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Gerne Dandy oder Boxer. Der polnische Autor Szczepan Twardoch.

© Magda Kryjak

Kultur: „Das ist ein ganz neues Geschichtsbild“

Der Übersetzer Olaf Kühl über den polnischen Autor Szczepan Twardoch und die Arbeit an dem Roman „Drach“

Herr Kühl, im Nachbarland Polen ist Szczepan Twardoch ein Bestsellerautor. Wie erklären Sie sich das?

In Polen ist Szczepan Twardoch seit „Morphin“ wirklich ein Bestsellerautor und verkauft Hunderttausende Bücher. Das ist für Polen schon ein großer Erfolg. Ich habe mich auch immer gewundert, weil die Darstellung der polnischen Geschichte in „Morphin“ – es handelt ja von der Besetzung Warschaus durch die Deutschen – sehr kritisch gegenüber Polen ist, mit einer großen Sympathie für alles Deutsche und Preußische. Das ist ein ganz neues Geschichtsbild und trotzdem haben sich die polnischen Leser nicht daran gestört, sondern fanden das spannend. In den sozialen Netzwerken waren Zigtausende von Kommentaren, dass zum ersten Mal jemand in einer tollen neuen Sprache solche Themen beschreibt. In „Drach“ geht es um die schlesische Identität – im Vergleich mit der polnischen. Trotz des schwierigen Themas wird das doch goutiert und gerne gelesen.

Es scheint also ein Bedürfnis zu geben nach dieser Art, sich mit der eigenen Identität und Geschichte auseinanderzusetzen?

Die große politische Entwicklung in Polen geht ja in die Gegenrichtung – die alten Heldenmythen von Polen als Opfer, in denen man das alte Unrecht wieder hervorholt und sich damit eine Identität baut. Was Twardoch macht, ist alternative Geschichtsschreibung. Wie Tarantino in „Inglourious Basterds“. Er zieht die Punkte, die nicht gerade schmeichelhaft sind für die Polen, ans Tageslicht.

Wie reagiert die polnische Kulturpolitik darauf?

Inzwischen hat er ordentlich Ärger mit einigen Institutionen, die neu besetzt sind. Mit dem polnischen Filmboard zum Beispiel. Eine Verfilmung von „Morphin“ ist jetzt auf Eis gelegt, weil sie nicht mehr passt. Er gerät zunehmend ins Kontra mit der jetzigen Regierung. Er sagt immer, er ist Schlesier und kein Pole, und das ist ja auch ein rotes Tuch für die Regierung. Die behauptet ja oft, Schlesien ist die fünfte Kolonne der Deutschen, die wollen sich eigentlich nur abspalten und zu Deutschland überwechseln – das sind alles so heikle Themen. Aber er rührt sie mit einer Art Genuss an.

Twardoch als eine Art „Enfant terrible“?

Ja. Er stilisiert sich jetzt als Boxer. Sein dritter Roman handelt von einem berühmten jüdischen Boxer in den 30er-Jahren, der auch ein Mafiosi war. Jetzt spielt er den Hemingway und nimmt Boxunterricht. Das macht er schon gerne.

Sie haben zusammen mit Twardoch einen Preis für „Drach“ bekommen. Gelobt wurde Ihre Übersetzung des Schlesischen, das sogenannte Wasserpolnisch. Was ist das für eine Sprache?

Im Original ist es Oberschlesisch, das wird noch gesprochen und kultiviert. Aber das versteht im Deutschen niemand. Die polnische Ausgabe ist eigentlich noch schwieriger zu lesen als die deutsche. Denn dort gibt es deutsche Dialoge, oberschlesische und polnische Dialoge. Der polnische Leser kann meist nicht so viel Deutsch und es gibt keine Fußnoten, keine Erklärungen. Twardoch hat mir gesagt, er wollte dem Leser einfach klarmachen, was Fremdheit bedeutet. Dass diese Schlesier eben nicht nur ein Teil von Polen sind, den man so verschlucken kann, sondern er liegt im Rachen quer wie eine Gräte.

Wie haben Sie diesen polnischen Dialekt ins Deutsche übertragen?

Es gibt einen deutschen Dialekt, Niederschlesisch, der wurde so um Breslau, die Oder herunter, gesprochen. Gerhart Hauptmann hat seine ersten Theaterstücke in Niederschlesisch geschrieben. Ich habe gedacht, wenn ich aus dem Polnischen ins Deutsche übersetze, übersetze ich aus dem Oberschlesischen ins Niederschlesische. Das hat auch den Hauch von Fremdheit, ist aber irgendwie verständlich. Als wenn es Plattdeutsch wäre.

Das Buch ist in der Übersetzung also verständlicher als das Original?

Ja, das ist so. Daran habe ich sehr lange gearbeitet. Ich habe Hauptmann und andere Originale im Niederschlesischen gelesen, um in den Rhythmus der Sprache hineinzukommen. Es gibt keine lebendigen Vorbilder mehr, das war eine ziemliche Retortengeburt, alle Wörter sind genau recherchiert, aber ich konnte nie nachprüfen, ob das wirklich klingt. Das große Erfolgserlebnis war dann, als zu einer Lesung in Frankfurt der Enkel einer Dame kam, die genau dort gelebt hat, wo das Buch spielt. Und er sagte, der Dialekt ist genau getroffen. Glück gehabt.

Das Gespräch führte Grit Weirauch

Szczepan Twardoch liest am Mittwoch, 23. November, um 20 Uhr in der Villa Quandt aus seinem Roman „Drach“. Olaf Kühl übersetzt und moderiert

Olaf Kühl, Jahrgang 1955, ist Slawist und übersetzt aus dem Polnischen und dem Russischen. Seit 20 Jahren ist er Russlandreferent des Regierenden Bürgermeisters von Berlin.

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