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Ausfallschritt. Dass auf Dieter Weidenbachs Gemälde „Unterwegs“ (1977) nicht nur ein Maler auf Wanderschaft geht, sondern ein Künstler zumindest mental den Schritt aus dem eigenen Land wagt, erkannte auch die Stasi. 1985 verließ Weidenbach die DDR.

© Manfred Thomas

Kultur: Der Aussteiger

Neun Themen, neun Bilder: Die PNN begleiten die Ausstellung „Hinter der Maske. Kunst in der DDR“ im Museum Barberini mit einem Rundgang durch die Themenkreise der Schau. Teil 7: Dieter Weidenbach und „Erbansprüche. Vorbild und Verweis“

Sie hängen sich schräg gegenüber: der Meister und sein Schüler. Von beiden sind es Frühwerke, die an der lila gefassten Wand in einen leisen Dialog treten. Melancholisch versunken und anmutig zeigt sich Willi Sittes „Sich Stützende“ – weit ausschreitend und tatendurstig Dieter Weidenbachs junger Mann „Unterwegs“.

Weidenbach war 31 Jahre alt, als er seinen Wanderer aufbrechen ließ. Sitte 36, als er 1957 im kubistischen Fahrwasser Picassos seine „Sich Stützende“ malte. Picasso und Max Beckmann galten als die am stärksten auf Künstler aus der DDR wirkenden Maler des 20. Jahrhunderts. Beiden fehlte jedoch der im Sozialismus geforderte Realismus. Und so polemisierten Dogmatiker der DDR-Kulturpolitik auch gegen Picassos Art der Menschendarstellung. Bei Sitte mit Erfolg. Nach heftigen Auseinandersetzungen mit Funktionären und einer geforderten Selbstkritik verzichtete Willi Sitte ab 1963 auf Anleihen bei der klassischen Moderne. Seine Bilder wurden realistischer, klassenverbundener, und sie provozierten in ihrer nackten Fülle. Im Volksmund kursierte angesichts der expressiven Körperdarstellung der Spruch: Lieber vom Leben gezeichnet, als von Sitte gemalt.

Weidenbach schwamm gegen das Fahrwasser der Obrigkeit. 1977 kam er als Meisterschüler Sittes an die Burg Giebichenstein nach Halle: sechs Jahre nachdem er sein Studium in Leipzig als Diplom-Maler absolviert und in Weißenfels freischaffend gearbeitet hatte. Sein Bild „Unterwegs“ war gerade vollendet und galt 1977/78 auf der X. Dresdner Kunstaustellung als Publikumsmagnet. Selbstbewusst steht da über all den Tälern und engen Dörfern ein Mann in „Jesuslatschen“ und mit aufgeschnürter Staffelei. Auf seiner grauen Umhängetasche ist ein kleiner Harlekin aufgenäht. Ein Maler frohgemut im Aufbruch.

„Weidenbach übernahm in seinem Bildnis die feingliedrige Malweise, zeichnerische Detailliertheit und Komposition von Hieronymus Boschs ,Der Landstreicher‘, verlagerte die Szene jedoch in seine Heimatstadt Weißenfels. Der Rückgriff auf Bosch als Künstler der frühen Neuzeit ermöglichte es Weidenbach, sich an Maßstäben außerhalb der staatlichen Vorgaben zu orientieren“, sagt Michael Philipp, der neben Valerie Hortolani die Ausstellung „Hinter der Maske“ kuratiert hat. In Weidenbachs Selbstporträt stecke die Suche nach künstlerischer, aber auch nach persönlicher Orientierung, die seine Gegenwart offensichtlich nicht geboten habe.

Weidenbach selbst äußerte sich ebenfalls zu seinem Werk. Er sei von Boschs Bilde des verlorenen Sohnes ausgegangen, der die Enge des elterlichen Hauses sprengt, in die Welt zieht. „Ich malte mich selbst als diesen Aussteiger.“

In der Dresdner Kunstausstellung standen oft Menschentrauben vor dem „Landstreicher“, der den Blick zurückwirft auf den grellbunten Jahrmarkt, das skurrile Hochzeitsfest, die Neubauten, die das Alte in die Enge treiben. Auch in zahlreichen Zeitungsartikeln wurde Weidenbachs Bild besprochen. Die Kritiker gingen vor allem auf die Umweltzerstörung und die tote Krähe ein, die Weidenbach im linken Vordergrund blutig platzierte. Dass da ein Mensch auf dem Weg ist, Dorf und Land zu verlassen, wurde nicht thematisiert. Der Stasi entging die mögliche Bilddeutung jedoch nicht.

