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Kultur: „Das ist eine Art Kreuzzug“

Moshe Zimmermann, der heute in Potsdam „Das Amt“ vorstellt, über die Kritik an diesem Buch Aber für die große Mehrheit der Bevölkerung ist diese Diskussion nur langweilig.“

Herr Zimmermann, mit der Veröffentlichung eines wissenschaftlichen Buches ist fast immer auch eine kritische Auseinandersetzung verbunden. Doch die Debatte, die seit Erscheinen von „Das Amt“ geführt wird, ist doch sehr ungewöhnlich. Sind Sie von dieser zum Teil massiven Kritik überrascht?

Dass es Kritik geben wird, haben wir erwartet. Dass von bestimmten Stellen eine bestimmte Kritik kommen wird, das war auch zu erwarten. Auch dass sich bestimmte Personen aus irgendeinem Grund unwohl fühlen, war uns klar. Aber dass man das zu einer Kampagne verwandeln kann, dass man da so eine Art Kreuzzug führt, das ist schon erstaunlich.

Kampagne und Kreuzzug, das sind wirklich harte Worte.

Im Endeffekt ist das, was wir veröffentlicht haben, nicht so alarmierend, so überraschend und mit Sicherheit nicht wissenschaftlich unfundiert, dass man „Das Amt“ als die Angriffsfläche nutzen kann, wie es derzeit passiert.

Ihnen und den anderen Herausgebern werden von Kritikern wie Rainer Blasius, Hans Mommsen und Daniel Koerfer wissenschaftliche Fehler vorgeworfen. Doch wenn man diese Debatte genau beobachtet, kann man sich nur schwer des Eindrucks erwehren, dass es hier im Grunde um etwas ganz anderes geht.

Das ist wahr. Denn die angeblich gravierenden wissenschaftlichen Fehler sind nicht vorhanden. Wenn man ein wissenschaftliches Buch produziert, dafür die Recherchen betreibt, gibt es danach immer die Meinung, dass bestimmte Teile noch genauer hätten recherchiert werden können. Daraus macht man aber keinen grundsätzlichen Angriff auf ein solches Projekt. Wenn nun aber der Sohn von Ribbentrop die Frechheit besitzt, uns ein Schreiben zukommen zu lassen, in dem er uns auffordert, eine Textstelle in „Das Amt“ zu revidieren, aus der hervorgeht, dass sein Vater und Adolf Hitler persönlich für den Holocaust verantwortlich waren, dann sind wir längst an die Grenzen des Zumutbaren angekommen. Und das konnte nur passieren, weil die Tendenz der Kritik in genau diese Richtung ging.

Das heißt?

Es wurde versucht, uns als Wissenschaftler zu diskreditieren. Angeblich können wir kein Deutsch lesen. Aber letztendlich geht es darum, dass unsere Befunde unbegründete Vorwürfe gegen ein makelloses Auswärtiges Amt sein sollen.

Gegen Sie wurde sogar der Vorwurf erhoben, dass sie kein Holocaustforscher sind.

Ganz ehrlich, ich weiß nicht, wo man einen solchen Titel wie Holocaustforscher verliehen bekommt. Wenn ich ein Buch über die Juden im Zweiten Weltkrieg geschrieben habe, gehöre ich dann zu diesem illustren Kreis dazu? Oder etwa nur dann, wenn ich seit Jahren in Yad Vasehm arbeite und forsche, der Gedenkstätte in Jerusalem, die an die nationalsozialistische Judenvernichtung erinnert und sie wissenschaftlich dokumentiert? In diesem Zusammenhang muss ich aber immer wieder betonen: „Das Amt“ ist keine Arbeit über den Holocaust, sondern eine Arbeit über das Auswärtige Amt.

Wie haben Sie auf den Vorwurf des Berliner Historikers Sönke Neitzel reagiert, der Ihnen in Hinblick auf die Aussage, des Auswärtige Amt sei zwischen 1933 bis 1945 eine „verbrecherische Organisation“ gewesen, „Geschichtspornografie“ vorgeworfen hat?

Da stellt sich natürlich die Frage, ob unsere Kritiker immer satisfaktionsfähig sind. Man muss ja nicht mit jedem, der einen Vorwurf erhebt, ernsthaft diskutieren. Da degradiert man sich nur selbst. Wir erwarten, dass die Leute das Buch lesen, sich damit auseinandersetzen und so zu ihren eigenen Schlussfolgerungen kommen. Wir kennen solche Debatten auch von anderen Auseinandersetzungen unter Historikern. Aber am Ende zählt das, was geschrieben wurde. In unserem Fall ist es das Amt und seine Vergangenheit.

Wo wir gerade bei anderen Auseinandersetzungen unter Historikern sind. Vor 15 Jahren wurde die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944“ in Hamburg eröffnet, die mit dem Mythos von der sauberen Wehrmacht aufräumte. Wie bei „Das Amt“, mit dem Sie die Legende vom sauberen Auswärtigen Amt zwischen 1933 und 1945 widerlegen, war auch „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944“ von heftigen Diskussionen begleitet. Erkennen Sie da Parallelen?

