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Kultur: „Dieses irre Leben“

Der Essay „Groteske der Geschichte“ von Francis Nenik erzählt die Biografie des Schriftstellers Hasso Grabner, der vor 40 Jahren in Potsdam starb

Das Leben des Hasso Grabner liest sich wie ein Schelmenroman: Irrwitzig und mit diesem Hauch an Tragik, die erscheint, wenn die Geschichte aus dem Helden das Opfer macht und der Roman dies wieder umdreht. Grabner, der Kommunist, überlebte zu Nazizeiten jahrelanges Zuchthaus, später das Konzentrationslager Buchenwald und selbst Hitlers Strafbataillon in Griechenland. Nur die DDR, in der er aus einer gewissen Not heraus Schriftsteller wurde, überlebte er nicht. An den Folgen eines Herzinfarkts und nicht zuletzt an denen des ideologischen Systems starb Hasso Grabner am 3. April 1976 in Potsdam.

„Es ist kaum glaubhaft“, sagt Sigrid Grabner, seine Ehefrau, „dieses irre Leben“. „Welch eine Lebensgeschichte“, schrieb auch der PNN-Autor Daniel Flügel 2011 anlässlich einer Lesung zum 100. Geburtstag von Grabner. Dass sie nie niedergeschrieben wurde, sei erstaunlich und bedauerlich zugleich. Dieses Zitat steht nun, fünf Jahre später als Epigraph zu dem ersten biografischen Essay über Grabner, der pünktlich zu dessen 40. Todestag erschienen ist. Mit „Groteske der Geschichte“ ist er betitelt.

Oft sei sie gefragt worden, ob sie nicht die Biografie ihres Ehemannes aufschreiben wolle, erzählt Sigrid Grabner. Doch obwohl selbst Schriftstellerin, verneinte sie stets, allein angesichts der zig Akten, die sowohl von den Nationalsozialisten als auch von der DDR-Staatssicherheit seit Anfang der 1950er-Jahre angelegt wurden und durch die sie sich hätte durcharbeiten müssen. „Da wäre ich depressiv geworden“, sagt sie. Nun hat sich der bislang unbekannte Autor Francis Nenik des Stoffes angenommen. Nenik scheut die Öffentlichkeit, gibt weder Foto noch biografische Daten von sich preis, er wohnt auf einem Bauernhof in der Nähe von Leipzig. Mit „Groteske der Geschichte“ ist ihm ein ungewöhnliches literarisches Zeugnis gelungen. Aus der Distanz des Nachgeborenen – Nenik, so vermutet Sigrid Grabner, ist 1981 geboren – gelingt es ihm, erstaunlich leicht und sprachlich verwegen Grabners Geschichte zu erzählen.

Hasso Grabner eignet sich hervorragend als Protagonist eines Schelmenromans. Nicht nur ob der Groteske der Geschichte, die Nenik beschreibt und die aus einem aufrechten Kommunisten und Widerstandskämpfer fast beiläufig einen Träger des Eisernen Kreuzes II. Grades und in der DDR aus dem gefeierten Antifaschisten einen ideologisch Geächteten macht, sondern auch wegen Grabners Gabe zu Mut und Fröhlichkeit.

Mit einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein war Grabner ausgestattet, so beschreibt ihn Nenik, und einem Pragmatismus, der ihm jede Menge Ärger einbrachte in einem ideologisch verbissenen System. So wollte Grabner italienische Gastarbeiter in die DDR holen. Dass sie in der BRD angeworben wurden, davon hatte er in der Zeitung gelesen, schreibt Nenik, Ende 1955, als er als Aufbauleiter des Kombinats „Schwarze Pumpe“ selbst dringend Arbeitskräfte brauchte. „Warum also, so fragt er sich, nicht selbst eine kleine Werbekampagne starten und die frisch in der BRD ankommenden Italiener gleich weiterlotsen, direkt in die ’Pompa Negra’, schließlich würden sie in der BRD nur den imperialen Monopolkapitalisten dienen, derweil sie in der DDR beim Aufbau des Sozialismus helfen und praktische Erfahrungen in einem Land sammeln könnten, in dem die Arbeiter selbst die Macht haben.“ Das Ende lässt sich leicht denken: Die Partei entlässt Grabner als Aufbauleiter, degradiert ihn zum Hilfsarbeiter, später zum Arbeitslosen.

Natürlich litt auch Grabner an der Borniertheit der Genossen. „Das Leiden am System drückte sich aus, indem er sprach“, sagt Sigrid Grabner. Ihr Mann machte den Mund auf und revoltierte vor den Genossen. Mehrere Parteiverfahren hat es daraufhin gegen ihn gegeben. Doch Hasso behielt seine „große Klappe“, wie seine Ehefrau es nennt, bis zum Schluss. Woher der Mut dazu wohl kam? Ihr Mann habe so viel Schlimmes erlebt, sagt Grabner, dass er über das, was in der DDR geschah, nur lächeln konnte. Es war wohl nur ein Klacks. Er konnte die Partei auch nie wirklich ernst nehmen, „Die Partei, das waren für ihn die toten Kameraden“, sagt Sigrid Grabner. Die KPD-Genossen, die im Zuchthaus oder in Buchenwald umkamen.

An Ausreise in den Westen habe er trotzdem nie gedacht, sagt Grabner. Er musste nicht weg, er sei frei im Kopf und im Herzen gewesen, in den Jahren in der Zelle hat er gelernt, ein freier Mann in einem unfreien System zu sein. Nur an Reisen war ganz zum Leidwesen seiner Frau, der Asienwissenschaftlerin Sigrid Grabner, nicht zu denken. „Hitler verdanke er seine einzige Auslandserfahrung, hat er mal spöttisch gesagt“, erzählt Sigrid Grabner. Auch damit hat er sich keine Freunde gemacht. „Ein verrückter Kerl“, sagt sie und lacht ob der Erinnerung an ihn.

Ein letztes Mal legt sich Grabner mit der Bezirkskontrollkommission Potsdam an, geladen ist er wegen unerlaubter Schriften von Soltschenitzyn. Noch während des Parteiverfahrens erleidet Grabner einen Herzinfarkt und stirbt zehn Tage später im St. Josefs-Krankenhaus.

Die Parteigenossen haben ihn nicht nur im übertragenen Sinne, sondern wirklich zu Grabe gebracht und in seine Heimatstadt Leipzig überführt. Seiner Frau Sigrid mit ihren zwei kleinen Kindern wurde sofort, nach Jahren des Wartens, eine Wohnung in Potsdam angeboten. „Sogar eine Sechs-Zimmer-Wohnung, aber was sollte ich damit?“, fragt sie heute.

Dass die Biografie ihres Mannes erschienen ist, habe sie beglückt, sagt Sigrid Grabner. „Der Text hat mich echt begeistert, eine wirklich geglückte Symbiose zwischen Autor und Protagonist.“ Er habe sein Wesen erfasst, sagt Grabner über Nenik.

Francis Neniks Essay über Hasso Grabner erschien in seinem Buch: „Doppelte Biografieführung“. Verlag Spector Books, die 300 Seiten kosten 14 Euro.

Grit Weirauch

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