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Kultur: Die unglaubliche Anziehung des Genre-Mix

Die französische Gruppe La Zampa hat eine Woche lang in der Fabrik geprobt und einen Einblick gewährt

Fast denkt man an dieses endlich belegte Ding, die Gravitationswelle oder auch Raum-Zeit-Krümmung. Wie sich die Körper hier, am Freitagnachmittag, in der Fabrik unter der basslastigen Musik deformieren, in Zeitlupengeschwindigkeit, das hat etwas von der Schönheit mathematischer Modelle. Wie von Fliehkraft getrieben löst sich schließlich eine der vier Frauen von dem Tisch, den sie umkreist haben, bewegt sich in den Vordergrund der Bühne und wird eine andere. Eine extatisch tanzende Schamanin.

Die anderen haben sich nach hinten zurückgezogen, und weil es eine öffentliche Probe ist, die hier stattfindet, und keine Premiere, hält man ihr Umziehen und sich neu schminken für notwendiges Übel und nicht Teil der Show. Aber vielleicht ist es genau das. Es ist die französische Kompagnie La Zampa, die eine Woche lang in der Fabrik zu Gast war, deren Infrastruktur nutzen und so ihr neues Stück „Opium“ weiter entwickeln konnte. Residenz nennt man das, einen Einblick konnte am Freitagnachmittag jeder bekommen, der Zeit und Lust hatte. Gelohnt hat es sich.

Aus jeder Menge Rechercheergebnissen, aus Fotos von Wüsten und Oasen, aus Interviews mit einem Söldner und Jugendlichen aus den Banlieus, aus Texten von Hannah Arendt und dem freien Geist Nina Simones haben Romuald Luydlin und Magali Milian ein unglaublich vielschichtiges Stück Tanztheater gebaut. Es gibt Anleihen beim Burlesque, beim Cabaret, etwa wenn die vier Tänzerinnen Sophie Lequenne, Corine Milian, Anna Vanneau und Magali Milian sich immer wieder aus- und umziehen, sich die Gesichter kämpferisch rot und die Hände clownesk weiß schminken. Wenn sie sich mit Federn schmücken oder mit präpotentem Gehabe, glitzerndem Collier und Ray-Ban-Sonnenbrille ein Solo singen und schnauben.

Manchmal haben die vier, wie sie sich da zur Live-Musik von Marc Sens, Manusound und Benjamin Chaval bewegen, etwas von den Rachegöttinnen der Tarantino-Filme, manchmal, etwa, wenn sie sich fleischfarbene, halbtransparente Masken aufsetzen, etwas von einer Zombie-Armee oder den gequälten weiblichen Figuren aus Kubrick-Filmen. Und zwischen all den Geschichten, die sie mit ihren Masken und ihrer Nacktheit, mit ihren Körpern und ihrer Kraft erzählen, kommen dann noch die Texte, auf Französisch zwar, aber das ist eigentlich egal. Man muss sie nicht verstehen, aber wenn man es tut, gibt es dem Ganzen – neben der düster vor sich hin treibenden, immer mal wieder ausrastenden Musik – eine neue Dimension.

Das Kabarett haben La Zampa nicht umsonst als Referenz gewählt, es ist bis heute ein Ort der politischen Artikulierung, der Überschreitung von Grenzen und des Vergnügens zugleich. In diesem, immer wieder die Slow-Motion feiernden Driften durch Zeit, Raum, krümmen sie zumindest den Alltag, biegen ihn zurecht zu etwas mit einer besonderen Aura. Premiere hat „Opium“ demnächst am Théâtre de Nimes, ob es noch einmal in Potsdam zu sehen sein wird, ist ungewiss. Schade. alm

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