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Kultur: Das Lied der Nacht

Michael Hanekes neuer Film „Wolfzeit“ ist die Endzeitvision einer zerstörten Welt

Schon wer den Vorspann sieht, weiß auf die ersten Blicke: Dieser Film ist eine Übung in Askese. In weißer Schrift auf schwarzem Grund ziehen die Namen der Beteiligten vorbei. Keine Musik. Keine Geräusche. Minutenlange Stille. Was dann folgt, ist eine anthropologische Versuchsanordnung von seltener Rigorosität und Düsternis. Man könnte auch sagen: ein Michael-Haneke-Film.

Die Endzeit ist hereingebrochen. Irgendwo muss ein apokalyptisches Unglück stattgefunden haben. Aus welchem Grund, bleibt ungewiss, jedenfalls zählt die Zeit nicht mehr. Das Wasser ist knapp. Und in den Dörfern brennen Tierkadaver. Eine Mutter (Isabelle Huppert) vagabundiert mit ihren beiden Kindern übers kalte Land. Den Vater haben sie verscharrt: kaltblütig erschossen, von einem Unbekannten, gleich am Anfang des Films. Irgendwann gelangen die drei an einen Bahnhof, wo sich eine Gruppe von Menschen zusammengerottet hat. Hier spätestens fragt der Film: Was macht der Mensch, wenn er zurückgeworfen wird in einen archaischen Gesellschaftszustand?

Die Antworten, die Michael Haneke darauf gibt, wirken wie en passant erzählt, weil er den Figuren keine simplen Erklärungen in den Mund legt. Der Zuschauer muss deshalb immer auf der Hut sein und genau hinsehen – sonst entgeht ihm der Kern des Films. Die Gruppe im Bahnhof, zu der auch Patrice Chéreau und Béatrice Dalle gehören, hat sich in ein Patriarchat gefügt, angeführt von einem Mann mit Waffe. Tauschhandel entsteht. Frauen, die nichts anzubieten haben, zahlen mit ihrem Körper. Ein Pole, des Diebstahls verdächtigt, wird um ein Haar ermordet: Das Fremde wird aussortiert und zum Sündenbock verdammt. Legenden von Märtyrern und Erlöserfiguren, die sich opfern und im Feuer verbrennen, beginnen zu kursieren – religiöse Erzählungen als Keime der Hoffnung. Ganz leise regt sich auch die Sehnsucht nach Kunst, Musik, Unterhaltung.

Nachdem das Hollywood-Kino in den Neunzigerjahren die Welt ein paar Mal an den Rand des Abgrunds gebracht hat, probt nun der europäische Film die Apokalypse. Während in Danny Boyles „28 Days Later“ ein Virus die Menschheit dahinrafft, macht Haneke in dieser französischen Produktion nun die Wasserknappheit zum Ausgangspunkt. Wo Boyle auf Zombies und Popkultur zurückgreift, bedient sich Haneke bei der Bibel und anthropologischer Theorie. Gemein ist beiden die optische Faszination ihrer Endzeitszenarien: „28 Days Later“ beschwört die Vision einer entleerten Welt, „Wolfzeit“ schwelgt in Trübheit und Finsternis.

Man muss Hanekes Gedankenexperiment nicht mögen, aber seine düsteren Stimmungsbilder beeindrucken (Kamera: Jürgen Jürges). Einmal macht sich Isabelle Huppert auf in die Nacht, dabei ist auf der schwarzen Leinwand nur ein winziger Feuerpunkt in der Ferne auszumachen. Ein anderes Mal sieht man einen Heuschober in dunstigem Licht, den impressionistischen Heuhaufen-Studien von Claude Monet vergleichbar. Manchmal wird man an die Kerzenbilder von Georges de La Tours erinnert, manchmal an Whistlers „Nocturnes“. Das ist pure Kameramalerei der Nacht.

Die Schwierigkeiten des Zuschauers liegen bei den Emotionen, bei der Empathie. Der bald 62-jährige Deutsch-Österreicher Haneke versagt sich in seinen Filmen spätestens seit „Bennys Video“ (1992) aller leicht gängigen Mittel der Gefühlsstimulation. Filmmusik gibt es selten, schnelle Schnitte oder Kamerabewegungen nie. Seine Filme funktionieren auch über keine psychologische Erklärung der Figuren. Statt dessen wird der Zuschauer emotionalen Schocks ausgesetzt, die körperlichen Angriffen gleichen. Dazu gehören die Momente des Ekels in der „Klavierspielerin“ (mit der grandiosen Isabelle Huppert, nach dem Roman von Elfriede Jelinek) oder der Gewalthorror in „Bennys Video“ und „Funny Games“. In „Wolfzeit“ aber fehlen diese aufwühlenden Schocks, der Film hält einen ständig auf Abstand – eine Distanz, die leicht in Gleichgültigkeit umschlägt. „Wolfzeit“ ähnelt einem Experiment im Reagenzglas mit explosivem Gemisch, doch der Bunsenbrenner ist auf Sparflamme eingestellt. Deswegen wirkt „Wolfzeit“ trotz seiner formalen Stärken schwächer als das meiste, was wir von Michael Haneke kennen.

In Berlin in den Kinos Hackesche Höfe, Neue Kant Kinos, fsk (OmU)

Julian Hanich

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