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Experimentierfreudig. Andrea Sawatzki und Judith Engel (v. l.) improvisierten die Dialoge für Nicolas Wackerbarths „Casting“, in dem die Besetzung für ein Remake von Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ gesucht wird.

© Doris Spiekermann-Klaas

Berlinale: Treffen mit dem Team von "Casting": Das Leiden der Anspielwurst

Nicolas Wackerbarth erkundet mit „Casting“ die Beziehung von Regie und Akteuren. Der Film läuft auf der Berlinale in der Sektion Forum. Ein Treffen mit dem Team.

Über diesem gesamten Projekt liegt ein Schleier von Vergeblichkeit. Ein Fernseh-Remake von Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“? Scheint ungefähr so dringlich wie eine Neuverfilmung von „Die Brücke“ mit Elyas M’Barek. Apropos. Die Petra-Darstellerin, die tragende Rolle, ist wenige Tage vor Drehbeginn noch nicht mal besetzt. Die Suche zieht sich in nervös geladener Atmosphäre dahin.

Schauspielerin Almut zum Beispiel muss bereits zum vierten Mal zum Vorspielen antanzen und reagiert schon mittelschwer irritiert, als sie von der Casterin nur in die Maske geschickt wird („Wieso Maske? Du hast doch gesagt, ich seh gut aus?“). Dass ihr mit dem Aushilfsschauspieler Gerwin unangekündigt ein neuer Anspielpartner vorgesetzt wird, gibt ihr den Rest. Die „wildfremde Anspielwurst“ empfindet sie als Zumutung. Aber das Sagen hat natürlich Regisseurin Vera.

Balance zwischen Realitätsschärfe und Fiktion

„Casting“ von Nicolas Wackerbarth ist ein Film über das Filmemachen. Genauer: über die Vorbereitung darauf, diesen von Eitelkeiten, Erwartungsdruck und Machtspielen durchsetzten Prozess, der tausend Entscheidungen verlangt, die alle in die Irre führen können. „Casting“ ist fürs Fernsehen entstanden, für den SWR, hat aber glücklicherweise seinen Weg ins Forum der Berlinale gefunden. Es gab schon lange keinen deutschen Film mehr, der einen so ungekünstelten Ton trifft und so präzise die Balance hält zwischen Realitätsschärfe und Fiktion. Was zu großen Teilen daran liegt, dass Wackerbarth ohne ausgefeiltes Drehbuch gearbeitet hat und die Szenen improvisieren ließ. Das scheint, siehe Andreas Dresens „Halbe Treppe“, ein erfolgversprechender Weg zu sein. Vorausgesetzt, alle Beteiligten beherrschen ihr Handwerk.

„Gerade wenn Schauspieler über etwas improvisieren, von dem sie sehr viel wissen, entstehen Dialoge, die ich so nie schreiben könnte“, sagt Regisseur Nicolas Wackerbarth beim Gespräch im Schwarzen Café in Charlottenburg. Und, ein wichtiger Punkt: „Man sieht in ihren Augen eigentlich immer, dass sie bereits wissen, was als nächstes passiert. Und dieser Blick verrät den Moment. Mit einem gelernten Text dieses Manko zu überspielen, ist fast unmöglich.“ Ihn hat aber auch diese künstlerische Dopplung gereizt: Schauspieler verkörpern Schauspieler, beziehungsweise Regisseure oder Produzenten. Woraus sich ein Wechselspiel aus Dokumentation und Inszenierung ergibt, das aber nie ins Privatistische kippt.

Zwischen Eitelkeiten und Erwartungsdruck. Ein Szenenbild aus "Casting".

© Berlinale

Neben Wackerbarth sitzen Judith Engel und Andrea Sawatzki, zwei der Darstellerinnen aus dem „Casting“-Ensemble, das mit Ursina Lardi, Corinna Kirchhoff, Marie-Lou Sellem, Milena Dreissig oder Nicole Marischka noch weitere hochkarätige Schauspielerinnen versammelt und mit Andreas Lust in der Rolle des Anspiel-Gerwin auch einen tollen Hauptdarsteller hat.

