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„Morgen lachen wir drüber!“ mit (v. l.) Nancy Spiller, Rüdiger Rudolph, Stefan Martin Müller, Timo Doleys, Frank Voigtmann und Caroline Lux.

© Chris Gonz

Das Kabarett-Theater Distel feiert 70 Jahre: Handwerker sind Halbgötter

Glaubt man der Distel-Jubiläumsshow „Morgen lachen wir drüber!“ ist diese Bühnenkunst wie Jesus. Tot, begraben und doch nach drei Tagen in aller Herrlichkeit wieder da.

Endlich wissen, was Linken-Politiker Dietmar Bartsch so Kulturelles an seinen freien Abenden macht. Das ist die erste Erkenntnis bei der Premiere des Jubiläumsprogramms „Morgen lachen wir drüber!“ des Kabarett-Theaters Distel. Da sitzt er nämlich im Publikum. Genau wie Ilja Richter und Dietrich Hollinderbäumer, bekannt als Ulrich von Heesen aus der „heute-Show“.

Erstaunt erfahren, dass Kabarett wie Jesus ist, das ist die Zweite. „Immer wenn es totgesagt wird, steht es drei Tage später in noch größerer Herrlichkeit wieder da“, behauptet die Distel. Das ist angesichts des mehrheitlich Ü50 anzusiedelnden Publikums, das sich zur Feier des 70. Bestehens des Traditionskabaretts Ost versammelt hat, nicht selbstverständlich.

Auch wenn dem politischen Kabarett, für das vor dem Siegeszug der Comedy in der Bundesrepublik niemand mehr stand als Dieter Hildebrandt, der Ruch des Muffigen anhängt – zu Unrecht, wie sich im September gerade beim Traditionskabarett West, Die Stachelschweine, anlässlich der Premiere von „Steglitz – wir haben ein Problem! Wie Berlin zum Mars flog“ feststellen ließ – es sind auch jüngere Menschen da, sogar ein Kind.

Die Distel ist heute ein Privattheater. Ursprünglich war sie eine Bühne von Amts wegen. Sie wurde auf Beschluss des Ost-Berliner Magistrats 1953 gegründet, um den Arbeitern- und Bauern eine eigene, zensurgeprüfte Humorproduktion zu bieten, gewissermaßen die Spiele zum Brot. Und sie im Nachkriegsberlin vom Lauschen der antikommunistischen Humorpropaganda der Insulaner-Kabarettisten des RIAS und den Satireprogrammen der seit 1949 existierenden „Stachelschweine“ abzuhalten, das jede Sektorengrenze locker überwand.

Dass die SED-Genossen am Anfang noch zu Selbstironie fähig waren, was sich ziemlich bald ändern sollte, und in der „Distel“ später zu jeder Menge Ärger mit Walter Ulbricht, Textstreichungen, Titeländerungen und der Absage ganzer Programme führte, lässt sich am Titel des ersten Programms ablesen, das am 2. Oktober 1953 Premiere feierte: „Hurra, Humor ist eingeplant“.

Aus dem Archiv der Distel: die erste Premiere, „Hurra, Humor ist eingeplant“, am 2.10.1953 

© Kabaretttheater Distel

Dass sich der Regisseur und Künstlerische Leiter des Hauses, Dominik Paetzholdt, zum Geburtstag nicht für eine Retroshow entschieden hat, ist schon mal ein Plus des gut zweistündigen Abends, der vor einem vielfarbig beleuchteten Glitzervorhang abrollt.

Die prägenden Gestalten der Hausgeschichte, wie der Name des Kabarettisten, Autors und Leiters Peter Ensikat, sind geschickt in die aktuellen Texte von Thomas Lienenlüke eingebunden. Und als Zugabe nach dem Premierenjubel erklingt dann noch das Auftrittslied des allerersten Programms.

Satire ist dagegen, nicht dafür

Anfangs diente die Satire der Distel dem Systemerhalt, der Frustabfuhr gebeutelter DDR-Bürger, die nach den nationalsozialistischen Jahren alles andere als scharf auf sozialistische Repressionen waren.

Ein eingebauter Webfehler, der prompt Spannungen erzeugte, denn Satire ist ihrem Wesen nach dagegen, nicht dafür. Ein Fakt, der im weichgespülten, affirmativen Gelächter der Comedy-Gemeinde seit Jahrzehnten unterzugehen droht.

Nonbinäre Enten tanzen Ballett

Und wie steht es damit in der längst in jeder Hinsicht erneuerten Distel des Jahres 2023? In der ersten Hälfte von „Morgen lachen wir drüber!“ ist das noch nicht ausgemacht. Die von schwungvollen Songs, Selbstreflexionen des eigenen Handwerks und als Reprise wieder aufgegriffenen Nummern gekonnt durchzogene Show beginnt mit Kalauern, die wenig zünden. Einem Ulk-„Schwanensee“, getanzt von „nonbinären Enten“, sprich drei Kabarettisten in Vogelkostümen. Die schrägen Vögel repräsentieren das Bemühen, die deutsche Gesellschaft authentisch widerzuspiegeln. „99 Prozent der Deutschen haben keine abgeschlossene Ballettausbildung.“

Mecker aus dem Publikum

Plötzlich meckern Eheleute, deren Mikrofonierung sie sofort als Eingeweihte enttarnt, über die mangelnde Qualität des Anfangs. Prompt werden sie eingeladen, mitzuwirken, und brillieren alsbald als Sahra Wagenknecht- und Robert Habeck-Parodisten.

Die Grundidee, sich die Leute, die die Rolle des Kabaretts infrage zu stellen, als Sparringspartner auf die Bühne zu holen, ermöglicht quasi ein ständiges Durchbrechen der vierten Wand. Das ist gut, macht aber noch keinen, hart systemkritischen Abend, der vom politischen Kabarett – quasi als Legitimerung einer verstaubten Darstellungsform – heute erwartet wird.

Nach der Pause kommt das bestens aufgelegte und auch gesanglich starke Ensemble mit Caroline Lux, Nancy Spiller, Stefan Martin Müller, Rüdiger Rudolph, Timo Doleys und Frank Voigtmann, dann dem eigenen Ideal viel näher. Da setzt es nach der sehr witzigen Nummer, in der ein Wärmepumpe-Installateur, der nebenbei als Internet-Hater aktiv ist, von Sahra Wagenknecht als eine Art proletarisches Insekt taxiert wird, weitere beißende Politiker-Parodien. Der fiese Ton der AfD-Leute hat dabei denselben Effekt, wie weiland der Sozialismus. Das Lachen bleibt einem im Halse stecken, weil solche absurden Slogans schon Realsatire sind. Nur eben eine gruselige. Da läuft sie trotz großartiger Darstellung dann leer, die Satire.

Ulkig, dass die Distel ein hoffnungsvolles, pädagogisch wertvolles Ende für „Morgen lachen wir drüber!“ gewählt hat. Das Kind im Sitz nebenan jubelt und freut sich, fast wie im Grips Theater.

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