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Kenner der Alten Musik. Der Argentinier Leonardo García Alarcón.

© promo

Kultur: Die Entdeckung der Sintflut

Ein vergessenes Meisterwerk aus Sizilien: „Il Diluvio Universale“ von Michelangelo Falvetti

Für einen Liebhaber der Barockmusik können ein paar alte Notenblätter das größte Geschenk sein. Der Cembalist Leonardo García Alarcón ist so ein Liebhaber – und dazu Kenner. Deshalb erhielt er von einem befreundeten Tenor und Musikwissenschaftler vor einigen Jahren mehrere solcher Seiten Papier, gefunden in einer Bibliothek im italienischen Messina. Es war die Partitur eines Werks, das für Alarcón – und nicht nur für ihn – inzwischen von unschätzbarem Wert ist. Es führte den Südamerikaner seit 2010 auf zahlreiche Festivals quer durch Europa und nun erstmals auch nach Potsdam, wo es am Wochenende die Musikfestspiele mit eröffnet – das Oratorium „Il Diluvio Universale“ aus dem Jahre 1682 des sizilianischen Komponisten Michelangelo Falvetti.

Nun gibt es derlei Wiederbelebungsversuche von Werken vergessener Komponisten zuhauf, gerade in jüngster Zeit in der Alten-Musik-Szene, und nicht immer glücken sie. Manche Stücke sprechen thematisch und musikalisch heutige Zuhörer einfach nicht mehr an, andere sind schlichtweg des Aufhebens von ihnen nicht wert. Bei Falvettis Sintflut und Alarcóns Interpretation allerdings ist das Gegenteil der Fall. Man muss kein Umweltschützer oder Theologe sein, um aktuelle Bezüge zur größten Naturkatastrophe der Bibel zu finden, jener Geschichte über die Sintflut, mit der der alttestamentarische Gott einst die Menschheit bestrafte. Aber es ist auch die Musik, die wirkt: Konzertbesprechungen der vergangenen sieben Jahre, in denen Alarcón und seine Cappella Mediterranea mit dem Chur de Chambre de Namur das Oratorium spielen, schwärmen von Werk und Aufführung.

„Ein außergewöhnliches uvre, einzigartig“, sagt auch der in Frankreich lebende Argentinier. „Ich dachte, ich würde es nur einmal aufführen, aber wir hören nicht auf, es zu spielen. Ein musikalisches Wunder – und nach wie vor überrascht mich die Kraft und die Perfektion des Werks.“ Als Oratorium für Soli, Chor und Orchester benannt, hat es doch, wie in der Barockzeit gang und gäbe, einen szenischen, einer Oper ähnlichen Charakter. Die vier Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde treten als Solisten und Gestalten auf, die sich zu einem Kampf gegen die Menschheit vereinen. Musikalisch vereint Falvetti an dieser Stelle die Kräfte in einem Chor, der eine Wucht entfaltet, die in der Tat außerordentlich ist. „Nie zuvor habe ich ein Concitato für Chor geschrieben gesehen“, sagt Alarcón und meint damit jenen Stil, den Guiseppe Monteverdi 1625 erstmals beschrieb: Rasant gespielte, schnell wechselnde Noten, die in einer groß angelegten Bewegung dem Zorn einen Klang geben. An anderen Stellen, etwa als der Regenbogen auftaucht, entwickele die Musik eine enorme visuelle Kraft, die an heutige Filmmusik erinnere, sagt Alarcón.

Der 41-Jährige ist aber auch einer der Interpreten, die Noten und historische Aufführungspraxis zwar genauestens studieren, aber dennoch Künstler genug sind, um sich kreativ davon lösen. So fügt er etwa Blasinstrumente Falvettis Vorlage hinzu, Flöten, Hörner und Posaunen, um die Wasserwelt in Klang zu verwandeln. Und nicht zuletzt – und das ist wohl der eigentliche Geniestreich in Alarcóns Interpretation: Er bezieht den bekannten iranischen Schlagzeuger Keyvan Chemirani ein. „Solch eine feine Ausdifferenzierung der Lautstärken von Trommeln ist selten“, sagt Alarcón. „Er hat uns die Stille in die Musik gebracht.“ Und er bereichert mit seinen Improvisationen die Klangwelt Falvettis um die des weiter gedachten mediterranen Raums.

Überhaupt das Mittelmeerland Italien: Falvetti (1642 -1692), Priester und Domkapellmeister der sizilianischen Stadt Messina, wirkte zu Zeiten der Besetzung Siziliens durch die Spanier und erlebte den Kampf seines Volkes gegen die Besatzer. Denn nicht nur von Naturkatastrophen wurde die Insel wieder und wieder heimgesucht, sondern sie war zugleich Ziel von Belagerung und Eroberung. Alarcón interpretiert denn auch „Il Diluvio Universale“ als ein politisches Werk Falvettis – ein Zeichen des Widerstands. „In der Musik Falvettis spürt man den Schmerz derjenigen, die Invasionen gewohnt sind, aber auch daran, sich dagegen aufzulehnen“, sagt er.

Überaus sizilianisch wirkt das Werk auch noch in anderer Hinsicht: Die Gestalt des Todes tanzt bei Falvetti Tarantella, den süditalienischen wilden Volkstanz. Der Tod ist in der Vorstellungswelt Falvettis kein Sensenmann, sondern ein Spinnentier, das die Menschen frisst. Wohl als Zugeständnis an die nordeuropäischen Zuhörer inszeniert Alarcón aber den Tod trotzdem mit der Sense.

Michelangelo Falvetti taucht in kaum einer Musikenzyklopädie auf. Alarcóns Verdienst ist es, dass er es doch wenigstens in einige wenige geschafft hat. Insgesamt 20 Oratorien habe er geschrieben, außer der Sintflut und „Nabucco“, ebenfalls mit einem Libretto von Vicenzo Giattini, seien alle verloren. Eine Schande, so findet Alarcón, dass das italienische Archivwesen so wenig Wert auf die Bewahrung musikhistorischer Schätze lege. Immerhin hat er nun die Nachwelt Falvettis um ein Geschenk reicher gemacht. Grit Weirauch

Konzert „Il diluvio Universale“ am Sonntag, dem 11. Juni, um 20 Uhr in der Friedenskirche Sanssouci

Grit Weirauch

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