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Er lächelte und sagte „Trotz alledem“. Der Regisseur Günter Reisch, zu dessen eindrucksvollster Leistung der Film „Die Verlobte“ mit Jutta Wachowiak in der Hauptrolle zählte, ist am Montag im Alter von 86 Jahren gestorben.

©  Manfred Thomas

Kultur: Die Kraft der Komödie

Zum Tode des Defa-Filmregisseurs Günter Reisch, der in Potsdam aufwuchs und arbeitete

Als ab 1946 die ersten Filme der Defa in Babelsberg entstanden, war Günter Reisch 19 Jahre alt. Er ahnte damals noch nicht, dass er eines Tages zu den wichtigsten Regisseuren des ostdeutschen Filmproduktionsbetriebs gehören würde. Am 24. November 1927 in Berlin geboren und in Potsdam aufgewachsen, gehörte das Theaterspiel schon früh zu seiner intensivsten Freizeitbeschäftigung. Als 16-Jähriger wurde er kurz vor Kriegsende eingezogen und geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Entlassung beteiligte er sich bereits im Herbst 1945 am Aufbau und der Leitung des Theaterensembles des Antifa-Jugendausschusses der FDJ in Potsdam. Trat er 1944 noch der NSDAP bei, so wurde er drei Jahre später Mitglied der SED.

In Babelsberg wurde zur damaligen Zeit auch das Nachwuchsstudio der DEFA ins Leben gerufen. Eine gute Gelegenheit für Günter Reisch, Regie zu studieren. Bei dem Altmeister des Films, Gerhard Lamprecht, konnte er als Regieassistent das theoretisch Erlernte in die Tat umsetzen. Prägend wurde für ihn aber die Zusammenarbeit mit Kurt Maetzig. Bei dessen Ernst-Thälmann-Zweiteiler war Günter Reisch ebenfalls als Assistent beteiligt, Filme, die in konzentrierter Form alle Leitbilder der SED-Propaganda bereithielten.

Reisch drehte 1955 seinen ersten Film bei der Defa: „Junges Gemüse“. Das nach Gogols Komödie „Der Revisor“ transponierte Drehbuch in die DDR hatte so manche satirische Untertöne an der Wirklichkeit auf dem Lande parat. Reisch erlebte, wie die Obrigkeit auf die Kunst Einfluss nahm. Bild- und Textpassagen mussten verändert werden, denn allzu viel Kritik war nicht erlaubt. Einer ständigen Zensur seitens der Hauptverwaltung Film des DDR-Kulturministeriums wurden alle seinen Arbeiten unterzogen. Dennoch gelang es Reisch, sich als Regisseur für Filmkomödien zu etablieren. Sein Freund und Kollege Günther Rücker meinte: „Er versucht sich immer und immer wieder an Komödien und Lustspielen und Schwänken, er trieb das Spiel hoch bis zur Farce, und er hat seine schönsten Leistungen, sein Bleibendes (denke ich), in tiefernsten, tragischen Sujets abgeliefert. Wie oft versuchten seine Freunde, ihn vor Illusionen zu bewahren. Er lächelte: Trotz alledem!“

Eine seiner schönsten Filmkomödien wurde „Ach, du fröhliche“, die er 1961/62 nach dem damals auch in der DDR vielfach aufgeführten Stück „Und das am Heiligabend“ von Vratislav Blazek drehte. „Ein gültiges Drehbuch über Probleme unseres Landes entstand“, konnte man in der Satire-Zeitschrift „Eulenspiegel“ lesen. Das Szenarium verfasste der Schriftsteller Hermann Kant, später Vorsitzender des DDR-Schriftstellerverbandes. Der Film erhielt mit „Wie die Alten sungen“ 25 Jahre später eine Fortsetzung. In beiden Streifen wurden die Hauptrollen mit Erwin Geschonneck besetzt. Doch zu Reischs erfolgreichstem Lustspiel avancierte „Anton der Zauberer“ aus dem Jahr 1977. Voller Ironie erzählt der Regisseur die Geschichte eines pfiffigen Automechanikers, dessen Organisationstalent ihn in der DDR-Mangelwirtschaft zum Millionär, dann zum Gefängnisinsassen und schließlich zum Ersatzteilbeschaffer eines staatlichen Großbetriebs macht. Der Film „ermöglicht lachende Selbstkritik und Selbstverständigung mit einer Souveränität, wie sie schon lange in keinem Defa-Film zu finden ist“, hieß es in der „Weltbühne“.

Das 20. Jahrhundert mit seiner Zerrissenheit, den Veränderungen politischer und gesellschaftlicher Strukturen, den propagandistischen Verirrungen, den Verbrechen und der Hoffnung auf bessere Zeiten spielte im Schaffen Günter Reischs immer eine große Rolle. Auf den ersten Teil der pathetischen Biografie über Karl Liebknecht mit dem Titel „Solange Leben in mir ist“ (1964/65) folgte sechs Jahre später der zweite Teil „Trotz alledem“. Reischs fünfteilige Fernsehserie „Gewissen in Aufruhr“ (1961) über den Kommandanten von Greifswald Joachim Ebershagen, der die Stadt kampflos an die Rote Armee übergab, sowie der Spielfilm „Wolz - Leben und Verklärung eines deutschen Anarchisten“(1974) fanden große Publikumsresonanz und lobende Kritiken.

Die eindrucksvollste Filmarbeit gelang Reisch wohl gemeinsam mit Günther Rücker. In „Die Verlobte“ wird von einer Kommunistin erzählt, die im Nazi-Gefängnis ihre Würde behielt. Der Film, in dem Jutta Wachowiak mit einer bewegenden Darstellung zutiefst überzeugt, „wirkte offenkundig angesichts zunehmender Verunsicherungen über den Wert des real existierenden Sozialismus () wie eine Vergewisserung und Beschwörung, dass Ideale noch nicht gänzlich verloren sind“, wie Elke Schieber, bis 2007 Leiterin der Sammlungsabteilung im Filmmuseum Potsdam, schrieb. Der Film konnte sich einer mehrfachen Auszeichnung erfreuen. Doch trotz des Erfolgs lehnte die Defa weitere Filmprojekte ab, die Reisch in den 1980er-Jahren vorlegte.

Nach 1990 wandte sich der Regisseur der Nachwuchsförderung zu. Er unterrichtete unter anderen an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Babelsberg. Hier gehörte Andreas Dresen zu seinen Schülern, der auch schon zuvor bei ihm als Regieassistent tätig war. Dem Filmmuseum Potsdam übergab er seine umfangreiche Sammlung von Drehbüchern, Fotos, Plakaten, Zeitungskritiken und Erinnerungstexten. Am Montag ist Günter Reisch im Alter von 86 Jahren gestorben.

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