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Moritz (Lorenz Hochhuth) hat es nach Berlin verschlagen.

© Salzgeber

„Drifter“ im Kino: Möglichkeiten schwulen Begehrens

Hannes Hirschs Spielfilmdebüt „Drifter“ nimmt das Publikum mit auf eine Entdeckungsreise, die keine bloße Coming-of-Age-Geschichte sein will. Es geht um Körper und die Schönheit des Rausches.

Beim gemeinsamen Blick in den Spiegel ist es eigentlich schon vorbei. Jonas hat nur Augen für den eigenen maskulin geformten Körper; Moritz, wuschelige Haare, schmal und ein wenig unsicher daneben, sieht im Abbild des anderen nur die eigene Unzulänglichkeit.

Ein zweiter Blick etwas später im Film führt, nicht zuletzt nach Trainingseinheiten im Fitnessstudio, zu einem deutlich günstigeren Urteil. Moritz, vom Freund inzwischen verlassen, gefällt, was er sieht. Seine erotische Wirkung ist für ihn wie eine Entdeckung. Bald wird ihm die Resonanz des Gegenübers Spiegel genug sein.

Reflexionen und Selbstbilder

„Drifter“, das Spielfilmdebüt von Hannes Hirsch, kreist beständig um Reflexionen, (Selbst-)Bilder und Images. Darum, wie jemand sich sieht und gesehen werden will; und wie fremde, aber auch eigene Blicke mit Selbstbildern zusammenwirken. Gravitationszentrum dieser Blick- und Begehrensdynamiken, in der schwule Körperbilder eine prägende Rolle spielen, ist Moritz (Lorenz Hochhut), Anfang 20, wohlbehütet und der Liebe wegen nach Berlin gezogen.

Von der extrovertierten queeren Community, mit der er über Jonas (Gustav Schmidt) in Kontakt kommt, wirkt er zunächst ein wenig überfordert. Moritz, mit einem Bein noch in der Provinz, steht vorerst lieber am Rand auf und beobachtet.

Nach der Trennung rutscht er nahezu übergangslos in eine neue Beziehung, Noah (Cino Djavid) ist älter und hat sich im Leben längst eingerichtet. Doch die Verantwortlichkeiten des Erwachsenenlebens lösen schnell Befremden aus. Und für gepflegte Abendessen, bei denen Schwangerschaften verkündet und Gesellschaftsspiele mit Wörterbüchern gespielt werden, ist er eindeutig zu jung. Moritz verschwindet, treibt weiter, taucht als ein anderer wieder auf.

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Auch sein Aussehen hat sich gewandelt. Mit rasiertem Schädel, Panzerkette, Muskelshirt und Tattoos, der Oberkörper immer noch schmal, aber definiert, gehört er jetzt zu den hot guys in town. Sein Look ist zeichenhaft. „You look like a real gay man now”, staunt eine Bekannte, die ihn erst auf den zweiten Blick wiedererkennt. Aber auch dieses Stadium ist nur ein Übergang.

Kein Entwicklungsroman

„Drifter“, uraufgeführt im Panorama der Berlinale und mit dem Nachwuchspreis First Steps ausgezeichnet, folgt den Bewegungen und Transformationen eines schwulen Mannes in der Großstadt. Dieses Suchen und Ertasten findet Ausdruck in einer offenen Erzählung, die sich gerade nicht auf die bekannte, am „Entwicklungsroman“ orientierte Geschichte über Identitätssuche und emotionale Entfremdung verengt.

Moritz (Lorenz Hochhut, links) ist gerade nach Berlin gekommen und lässt nichts aus.

© Salzgeber

Der Film macht sich vielmehr den Grundimpuls seines Protagonisten zu eigen und gleitet fluide, wenn auch mit erzählerischen Auslassungen, von Moment zu Moment: Grindr-Dates, Clubbesuche, Partys, Drogenexzesse, sexuelle Fetische. Moritz probiert sich aus, testet verschiedene Möglichkeiten des schwulen Begehrens und der äußeren Erscheinung.

Stilistisch bewegt sich der Film an einer reizvollen Schnittstelle. Hannes Hirsch, ausgebildet unter anderem an der Regieklasse von Thomas Arslan an der Berliner Universität der Künste, verbindet mühelos Naturalismus und Überformung, Sensibilitäten für fließende Atmosphären und präzise Beobachtungen von Körperlichkeit.

Mit Lorenz Hochhut hat er zudem einen Schauspieler gefunden, der jede Wandlung seiner Figur glaubhaft verkörpert. Er ist gleichzeitig zart und kantig, versonnen und von physischer Präsenz.

Nicht immer ist Moritz klar, was ihm gut tut und gefällt, wo das Sich-Verlieren ein Gewinn an Freiheit bedeutet oder ein einsames Wegrutschen. Der Film wertet nicht, spielt nicht das eine gegen das andere aus. Seine Aufmerksamkeit ist großzügig und gilt vielem: der Fetischisierung des männlichen Körpers und dem kompetitiven Druck in der queeren Szene ebenso wie der Schönheit des Rauschs und dem Gefühl, sich in der Gemeinschaft aufgehoben zu wissen. Etwa dann, wenn Moritz nach einer entgleisten Clubnacht im Haus einer Freundin ein wohliges Fußbad erwartet.

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