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Kultur: Der Reformator von innen

Siegfried Matthus’ „Träume Luthers“

Die Mitwirkenden waren in der Mehrzahl. Die große Bühne des Nikolaisaals war am Dienstagnachmittag proppevoll – erstaunlich wenige Zuhörer fanden jedoch den Weg hierher zum Konzert der deutschen Einheit. Geboten wurde ein neues Luther-Oratorium von Siegfried Matthus, das im Frühjahr in Frankfurt an der Oder zur Uraufführung gekommen war.

Schon wieder ein Oratorium zum Reformationsjubiläum, schon wieder Martin Luther? Die Zeit wird entscheiden, ob die Kompositionen Bestand haben. Fantasievoll waren die Titel, die ihnen ihre Schöpfer gegeben haben: „Gaff nicht zum Himmel“, „Furchtlos und frei“, „Wachet recht auff“, „Des Menschen Wille“ oder auch nur „Luther“. Mit abwechslungsreichen Stilmitteln wurden sie bedacht, von gemäßigter Moderne bis zur Popmusik.

Bei Siegfried Matthus, der sein Werk „Luthers Träume“ nennt, haben die Mitwirkenden auf der Bühne viel zu tun: ein großes Solistenensemble, das von der Sopranistin Michaela Kaune und dem Bariton Robert Koller angeführt wird, die Singakademie Frankfurt an der Oder sowie das Brandenburgische Staatsorchester. Am Dirigentenpult stand der US-Amerikaner Kevin McCutcheon.

In seinem Oratorium wollte Siegfried Matthus „die Szenen als Träume Luthers gestalten“, wie er selbst sagt. „Ich wollte mich nicht in den Zwang begeben, den realen Zeitverläufen und den Disput mit seinen Partnern und Widersachern getreulich zu befolgen.“ Vom Verhör Luthers in Worms, der Bibelübersetzung, der Auseinandersetzung mit dem Ablassprediger Tetzel, der Sehnsucht nach Brüsten und der ehelichen Beziehung zur ehemaligen Nonne Katharina von Bora, der Auseinandersetzung mit dem Revolutionär Thomas Müntzer bis zu alltäglichen Dingen wie Essen und Trinken wird in rund 90 Minuten Biografisches abgehandelt. Nicht chronologisch, sondern anhand von Träumen Luthers, die auch seine inneren Kämpfe offenbaren sollen.

In diesen Träumen mischen sich Teufelinnen und Teufel ein, die den „glaubensstarken“ ehemaligen Mönch und Gelehrten vom rechten Weg des Glaubens abbringen möchten. Theologisches bleibt dabei leider auf der Strecke. Matthus thematisiert jedoch auch Luthers Judenhass, wenn auch vielleicht etwas verkürzt. Die maßlosen Angriffe gegen die religiös Fremden und „Leugner der evangelischen Wahrheit“ werden von den Sängerinnen und Sängern abrupt mit „Halte ein“ beendet. Es folgt rasch, mit viel Pathos verbunden, ein aufklärerisches Umdenken bei Luther: „Juden, Christen und Muslime haben einen Gott“ – sofort gefolgt von dem siegesbewussten Choral „Ein feste Burg“.

Siegfried Matthus versteht, bildhaft, effektvoll und mit emotionaler Tiefe zu komponieren, auch in diesem Werk. Dramatische und groteske Zugespitztheit verweben sich mit lyrischen und subtilen Feinheiten. Es hat durchaus den Charakter des Musiktheatralischen. Das Sängerensemble sowie das Orchester nahmen sich unter der Leitung von Kevin McCutcheon des Oratoriums mit großem Engagement an. Mit großer Spannkraft und stimmlicher Kultur wurde gesungen, doch leider blieb die Textverständlichkeit mit Ausnahme von Michaela Kaune allzu oft auf der Strecke. Die überschaubare Zuhörerschar dankte mit langem und herzlichem Applaus für eine insgesamt farbkräftige Aufführung. Klaus Büstrin

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