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Am 6. Juni 1944 wird die Stadt Saint-Lô, ein Verkehrsknotenpunkt in der westlichen Normandie, von alliierten Bombern in Schutt und Asche gelegt.

©  Mémorial de Caen

D-Day am 6. Juni 1944: Das Inferno begann hinter den Dünen

Vor 75 Jahren startete die alliierte Invasion in der Normandie. Über 30 Museen erinnern hier heute an den Zweiten Weltkrieg.

Erwin Rommel, Generalfeldmarschall und verantwortlich für den „Atlantikwall“, soll Wochen vor der Landung der Alliierten in Nordfrankreich über den ersten Tag einer solchen Invasion gesagt haben – „für die Alliierten und für Deutschland wird es der längste Tag sein“. So entstand die Bezeichnung für den tatsächlichen „D-Day“, den 6. Juni 1944, nunmehr genannt „der längste Tag“. „Lang“ sollte der Tag tatsächlich sein, denn bereits für den Abend war die Einnahme von Caen, der Hauptstadt der Unteren Normandie, vorgesehen. Da hatten sich die akribischen Planer der Invasion allerdings verschätzt. Es dauerte bis Mitte Juli, um den Widerstand der Wehrmacht endgültig zu brechen.

Caen, wiederholt von britischen Fliegerverbänden heftigst bombardiert, war zu einer einzigen Trümmerwüste geworden. In der Bewertung des militärischen Nutzens taten sich unter den britischen und amerikanischen Verbündeten erhebliche Differenzen auf, die freilich durch den Verlauf des Krieges zur Fußnote schrumpften. Erst am 12. September war die Eroberung der Normandie mit der Einnahme der – gleichfalls völlig zerstörten – Hafenstadt Le Havre abgeschlossen, Wochen nach der Befreiung von Paris. Die Normandie, die innerhalb Frankreichs die größten Opfer auf dem Weg der Alliierten zur Niederschlagung des Nazi-Reiches hatte bringen müssen, geriet in der Erinnerung zur bloßen Etappe.

Die Normandie brachte innerhalb Frankreichs die größten Opfer

Über dem Befehlsbunker einer Infanteriedivision der Wehrmacht ist vor zwanzig Jahren das Mémorial de Caen eingeweiht worden. Es ist das größte der Museen und Gedenkstätten, die sich in der Normandie dem D-Day und den folgenden Kämpfen und Schlachten widmen. 75 Jahre liegt dieser Tag heute zurück, unübersehbar ist die Zahl der Feiern und Festveranstaltungen bis hinauf in die höchste Ebene. Staatspräsident Macron wird dabei sein, so wie sein Vorgänger François Mitterrand, der 1988 in Caen die Einweihung vornahm.

Um die Invasion ist im Laufe der Jahrzehnte eine veritable Tourismus-Branche entstanden. Sie konzentriert sich naturgemäß auf die Küstenabschnitte, an denen die alliierten Landungsschiffe im Morgengrauen des 6. Juni 1944 mit der Flut aufliefen und bis zum Sonnenuntergang 154.000 Soldaten und 20.000 Fahrzeuge an Land brachten. In den Wochen danach wurde vor Arromanches im britischen Sektor ein künstlicher Hafen angelegt, im Soldatenjargon „Port Winston“ genannt. „We shall fight on the beaches“, hatte Premierminister Churchill, mit US-Präsident Roosevelt der Architekt der alliierten Kriegsführung, am 4. Juni 1940 vor dem britischen Unterhaus erklärt, und nun, exakt vier Jahre später, wurde seine in dunkelster Stunde gemachte Ankündigung tatsächlich wahr.

Soldaten einer amerikanischen Landeeinheit helfen ihren Kameraden während der Landung der alliierten Truppen an Land. (Archivbild 06.06.1944)
Soldaten einer amerikanischen Landeeinheit helfen ihren Kameraden während der Landung der alliierten Truppen an Land. (Archivbild 06.06.1944)

© Louis Weintraub/Pool International News Photo/AP/dpa

Mitte August gab es eine veritable Kesselschlacht

Die Fotos vom Morgengrauen des 6. Juni sind ikonisch geworden. Soldaten mit Marschgepäck waten durchs mäßig bewegte Wasser, werfen sich auf den Sand, der keine Deckung bietet, während alliierte Flugzeuge Feuerschutz geben. Die Wehrmacht sitzt in den Bunkern des Atlantikwalls, von denen Unzählige heute noch bis weit ins Hinterland zu finden sind, einige sogar mit rostigen Überresten der Geschütze. Manche Anlagen wurden von See aus zerstört, andere verrichteten stunden- und tagelang ihr blutiges Werk und schossen ab, was immer sich im Vorfeld bewegte. Nach den Landemanövern und der Errichtung der Brückenköpfe begannen die Panzerbewegungen, die Hecken- und Häuserkämpfe, und Mitte August gab es eine veritable Kesselschlacht südöstlich von Caen. Es war das Inferno.

Noch vor den Landungstruppen waren ab ein Uhr morgens 15.000 Fallschirmspringer hinter Utah Beach, dem westlichen der beiden amerikanischen Abschnitte, abgesprungen. Sie sollten die deutsche Verteidigungslinie von hinten aufrollen. Mehr als die Hälfte der Springer wurde getötet, verletzt, kam im unwegsamen Gelände um; einer blieb an einem Kirchturm hängen, wovon bis heute eine Puppe am Turm von Sainte-Marie-l’Eglise zeugt. In der Nähe wurden zwei amerikanische Soldatenfriedhöfe für 6000 Tote angelegt. Sie wurden bei Kriegsende aufgegeben, da die Amerikaner ihre Toten auf Wunsch der Angehörigen in die Heimat transportierten. Knapp 10.000 Gefallene aus der gesamten Unteren Normandie jedoch wurden auf dem riesigen, von den USA makellos gepflegten Friedhof von Colleville zusammengeführt, der zugleich Gedenkstätte und Siegesdenkmal ist. Die britischen Gefallenen wurden grundsätzlich am Ort des Geschehens bestattet, was eine Vielzahl kleinerer Friedhöfe zur Folge hat.

