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Thomas Schmidt-Ott, Orchesterdirektor des DSO

© Copyright: Jakob Tillmann

Deutsches Symphonie-Orchester Berlin: Shitstorm statt Harmonie

Die Ankündigung des Deutschen Symphonie-Orchesters, in der kommenden Saison kein Konzert ohne Komponistin zu spielen, erregt die Gemüter – nicht nur der Klassikfans.

Eine Kolumne von Frederik Hanssen

In der vergangenen Woche habe ich über die Programmpräsentation des Deutschen Symphonie-Orchesters für die kommende Spielzeit berichtet. Besonders gut gefiel mir die Idee, in der gesamten Saison kein einziges Konzert ohne den Beitrag mindestens einer Komponistin anzubieten. Diese „feministische Musikpolitik“ – wie es Orchesterdirektor Thomas Schmidt-Ott etwas ambitioniert in Anlehnung an die feministische Außenpolitik der Bundesregierung nannte – eröffnet dem Publikum die Möglichkeit, jede Menge unbekannte Stücke kennenzulernen oder wiederzuentdecken: von der Zeit der Wiener Klassik über die Romantik bis hin zu ganz aktuellen Werken.

„Wer heute in klassische Konzerte geht, hört von 100 dort aufgeführten Werken weniger als zwei, die von einer Komponistin stammen“, moniert Schmidt-Ott. „Bei einem solchen Männerclub aus Beethoven, Mozart bis Henze dürfen wir nicht bleiben.“ Clara Schumann hat es auf den 100-Euro-Schein geschafft, die meisten Komponistinnen aber gerieten schnell wieder in Vergessenheit. „Durch eine männerdominierte Branche erzwungen, und das definitiv nicht aus qualitativen Gründen“, so Schmidt-Ott. Daher sei es so wichtig, ihre Werke heute, in gesellschaftlich geänderten Zeiten, neu zur Diskussion zu stellen.

Eine Melange aus Jubel und Wutrede

Nachdem die RBB-„Abendschau“ auf ihrem Facebook-Account das DSO-Motto „Kein Konzert ohne Komponistin“ gepostet hatte, hagelte es kontroverse Reaktionen. Am Mittwoch war die Zahl der Kommentare auf über 1500 angewachsen. „Eine bemerkenswerte Melange aus Jubel und Shitstorm“, so Schmidt-Ott, „die uns zeigt, wie wichtig dieses Projekt in der heutigen Gesellschaft ist. Das DSO trifft den Nerv.“

Anders sieht das zum Beispiel ein Facebook-Kommentator, der sich Daniel Neidigk nennt. Er wütet: „Künstlerische Qualität hat schon bei den Bücherverbrennungen keine Rolle gespielt“ und wird flankiert von einem User namens Markus Werner: „Warum die obsessive Beschäftigung mit Geschlechtszugehörigkeit (die ja ohnehin angeblich nur ‚soziales Konstrukt‘ ist) nun Leitfaden bei der Programmgestaltung wird, versteht vermutlich nur die Blase des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in ihrer ganz eigenen Welt.“ Und ein Nutzer mit dem Namen Jochen Schweizer schreibt: „In der Politik ist die Frauenquote grandios gescheitert, deshalb will man das jetzt in der Musik wiederholen.“

„Ich bin erschüttert, wie unqualifiziert und mit welchem Hass zum Teil auf unsere Idee reagiert wird“, sagt der DSO-Orchesterdirektor. „Da werden Deutschland-geht-unter-, Ich-wandere-aus- und Schafft-den-öffentlich-rechtlichen-Rundfunk-ab-Parolen skandiert. Was für ein Armutszeugnis!“

Die Leserinnen und Leser des Tagesspiegels scheinen übrigens deutlich offener für die DSO-Initiative einer Repertoire-Erweiterung in Richtung Komponistinnen zu sein als die Facebook Community der „Abendschau“. Auf der Website unserer Zeitung jedenfalls findet sich zu meinem Artikel über die Programmpräsentation des Orchesters bis jetzt kein einziger negativer Kommentar.

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