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Wann begreift er endlich, was sie will. Die Tänzerin Laura Heinecke und der Musiker Arne Assmann in „Calling“.

©  Bernd Gurlt

Kultur: Der Kerl beißt einfach nicht an

Laura Heineckes und Arne Assmanns federleichtes und wunderschönes Liebessuchspiel „Calling“

Zuerst sieht man nur Füße, zwei schreitende Füße. Dann heben die dazugehörigen Arme ein rundes Gefäß über die schwarze Abdeckung hinten empor, ein Goldfisch darinnen. Wie dieses Tierchen lebt und seine Kreise zieht, so tut’s die Liebe auch. Unter dem Titel „Calling“ haben die Tänzerin Laura Heinecke und der Musiker Arne Assmann ein ganz reizendes Stück erdacht, federleicht und wunderschön, natürlich geht es dabei um Amore. Am Donnerstag hatte es Premiere im Studentischen Kulturzentrum „Kuze“.

Schreiten also müssen die Füße, bevor sie die Off-Bühne erreichen, wo der Musiker Glasharfe spielt. Beide sehen sich, es zündet, allerdings mehr bei ihr als bei ihm. Sie umgarnt und umtanzt ihn, er schlägt einen Rhythmus: Hände-Po-Herz, den sie sogleich nachahmt. Von den Haubentauchern und anderem Wasservolk kennt man das ja, Männlein und Weiblein erproben sich durch synchrone Gesten, klappt es, dann sind sie ein Paar. In diesem Fall klappt das nicht zwischen ihm und ihr, deshalb nimmt die knapp einstündige Szenenfolge aus Tanz und Musik ja auch ihren Lauf. Viel ist dazu allerdings nicht nötig, ein Kasten als Versatzstück, später eine Stehleiter. Das Mädchen hat viele Arten, ihre Wünsche auszudrücken: Sie steigt ihm aufs Dach, setzt sich, während er musiziert, auf die Schulter, wälzt sich im Begehren vor seinen Füßen, doch der Kerl beißt einfach nicht an.

So präzise das von Laura Heinecke dargestellt ist, so überzeugend und schön wirkt es auch. Eine raumfüllende Tanzfigur, gleich darauf die ganz kleine Geste, zum Beispiel glucksendes Lachen, ein Augenaufschlag. Der heimliche Wunsch, mit Händen ein gemeinsames Haus abzumessen. Und dann diese geniale Idee: Mit einem zweiten Rundgefäß aus Glas auf dem Kopf deutet sie an, was gleich danach als gewölbter Bauch erscheint - einen Kinderwunsch! Aber so erfüllt sich das nicht, der gerufene Bursche träumt eher von der Liebe, als von der Liebsten, er singt ihr lieber ein Lied. Arne Assmann hat viele Talente. Er singt zu Akkordeon, Saxophon, Gitarre, stellt zudem mit den geringsten Mitteln die Rolle des Gerufenen dar. Rein spieltechnisch ist das genau so ausbaufähig wie der Part vom Goldfisch, dem sich die Tänzerin gleichsam Aug in Auge nähert, indem sie ganz wörtlich allzu tief ins Glas schaut. Er ist eben ihr Gold-Fisch, also der Sänger von gegenüber! Unter der Leiter schmollt sie, zeigt sich ihm in einer sehr berührenden Szene sogar oben ohne. Und er? Trägt ihr das Kleid nach, bedeckt sie. Zuletzt klappt es dann mit dem Augenkontakt. Er lehnt an der Leiter und spielt ihr ein Lied, sie vis-a-vis auf dem Kasten. Nun schwimmt sie ihm mit lächelnden Augen und klaren Gesten entgegen. Ein berührender, zarter, ein wundervoller Schluss!

Die Schönheit und Überzeugungskraft dieser Inszenierung lebt neben ihrer genialen Ökonomie ganz von der Umkehr des Yin-Yang-Verhältnisses. Sie ist stets aktiv und einfallsreich, er das singende, klingende Passivum, welches auch oder trotzdem zu einem Ziel findet. Zu ihrem! Szene steht neben Szene, Gefühl neben Gefühl, man hat den Eindruck, als ob da noch manche Erweiterung möglich wäre. Das soll in den weiteren Aufführungen geschehen. Hoffentlich bleiben dabei die Leerstellen dieser bezaubernden Liebesgeschichte erhalten, denn wie heißt es im abgedruckten Gedicht weiter: „Wie viele Lieder können wir davon singen?“ Dieses poetische „Calling“ ist also in mancher Beziehung ein Schmuckstück. Selten genug erlebt man, wie mit geringstem Aufwand so viel Gutes und Schönes entsteht, dass Ausdruckstanz tatsächlich getanzter Ausdruck ist, wie Lieder auf der Bühne zu leben beginnen. Ist es letztlich nicht gar ein Herzenstrost, angesichts der gegenwärtigen Verirrungen und kommender Wirren diese Botschaft zu empfangen: Ja, es gibt eine Konstante im Leben. Sie ist nicht im Wechsel der Ereignisse und Geschicke zu finden, sondern tief drinnen. Die Liebe, die stärkste Kraft beim Menschensein! Und „Calling“ ist ihr Kind. Sogar der Goldfisch mit dem edlen Namen „Monsieur Le Poisson“ bekommt davon etwas ab. Sollte jemandem das Lieben trotz rufenden Herzens und brennenden Körpers partout nicht gelingen, so bleiben ihm immer noch die letzten Zeilen des Liedes als Trost: „Wenn ich dich / nicht lieben kann, dann schreibe ich / ein Lied für dich.“

Wieder am heutigen Samstag und am 23. und 24. Oktober, jeweils 20.30 Uhr im „Kuze“, Hermann Elflein Straße 10

Gerold Paul

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