Die zahlenmäßig größte Gruppe sind die der deutschen Toten: Rund 60.000 liegen verteilt auf fünf Friedhöfen, unter denen der von La Cambe mit 21.000 Toten der größte ist. Schreitet man die Reihen der steinernen Grabkreuze ab, springt das geringe Alter der Soldaten ins Auge – die meisten waren um die 20, als sie von der Wehrmachtsführung buchstäblich verheizt wurden. Es gab allerdings auch fanatisierte Einheiten, in der Regel Divisionen der Waffen-SS, die ohne Rücksicht auf strategische Erwägungen Widerstand bis zur letzten Patrone leisteten.

Und dennoch ist in den Museen und Gedenkstätten und ebenso in ihren Wandtexten und Broschüren kein Groll, schon gar kein Hass zu vernehmen. Die zerstörten Ortschaften wurden annähernd originalgetreu wiederaufgebaut. Caen mit seinen eindrucksvollen Klosterkirchen sieht in Teilen aus wie unberührt. Die Betonmonster der Wehrmacht, errichtet mit Zwangsarbeit von der „Organisation Todt“, liegen heute inmitten grüner Wiesen. Sie bieten einen Hauch von Abenteuerspielplatz, wie die „Batterie von Azeville“ mit ihrem unterirdischen Gangsystem – die Gemeinde will nun sogar das Kasino wiederaufbauen, in dem der als Menschenfreund geschilderte, hochdekorierte Kommandeur ebenso Theater spielen ließ wie der Prostitution Raum und Gelegenheit gab.

Das Museum in Caen war sehr bald ein Ort der Versöhnung

Das Museum in Caen, erläutert der stellvertretende Direktor Franck Moulin, sei „sehr bald ein Museum der Versöhnung geworden, was anfangs viel Widerstand hervorrief“. Eine „offizielle Versöhnungsfeier“ gab es vor dem Museum im Jahr 2004, als sich Staatspräsident Chirac und Bundeskanzler Schröder trafen. Da das Mémorial eben kein Kriegsmuseum sei, sondern den Frieden und dessen Gefährdung in den Mittelpunkt stelle, sei im Jahr 2002 ein Erweiterungsgebäude zum Thema des Kalten Krieges geschaffen worden. Franck Moulin erinnert daran, dass die Normandie 20.000 getötete Zivilisten zu beklagen hatte – ein Drittel aller französischen Zivilopfer im Zweiten Weltkrieg. Insgesamt zählten die alliierten Truppen 54.000 Tote und 18.000 Vermisste; auf deutscher Seite sind 78.000 Gefallene auf den Friedhöfen der Normandie beerdigt.

Unter den Ausstellungsstücken gibt es in Caen nur zwei schwere Waffen, einen amerikanischen Panzer und eine Stalin- Orgel. Andere Museen und Gedenkstätten an der Küste bedienen eher das Interesse der Besucher an Waffentechnik, so das Museum Utah Beach, das ein ganzes Landungsboot in seinem Gebäudekomplex vorzeigt – dazu in einer eigenen Nebenhalle einen amerikanischen Bomber vom Typ Martin B26, einen der häufigsten Flugzeugtypen der alliierten Luftstreitkräfte. Anders als in Caen setzt das Museum am Utah Beach auf die authentischen Objekte, die freilich gut aufgearbeitet sind und in quasi fabrikfrischem Zustand präsentiert werden. So wird es auch in anderen Museen entlang der Küste gehalten; insgesamt gibt es rund 30, meist auf private Initiative eingerichtete Museen und Ausstellungsstätten.

In vielen Museen kommt der Krieg als technisches Spektakel daher

So kommt der Krieg oft als technisches Spektakel daher. Eher sind es die verwüsteten deutschen Stellungen, deren meterdicke Betondecken unter den Einschlägen schwerer Artillerie barsten, die einen Eindruck von der Zerstörungskraft des Krieges geben. Zufällig bot sich uns beim kürzlichen Besuch das irritierende Schauspiel, dass eine große Gruppe belgischer Schüler unter den zackig gebrüllten Befehlen ihres Anführers im Gleichschritt an einer solchen Stellung vorbeimarschierte und das offenbar spaßig fand – Krieg als Pennälerscherz?

„Die jungen Leute haben vergessen, dass Frieden kein selbstverständlicher Zustand ist, sondern dass in Europa Frieden herrscht dank der EU“, hat Franck Moulin in Caen von seinen Erfahrungen mit den jährlich 120 000 Schülern berichtet – bei einer Gesamtbesucherzahl des Mémorial von mehr als einer halben Million Besuchern. Ebenso wenig selbstverständlich ist die deutsch-französische Aussöhnung nach 1945, nach einem Krieg, der in der Normandie im Spätsommer 1944 in fürchterlicher Weise gewütet hat. Der D-Day des 6. Juni war dazu der Auftakt. Mit ihm begann vor 75 Jahren die von der Sowjetunion geforderte „Zweiten Front“ und damit von Westen her die Befreiung Deutschlands vom Hitler-Regime.

Das ganze Jahr 2019 über gibt es eine Fülle von Veranstaltungen. Informationen: www.normandie-urlaub.com; www.normandy-dday.com; www.memorial-caen.fr – Die Recherche wurde unterstützt vom Comité Régional du Tourisme de Normandie.

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