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Kultur: Denk’ an Franzl!

Marius Meller über Vladimir Nabokovs letzten Willen

Waschechte Nabokovianer müssen jetzt das kalte Grausen bekommen. Der 71-jährige Sohn des großen Schriftstellers hat in einer E-Mail an die Zeitschrift „The New York Observer“ die Verbrennung des unveröffentlichten Nabokov-Spätwerks „The Original of Laura“ angekündigt. Der verdienstvolle Übersetzer und Nachlassverwalter seines Vaters schrieb: „Ich habe noch keine endgültige Entscheidung getroffen und weiß nicht, ob die Sohnestreue siegen wird oder ob dieses originelle und wunderbare, wenn auch unvollendete Kunstwerk leben wird.“ Der Literaturredakteur des „New York Observer“ appellierte in einem öffentlichen Brandbrief an den Sohn, das Manuskript zu erhalten. Erfolgsautor Andrej Bitow („Puschkinhaus“) hingegen seufzte aus der Tiefe seiner russischen Seele: „Der Wille des Autors ist heilig, und an den Rechten des Erben ist nichts zu deuteln.“

Fragen über Fragen. Warum hat Nabokovs Witwe nach seinem Tod 1977 das Testament nicht sofort erfüllt? Und warum wartet nach ihrem Tod 1991 Sohn Dimitri 14 Jahre mit der Verwirklichung des letzten Willens seines Vaters? Und warum hat Nabokov sein Manuskript nicht gleich selbst verbrannt? Rang Dimitri 14 Jahre mit dem Geist seines Vaters und ruft jetzt die literarische Weltöffentlichkeit um Rat und Hilfe?

Vielleicht hilft ihm diese abgründige Anekdote, die der berühmte pragerdeutsche Germanist Erich Heller überlieferte: Der Schriftsteller Anton Kuh traf in Prags Gassen 1924 auf den weinenden Schriftstellerkollegen und besten Kafka-Freund Max Brod. „Ach Gott, Maxl, was ist denn passiert?“ – „Weißt’ net, der Franzl Kafka ist g’storben. Und er hat verfügt, ich soll seine Schriften verbrennen.“ – „Nu ja, den letzten Willen – den musst’ respektieren.“ – „Aber hör’, das gehört zum Besten, was in der deutschen Literatur geschrieben worden ist!“ Kuh: „Freilich, dann musst’s veröffentlichen.“ Brod: „Aber ist der letzte Wille nicht heilig?“ Kuh denkt nach. „Weißt was: Verbrennst’ halt deine eigenen Sachen.“

Was für beste Freunde gilt, gilt umso mehr für Söhne: Diese sollten väterliche Testamente nicht allzu wörtlich nehmen.

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