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Kriegsalltag in der Ukraine.

© Vertov

Dokumentation „Eastern Front“ auf der Berlinale: Mit der Kamera in den Krieg

Yevhen Titarenko hat sich in der Ukraine freiwillig zum Sanitätsdienst gemeldet. Zusammen mit Vitaly Mansky realisierte er die Doku „Eastern Front“, die in der Reihe Encounters läuft.

Von Kerstin Decker

Sommerlicht, weiße Kaffeehaus-Schirme an der größten Straße Kiews und ihrer Mitte ein großer, zerschossener russischer Panzer. Es ist der 24. August 2022, Unabhängigkeitstag der Ukraine. Man schaut zugleich auf die Schirme im Hintergrund und in die gähnende, todbringende Leere der Panzerkanone. Heißt: Sie sind da, aber besiegbar.

Am 24. Februar 2022 hatte sich Regisseur Yevhen Titarenko zusammen mit vier anderen freiwillig zum Sanitätsdienst gemeldet. Bis 2014 hatte er eine Produktionsfirma und eine Filmschule auf der Krim, danach ging er als Dokumentarfilmer an die Front, in einen Krieg, den noch anderswo noch kaum jemand Krieg nannte. Auch das Freiwilligen-Bataillon „Hospitaliter“ existiert bereits seit 2014.

Wir werden Zeuge einer rasenden Rettungs-Fahrt über zerschossene Straßen in gefühlter Echtzeit, gleich darauf ein Schneemorgen in einer geräumten Villa: Schnee, der die Welt ganz leise macht. Wären da nicht die dumpfen Explosionen in nächster Nähe. Einer tritt vor die Tür, morgens um 6 Uhr, und sagt: Das sind unsere! Ganz allmählich wird der Zuschauer Teil dieser Gruppe, ihres Alltags im Krieg, ihrer Gespräche am Fluss im Sommer, ihrer Treffen mit den Familien.

Junge Männer im Krieg: Gefährdetes, gefährliches Dasein. Es scheint, sie wissen jetzt erst, was Wachsein, was Existenz heißt. Ist das gewöhnliche Leben im Frieden dagegen nicht wie ein ewiger Halbschlaf? Titarenko wirkt als einziger eher empfindsam, er fährt oft den Sanitätswagen und setzt als Ko-Regisseur wirkmächtige Kontraste.

Noch einmal anders, gleichsam näher als auf den Fernsehbildern sehen wir die zerstörten Neubaublocks, Straßen, in denen kein unversehrtes Haus mehr steht. Und auf der anderen Seite immer wieder die Schönheit dieses Landes unter dem hohen Sommerhimmel. Wie soll dieser Film enden, wird Titarenko einmal gefragt. – Am besten auf dem Roten Platz in Moskau, sagt er mit halbem Ernst, als sie zum nächsten Einsatz gerufen werden. Und dann liegt zum ersten Mal Musik über der Szene: Ennio Morricone. Männer in Krieg.

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