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Ich und die anderen. Hunderte und Aberhunderte winziger kleiner Namen – mal blau, mal gelb, mal grün und mal pink markiert – bilden die Arbeit „Selbstporträt“ der Fluxus-Künstlerin. Die 1944 in England geborene Ann Noël lebt heute in Berlin.

© Julius Frick

Kultur: Das Leben als Musik begreifen

Das Museum Fluxus zeigt Arbeiten aus der Sammlung von Michael Wewerka – manche von ihnen sind zu leicht zu durchschauen

Es ist eine unspektakuläre Himmelfahrt, die Wolf Vostell hier in vier Bildern erzählt: Vom Asphalt einer achtspurigen Straße hebt sich der kleine, gläserne Sarg, den Vostell mit Buntstift auf seine Fotos malt, von Bild zu Bild bis in die Wolken über der Stadt. In den Sarg hat Vostell ein Auto gebettet. Das klingt absurd? Nun ja, Vostell ist ein Vertreter des Fluxus, jener Kunstströmung, die unter dem Einfluss des Kalten Krieges und dem Aufkommen der Massenmedien Anfang der 1960er-Jahre entstand.

Die Ausstellung „Kostbarkeiten aus der Sammlung M. J. Wewerka “ im Museum Fluxus zeigt jetzt eine Mini-Rundschau von Arbeiten aus der Berliner Galerie von Michael Wewerka. Der zeigt seit 1973 Fluxus-Künstler.

Als Wolf Vostell, Milan Knizak, Emmett Williams und andere vor etwa 50 Jahren loslegten, griffen sie die Idee des Dada wieder auf, stellten ihre Spezialbegabung, ihr Künstler-Sein infrage und suchten lieber nach dem Zufälligen, Wiedersprüchlichen anstatt nach Antworten. „Der Betrachter vervollständigt das Kunstwerk“, sagte etwa der französische Künstler Marcel Duchamp, der eine Art Bindeglied ist zwischen beiden Strömungen.

Vervollständigen kann der Betrachter natürlich nur im Kopf, aber auch Wolf Vostell führt in seinen Arbeiten schon Bestehendes weiter. Ausgangspunkt sind bei ihm Schwarz-Weiß-Fotos aus Buenos Aires, das erste wirft den Betrachter in die Mitte einer achtspurigen Straße, weiter hinten wacht der weiße Obelisk der Plaza de la República. Den kleinen Autosarg hat er selbst dazugezeichnet, genauso wie die weiße Wolke im schwarzen, oberen Teil des Bildes. Die klare Trennlinie zwischen den hellen Stadtfotos und den schwarzen, wolkenverhangenen Flächen löst Vostell erst in der letzten der vier Arbeiten auf: Buenos Aires ist hier aus der Luft fotografiert, ein von Vostell eingezeichneter Lichtkegel hebt den Autosarg in die obere Bildhälfte, wo ihn die mit dünner Farbe gepinselte Wolke schon umfängt.

Bei Raffael Rheinsberg gibt es hingegen wenig zu vervollständigen. In seiner Arbeit „Istanbul-Berlin“ aus dem Jahr 1984 hat er einen blauen Spatenkopf und eine Sichel auf die Leinwand montiert. Hammer und Sichel, Stern und Halbmond der türkischen Flagge so zu verbinden ist zwar witzig, aber auch schnell durchschaut. Das Ganze lässt wenig Spielraum in der Interpretation, wenig Chancen, das hier falsch zu deuten.

Aber manches muss eben raus aus dem Kopf, gerade im Fluxus. Der Kern der Strömung war die Gruppe Fluxus, die 1962 von dem litauischen Künstler George Maciunas gegründet wurde. Der Begriff entstammt der Medizin und bezeichnet eine fließende Darmentleerung – und entspricht damit der Weltsicht des Dadaisten Hans Arp, der die dadaistische Kunst als Antikunst sah, die „unmittelbar den Gedärmen des Dichters entspringt“.

Auf den ersten Blick unscheinbar, aber deutlich vielschichtiger sind die vier kleinen Skizzen von Martin Kippenberger. Während auf dem einen ein grob hinskizziertes Paar zwischen zwei Autoreifen knutscht, auf dem zweiten der Kopf einer Frau wie die Rachegöttin eines Horror-Heimatfilms aus einer Alpenkette ragt, sind Nummer drei und vier schlichte Wohnskizzen. Solche, die jeder anfertigt, der umzieht und überlegt, wo denn nun am besten das Bett hinpasst. All das hat Kippenberger eingezeichnet, die triste Schrankwand, die Sofagarnitur. Und obwohl nichts Genialisches in seinen Strichen aufzublitzen scheint, er sich als Künstler völlig zurücknimmt, beklemmen diese Bilder – weil man ahnt, dass diese Zimmer in Wirklichkeit genauso trostlos wären.

Heiter geht es bei Ann Noël zu: Ihr Tryptichon „Self Portrait“ besteht aus je drei mal drei Blättern, jedes von ihnen ist, Zeile für Zeile, mit nichts als Namen beschrieben. Wert, Gewicht und Richtung bekommen die Namen, indem Ann Noël sie mit verschiedenfarbigen Filzstiften markiert hat. Worin sich die blau Unterlegten von den gelb Colorierten unterscheiden, bleibt offen, genau so wie Frage, wer sich wirklich hinter den Namen verbirgt.

Mit Buchstaben als gestalterisches Mittel arbeitet auch Emmett Williams im größten Bild der Ausstellung: „Alphabet“. Konzentrische Quadrate hat er aus der lateinischen Variante gezogen, am Äußeren markiert das A jede Ecke. Bei den zur Bildmitte hin immer kleiner werdenden Quadraten geht das natürlich nicht, rot und allein springt das A im Zentrum dann aber wieder ins Auge.

Einer verbalisierbaren Aussage verwehrt sich dieses Bild, Emmett Williams lässt sich leiten vom Rhythmus der Abfolge und dem der vier Farben Blau, Rot, Gelb und Grün, in denen er die Buchstabenquadrate abwechselnd gemalt hat. Er setzt also um, worum es ihm bei Fluxus ging: das gesamte Leben als ein Stück Musik zu begreifen.

Die Ausstellung „Kostbarkeiten aus der Sammlung M.J. Wewerka“ ist noch bis zum 31. August im Museum „fluxus“ an der Schiffbauergasse zu sehen. Geöffnet ist immer mittwochs bis sonntags von 13 bis 18 Uhr

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