Meines Erachtens ist da eine Ähnlichkeit in der Debatte gegeben. Da ist eine Institution Thema einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung, durch die sich viele betroffen fühlen. Und dadurch ist das mehr ein Thema für entsprechend heftige Diskussionen als beispielsweise die Rolle der Banken oder der Feuerwehr im Dritten Reich. Im Falle der Wehrmacht und des Auswärtigen Amtes geht es um Institutionen, die das Rückgrat der Gesellschaft bilden oder gebildet haben. Es wurde immer betont, dass die Wehrmacht nicht die SS sei, diese „bad guys“. Denn wie beim Auswärtigen Amt repräsentierten sie das Bürgertum, die anständigen Leute. Deswegen ist hier die Reizbarkeit deutlich größer.

Und auch der Hang zu unsachlichen und auch beleidigenden Diskussionen?

Ja, so wird versucht, die Wissenschaftlichkeit der Arbeit anzuzweifeln, um somit das Fundament zu ruinieren. Nur, im Fall der Wehrmachtsausstellung konnte man hier und dort Fehler finden. In unserem Fall gibt es keine vergleichbaren Fehler. Da gibt es kein Foto, das falsch datiert wurde.

Also ist diese Diskussion um „Das Amt“ vor allem eine Debatte nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf? Was sagt das über unsere Gesellschaft und die Historikerzunft in diesem Lande aus?

Die ersten Reaktionen auf „Das Amt“ waren ja ganz normal. Viele kannten die Fakten über das Auswärtige Amt zwischen 1933 und 1945 nicht und waren entsetzt, wie krumm die Beamten dort ihren Rücken machen konnten. Das ist eher symptomatisch für die deutsche Gesellschaft, wenn man hier überhaupt verallgemeinern darf. Die Kritiker dagegen gehören zu einer ganz bestimmten Gruppe und beeinflussen eine ganz bestimmte Gruppe. Aber für die große Mehrheit der Bevölkerung ist diese Diskussion nur langweilig, denn wer liest schon diese ellenlangen Artikel. Trotzdem aber ist es schlecht, wenn am Ende doch etwas hängen bleibt aus Schlagzeilen wie „wissenschaftlich nicht fundiert“ oder „die Kommission war nicht unabhängig“. So etwas bereitet den Weg für eine radikalere Diskreditierung der Ergebnisse unserer Arbeit. Und das ist wirklich gefährlich.

Bei all diesen negativen Schlagzeilen, wie sieht es eigentlich mit den positiven Reaktionen auf „Das Amt“ aus?

Allein schon, dass das Auswärtige Amt zusammen mit seinem Minister bereit war, mit uns zu kooperieren bei der Untersuchung der eigenen Vergangenheit, ist sehr positiv. Da haben wir sehr viel Unterstützung erfahren von den Leuten, die dafür zuständig waren. Bis auf manche im Archiv vielleicht. Wir wurden vom Auswärtigen Amt zwar beauftragt, in unserer Arbeit aber waren wir frei. Die Einzigen, die versucht haben, Einfluss zu nehmen, waren diejenigen, die versucht haben, uns bestimmte Materialien nicht zur Verfügung zu stellen. Da waren wir abhängig von bestimmten Leuten, die uns jetzt zum Teil auch kritisieren.

Ihnen wird von dieser Seite unter anderem vorgeworfen, dass Sie als Herausgeber zu wenig Zeit in diesem Archiv verbracht haben.

Ach, wissen Sie, das ist doch nicht weiter der Rede wert. Wichtig ist doch, dass eine Gesellschaft, die bereit ist, sich mit dieser Vergangenheit in dieser Form auseinanderzusetzen, eine starke Gesellschaft ist. Das meine ich als Kompliment. Und die Tatsache, dass in dieser Diskussion die seriösen Stimmen hinter uns stehen, ist auch ein Zeichen für die Stärke dieser Gesellschaft und für die Stärke der Historikerzunft. Denn wenn Ulrich Herbert und Jürgen Kocka, Saul Friedländer und Christoph Browning höchstpersönlich nicht in diese Kritik einstimmen, sondern im Gegenteil, dann wissen wir doch Bescheid, was Sache ist. Alles andere ist marginal.

Würden Sie nach all der heftigen Kritik, die in den vergangenen Wochen auf Sie und Ihre Kollegen niedergegangen ist, noch einmal bei einem solchen Projekt wie „Das Amt“ mitarbeiten?

Ich weiß nicht, ob ein ähnliches Projekt in dieser Form noch einmal stattfinden wird. Aber das ist schon etwas Besonderes, denn es gibt dem Historiker die Möglichkeit, ein Thema sehr gründlich zu diskutieren. Eine solche Zusammenarbeit mit vielen Wissenschaftlern ist eher die Seltenheit. Darum bin ich der Meinung, dass man dies auf jeden Fall tun sollte. Und wenn sich eine solche Gelegenheit noch einmal bietet und ich wieder eingeladen werde, bin ich selbstverständlich mit dabei.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Moshe Zimmermann spricht am heutigen Mittwoch, 18 Uhr, im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Am Neuen Markt 9, über „Das Amt“. Der Eintritt kostet 1,50 Euro

Moshe Zimmermann, geb. 1943, ist Professor für Neuere Geschichte an der Hebrew University in Jerusalem. Er forscht zur Geschichte der deutschen Juden und des Antisemitismus. kip

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