himmel, der Gänsehaut macht. Weiß der Teufel, warum, aber es ist einfach ein Land, auf das wir Deutschen abfahren.

Genetisch bedingt, meinen Sie? Jedenfalls lesen sich Ihre Schilderungen von der Landschaft gar nicht so beglückend.

Und doch ist es schön, wenn auch dürr und trocken. Ich mag Wüstenlandschaften. Ein alter Spruch in Süd-West sagt: Wenn hier etwas wächst, hat es Dornen. Interessant war auch die eigentümliche Art von Deutschen dort. Es gab einen Bäcker in Omaruru, der an jedem Geburtstag des Führers Hakenkreuze in die Semmeln ritzt. Die werden dann haufenweise gekauft und gegessen. Man lacht über ihn, es ist ja auch komisch. Er ist bestimmt ein richtig verbitterter Nazi, der den Lauf der Geschichte verflucht.

Was auffällt an „Herero“, ist die Lust am Detail, die besessene Akribie, mit der Sie auch gezeichnet haben. Das Laden einer Kanone schildern Sie über drei Seiten.

Jetzt übertreiben Sie! Es sind höchstens zweieinhalb. Und es weiß ja auch niemand, wie eine Kanone geladen wird. Das musste einfach mal beschrieben werden. Das ist ja auch so etwas faszinierendes in diesem Namibia: Die Vergangenheit steht da einfach so rum. Die Kanone zum Beispiel, „Die faule Grete“. Ich bin ewig lang auf dem Ding herumgeklettert und habe es von allen Seiten fotografiert, mindestens 40 Bilder. Das Vermessungsamt von Windhuk, das ich für das Buch gezeichnet habe, gibt es noch, weiß verputzt. Auch die Aufschrift „Kaiserliches Vermessungsamt" ist zu sehen, es ist nur das Tourismusoffice drin. Ich war auf den Friedhöfen, wo die jungen deutschen Kerle begraben liegen. Ich habe mir die Schauplätze der Schlachten angeguckt. Ich wollte so viel wie möglich sehen und fotografieren, denn mir war klar: So schnell komme ich nicht mehr hierher.

Und es mussten gleich 600 Seiten sein?

Dafür möchte ich mich bei dieser Gelegenheit in aller Form entschuldigen. Es tut mir wirklich Leid, ich konnte einfach nicht mehr aufhören. Der Verlag hat mich schwer gebremst und 200 Seiten rausgestrichen, weil sie Angst hatten, das Papier würde zu teuer. Aber die Länge des Buches hat einen Sinn. Ich wollte das Zeitgefühl für die damalige Zeit vermitteln, dazu musste ich ein langsames Buch schreiben, in das man gemächlich reingeht. So, wie das ganze Land damals war. Man fuhr mit Ochsenkarren, ging zu Fuß, war Tage und Wochen unterwegs. Fast nichts an meinen Schilderungen ist fiktiv. Es stimmt alles so weit wie möglich. Ich habe all die Jahre recherchiert und gut 250 Bücher durchgeackert. Die Figuren sind nahezu alle historisch. Ich habe die Kartografie von damals studiert und kistenweise Fotos. Hier in meinen Regalen steht das Material, Bücher mit Abbildungen aller Uniformen, Alben mit den Zigarettenschachteln der Soldaten, das „Reich der Erfindungen“ von 1901 mit den technischen Details der Telefone und Heliographen, wie Gewehre funktoniert haben, das da ist ein Buch über die kolonialen Eisenbahnen. Und Vorsicht bei diesem Band über die Architektur in Südwest mit Bildern von vielen Gebäuden- davon gibt es nur noch zwei Exemplare auf der Welt!

Sie sind ein kreativer Mensch. Auf Ihre Fantasie wollten Sie sich nicht verlassen?

