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Am Zopf der Zeit. Das Kunst-Happening bei Fluxus+.

© Manfred Thomas

Kultur: Der Zopf ist ab

Vernissage mit Happening im Museum „Fluxus+“

Preußen ist zwar nicht mehr so groß, dafür aber sind seine Schatten auffallend lang, so lang etwa wie seine inzwischen nachgewachsenen Zöpfe. Der wohl längste ist ein Werk der Alt-Avantgardistin Mary Bauermeister, die in den sechziger Jahren in ihrem Kölner Atelier schon Fluxus-Aktionen (eine Kunstrichtung der Avantgarde) machte, bevor es das Wort überhaupt gab. Ihr Preußenzopf hängt im Atrium des Museums „Fluxus+“ und ist mit etwa sechsundsechzig geflochtenen Metern nicht einfach nur der längste. Nein, bei ihm sind auch die Farben der deutschen Demokraten, das seit 1919 amtlich verordnete Schwarz-Rot-Gold, höchst programmatisch ins Gegenteil verdreht.

Unter dem Titel „Zopf ab“ wurde Mary Bauermeisters „kritischer“ Beitrag zu Friedrichs Dreihundertstem am Freitag in Potsdams Museum der Moderne eröffnet. Da sie es sich nicht nehmen ließ, den Auftakt dieser Sonderschau – zusammen mit Michael Faust, Chef-Flötist beim WDR-Rundfunkorchester – ganz wie in alten Zeiten zu gestalten, waren Fans aus ganz Deutschland angereist. Schließlich verbindet sich ihr Name mit vielen Aktivisten der ersten Stunde, Cage, Busotti, Adorno, Christo, Helms, Paik. Mit Karlheinz Stockhausen war die 1934 geborene, aber sehr agil gebliebene Avantgardistin sogar verheiratet. Was hat die international anerkannte „Urgroßmutter“ von Fluxus mit ihrer Raum-Installation über Potsdams Jubelthema zu sagen?

Enttäuschend wenig. Sie lässt die drei Farben Deutschlands in je einem dicken Strange aus der Erde wachsen, verflicht sie zopfartig und schmückt damit das Atrium wie eine Girlande. Daneben eine riesige Schere. Bevor das Haarteil fadendünn in einer Wand verschwindet, sind die Farben umgekehrt. Was sie damit meint, ist ziemlich widersprüchlich: Einmal möchte sie „das spirituelle Gelb“ gerne „oben“ sehen, zumal Schwarz als Farbe der Materie sowieso nach unten gehöre.

Als Vor-Kämpferin aber braucht sie das Original ihrer Interpretation: „Aus der Schwärze der Knechschaft durch blutigen Kampf in die goldene Sonne der Freiheit“. Klingt nach Rot-Front. Das Ausstellungskonzept fordert also ganz allgemein dazu auf, „mit alten Denkgewohnheiten zu brechen“, die auch in Potsdam nachgewachsen seien, wie Friedrichs Zopf nach seinem Amtsantritt. Aus ihrem eigenen Mund klang die nicht ganz taufrische Botschaft so: Zopf ab und mehr Kunst gemacht, dann werden wir endlich wieder ein Volk von Dichtern und Denkern!

Was außer dem kostbaren Flechtwerk im Gelb-Rot-Schwarz dominierten Raum noch gezeigt wird, ist mehr Werk- und Lebens-Retrospektive als eine Auseinandersetzung mit Potsdam und seinen Schatten. Man sieht ihr spektakuläres Lichttuch „ON-NO“ aus dem sechziger Jahren, die originellen „Linsenkästen“, den „Großen Rahmen mit Blitz“, Stein- und Obst-Arrangements, Zeichnungen und Skizzen, deren eine, „no fighting on Christmas“, sie zusammen mit einem Kotau-Brief an Mister Obama schickte: Er werde das schon richten! Überlebensgroß ein Gruppenfoto aus ihren Anfängen in Köln, die frühe Versammlung der späteren Avantgarde-Kapazitäten mit tief ernsten Gesichtern zeigend. Etwa frühe Verzweiflung?

Nahtlos führte sie die Vernissage in ein Happening, wo es auch um Politik ging. „Wir wollten in den verkrusteten bürgerlichen Zeiten damals die Anarchie, den Lärm. Politisch gesehen, haben wir Terrorismus gemacht, war aber harmlos, nur Kunst.“ Wie heute im Atrium. War es nicht ein alter Zopf, als sie zu „Bewusstseinsänderung durch Kunst“ aufrief und die Allmacht des Geldes ächtete? Das Publikum schien vom Happening happy zu sein. Mit dem Animationsfilm „psst pp Piano – Hommage á Mary Bauermeister“ im Videoraum ehrt Gregor Zoozky die große Meisterin auf seine Weise, indes „Fluxus+“ mit ihr „50 Jahre fluxus“ zu feiern beginnt. Gerold Paul

Noch bis zum 19. August, Mi bis So von 13 bis 18 Uhr, Museum Fluxus+, Schiffbauergasse 4f, Tel: (0331) 60 10 89

Gerold Paul

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