Judith Engel, die umwerfend die ewig unentschlossene Regisseurin Vera gibt, bekennt, dass sie im Vorfeld durchaus Bedenken hatte, sich auf das Projekt einzulassen: „Weil Improvisieren für manche Regisseure bedeutet: Mach mal irgendwie irgendwas. Und das finde ich furchtbar.“ Wackerbarth aber habe die Situationen und damit den Rahmen sehr klar vorgegeben. Und damit tatsächlich Freiheit im Spiel ermöglicht.

Insgesamt 80 Stunden Material sind entstanden, die Nicolas Wackerbarth auf 90 Minuten verdichtet hat. Meist ließ er die Szenen eine halbe Stunde durchlaufen, ohne einzugreifen. „Beim Improvisieren darf man nicht bewerten“, betont der Regisseur. „Man muss die Peinlichkeiten und die Fehltritte genauso zulassen wie die schönen Momente und die intelligenten Ideen. Sonst entsteht falscher Ehrgeiz und die Schauspieler beginnen sich selbst zu beobachten, sich zu kontrollieren.“

Der dritte Langspielfilm von Nicolas Wackerbarth

„Natürlich erkennt man sich in den Szenen wieder“, beschreibt Andrea Sawatzki die Arbeit, „weil man ja auch schon einige Castings hinter sich hat. Trotzdem waren wir durch die Rolleneingrenzungen geschützt davor, uns selbst zu entblößen.“

Sawatzki spielt Annika Strassmann, eine Diva mit esoterischen Zügen, die der Sender als Star durchdrücken will – was in einem furiosen, klirrend kühlen Machtkampf zwischen ihr und Vera mündet, der über Nadelstiche der subtilen Sorte geführt wird. („Wär das okay, wenn die Hannah Ihnen ein bisschen Make-up runternimmt?“) Strassmann revanchiert sich, indem sie Vera eine Passage der Petra von Kant in aller schillernden Mehrdeutigkeit ins Gesicht schmiert: „Ich hasse dich. Wenn ich nur sterben könnte, einfach weg sein … Ich werd’s dir zeigen, eines Tages.“

Was Rainer Werner Fassbinder ausgemacht hat, diese melodramatisch verwischte Trennschärfe zwischen Kunst und Leben, spiegelt „Casting“ ironisch gebrochen wider.

Es ist erst der dritte Langspielfilm des 1973 geborenen Nicolas Wackerbarth, der mit seinem Debüt „Halbschatten“ ebenfalls im Forum der Berlinale vertreten war. Darin beschrieb er mit ausgeprägtem Gespür für die Leerstellen einer Erzählung die Reise einer Möchtegern- Schriftstellerin (Anne Ratte-Polle) Ende 30 zu ihrem Geliebten nach Südfrankreich. „Casting“ rückt nun einen Schauspieler aus der dritten Reihe ins Licht, „der nach Hause geht, wenn für die anderen die Arbeit erst richtig beginnt“, so Wackerbarth, der selbst Erfahrung als Anspielpartner hat. Gerwin aber fühlt sich als Teil des Teams und darf sich Hoffnung auf mehr machen. Was daraus erwächst, ist eine sehr universelle Erzählung über die Sehnsucht, gesehen zu werden. Und eine sehr konkrete über die unvermeidliche Absurdität der Casting-Situation.

Das nächste Casting kommt bestimmt

„Man versucht ja, eine gewisse Stärke und Souveränität an den Tag zu legen“, so Andrea Sawatzki. „Bloß zerbricht die meistens im Laufe des Castings und man wird bloßgestellt“. „Wenn ich zu einem Casting gehe und die Rolle unbedingt will, kann es sein, dass ich mich verkrampfe und nicht ganz bei mir bin“, beschreibt Judith Engel die Tücken der professionellen Präsentation. Sie habe allerdings während des Drehs eine wertvolle Nebenbei-Erkenntnis gewonnen, nämlich „dass auch Regisseure Probleme haben und manchmal total mit sich beschäftigt sind“.

Fest steht bei all dem: Das nächste Casting kommt bestimmt. Denn, so Wackerbarths Fazit: „Diese Bewerbungsschleife hört eigentlich nie auf.“ Für niemanden. Nicht für Stars und nicht für Anspielwürste.

11.2., 19 Uhr (Delphi), 13.2., 11 Uhr (Cinestar 8), 16.2., 20 Uhr (Colosseum 1), 19.2., 20 Uhr (Cubix 9)

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