Der parteilose Weidenbach, auf den bereits seit 1975 Informelle Mitarbeiter der Staatssicherheit angesetzt worden waren, wurde 1977 von der Kreisleitung der SED in Weißenfels vorgeladen und von drei Herren intensiv befragt. „Wo will denn der Maler hin? Doch wohl nicht in den Westen?“ Da half keine Verneinung, kein Herumdrucksen. Als „Buße“ und „Läuterung“ für seine malerische Aufmüpfigkeit musste Weidenbach zum Arbeitseinsatz ins Kupferbergwerk ins Mansfelder Land. „Weidenbach sah sich immer als einen individuellen Menschen und betonte stets, dass er nicht für den Sozialismus und das Kollektiv geeignet sei“, so Philipp.

1985 verließ der Maler die DDR. Weidenbach hatte zuvor seinen ehemaligen Meister und Professor, Willi Sitte, um Hilfe gebeten, ihn bei seiner Ausreise zu unterstützen. Sitte befürwortete es tatsächlich, wovon veröffentlichte Briefe Auskunft geben. Weidenbach zog mit seiner Tochter Claudia nach West-Berlin.

„Ich weiß nicht, wie sich Willi Sitte im privaten Umgang verhielt, vielleicht war er da gar nicht so verbohrt. Sicher war er aber sehr enttäuscht, dass sein Schüler sich von dem Staat verabschiedete, der sein großes Projekt war“, meint der aus Hamburg stammende Kunstwissenschaftler Michael Philipp. Kurz vor dem Tod Willi Sittes sei es nochmal zu einer Begegnung und Versöhnung dieser beiden polarisierenden widerstreitenden Künstler gekommen. „Aber in der Ausstellung geht es nicht darum, ob jemand Dogmatiker oder in der Opposition gewesen ist. Wir sehen also nicht auf Sitte primär als Präsidenten des Verbandes Bildender Künstler und Mitglied des Zentralkomitees der SED. Wir zeigen ein Frauenporträt, eine Picasso-Adaption.“ Wie der Kurator aber auch jetzt an der Reaktion der Besucher spüre, habe es den Anschein, als wirke die Umklammerung der Künstler durch sozialistische Institutionen auch Jahrzehnte nach dem Ende der DDR fort.

Weidenbachs „Unterwegs“ zeigt abseits der politischen Deutungsmöglichkeit die Lebensreise eines Menschen und postuliert: Jeder kann aufbrechen. Das macht die Wirkung aus. Und ist ein Beispiel dafür, dass das Bild unabhängig vom gesellschaftlichen System, in dem es entstanden ist, funktioniert. Weidenbach, der 1993 nach Thüringen zurückkehrte, suchte immer nach einem eigenen Weg. Und er löste sich auch von seinen Vorbildern. Der Malstock, den er im Bild „Unterwegs“ in der rechten Hand vor sich herschwingt, war sein Lebenskompass.

In seinem Werk verarbeitete Weidenbach vor allem seinen ihm gegebenen Lebensweg. 1945 hineingeboren in ein zerbombtes Land thematisiert er Kriege, den Mauerfall, Terroranschläge. Er zeigt drastisch und unverblümt, was ihn umtreibt: das plötzliche Zerbrechen, das Auseinanderfallen einer scheinbar festgefügten Ordnung und Sicherheit. „Es gibt nicht einen Drachen, die Welt ist voll von Drachen“, sagte Weidenbach vor kurzem in einem Interview. Er könne kein optimistisches Bild der Welt geben. Der dynamische Aufbruch seiner Lebensreise führte ihn wieder hinab in die Täler. Und er malt weiter unverdrossen dagegen an.

„Hinter der Maske“, zu sehen bis zum 4. Februar im Museum Barberini

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