Wissen ist die Vorbedingung der Fantasie. Je mehr ich über Windhuk und seine Bewohner weiß, welche Kleidung sie trugen, welche Schuhe, wie der Straßenbelag war, das Wetter, was es zu essen gab... - desto besser funktioniert das Hineinträumen ins Jahr 1904. Es ist gut, die dünne Luft auf 1600 Metern einmal gespürt zu haben. Denn obwohl ich Karl May sehr verehre, ich wollte ja keinen Abenteuerroman schreiben. Ich erzähle minutiös recherchiert die Geschichte des Hereroaufstandes im Verlauf eines Jahres. Eine große Hilfe war das Tagebuch von Hauptmann Franke aus dem Militärarchiv. Da war einer wirklich dabei. Eine beeindruckende Figur. Ein Kolonialoffizier, aber kein Killer. Er ist jähzornig und verprügelt seine schwarzen Burschen den ganzen Tag, aber er verprügelt auch seine Soldaten. Weiß und schwarz, alles wird geprügelt, er war zumindest kein Rassist. Gut war auch der offizielle Feldzugsbericht des Generalstabs und...

Das ist doch ziemlich naiv. Sie würden als alter Verschwörungstheoretiker keinem Bericht der CIA oder des BND glauben, aber dem Weißbuch einer Kolonialarmee schon?

Ich habe das durchaus kritisch untersucht. Interessant waren die genauen Listen mit Namen der Zugführer, Aufstellungen von Gerät und Munition, Verluste und Überlebende. Das stimmt alles.

Herr Seyfried, haben Sie gedient?

Nein, ich bin Pazifist. Mir ist es gelungen, der Bundeswehr mit Hilfe eines Psychiaters zu entkommen. Dieser Mann war in Stalingrad gewesen, hatte lauter Narben im Gesicht und den Schluss gezogen: Nie wieder! Wir Deutschen brauchen keine Soldaten mehr. Er hat dann attestiert, ich könne wegen einer Kieferverletzung keine Kopfbedeckung tragen, einen Helm schon gar nicht. Ein Mensch mit Humor, es hat geklappt wie am Schnürchen.

Woher Ihr Faible fürs Militärische?

Geschichte hat mich schon deshalb interessiert, weil in der Schule die wichtigen Phasen ausgelassen wurden. Also las ich alles über die Kaiserzeit, die Weltkriege - Geschichte ist nun mal militärlastig. Ich hatte auch immer etwas übrig für bunte Röcke, Trommeln und Zinnsoldaten. Mit meinen Freunden aus der linken Szene war da nie drüber zu reden.

Um so größer Ihr Vergnügen, jetzt solche Wörter schreiben zu können: Feldgeschütz, Halbbatterie, Protzen, Bremsräder, Mündungsdeckel, Salventakt, Schrapnell, Stabs-Trompeter, Avanciersignal...

Das sind kraftvolle Wörter. Es geht mir um die Nähe zu dieser Zeit, auch in der Sprache und im Stil.

Der Aufstand der Herero hat bald einen runden Jahrestag, und im Moment ist ein Verfahren um Entschädigung in den USA anhängig.

Ja, ja, das Geld für die Klage haben die Herero von mir, um Werbung für mein Buch zu machen. So clever wäre ich gerne. Die finstere Wahrheit ist, ich wusste nichts davon. Ich glaubte eigentlich, in Den Haag wäre der Fall schon abschlägig entschieden worden, und Roman Herzog hätte als Bundespräsident bei einem Besuch in Namibia jede Verantwortung abgelehnt. Die Sache ist abgehakt, dachte ich.

Zwei Drittel des Hererovolkes soll damals umgekommen sein. Die Schätzungen gehen von 60 000 Toten aus.

Manche sagen 10 000, andere 90 000. Die Literatur ist da ideologisch sehr gefärbt. Von den Rechten werden die Taten der Deutschen beschönigt und die Schwarzen verteufelt, die DDR-Historiker sprachen von Völkermord. Im Kulturweltspiegel der ARD wurde behauptet, in der Schlacht von Waterberg sei ein Großteil der Herero niedergemetzelt worden. Nachweisbar sind für diesen Ort 100 bis 150 Tote. Ich habe mich an die Quellen gehalten.

Das Buch endet so: „In Gottes Namen! Gehen wir!“

Irgendwo muss ja mal Schluss sein.

Das Gespräch führte Norbert Thomma.

Heute um 20 Uhr stellt Gerhard Seyfried seinen Roman „Herero“ (Eicborn Berlin) in der Berliner Literaturwerkstatt vor (Kulturbrauerei). Zur Leipziger Buchmesse erscheint Seyfrieds „Cannabis Collection“, eine Sammlung von Kiffercartoons aus 30 Jahren (Nachtschatten Verlag Solothurn).

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