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Kultur: Das große Schweigen

Sexualisierte Gewalt im Zweiten Weltkrieg

„Ist doch über 60 Jahre her – was soll’s?“ Diese Bemerkung bekamen die Initiatorinnen vom Autonomen Frauenzentrum Potsdam nicht nur einmal zu hören, als sie für die Veranstaltung „It’s time to speak – Sexualisierte Gewalt im 2. Weltkrieg“ warben. Am 8. Mai, dem Tag der Befreiung, sprach die Menschenrechtsaktivistin und Psychologin Monika Gerstendörfer, eine der „1000 Friedensfrauen“, die 2005 für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurden, über die Folgen der massenhaften Vergewaltigungen von Frauen im und nach dem Zweiten Weltkrieg.

Als „Krieg gegen Frauen“ und kaltes militärisches Kalkül bezeichnete sie dieses, bis heute verschwiegene Detail des Krieges. Nicht nur, dass genaue Zahlen fehlen – allein in Berlin geht man davon aus, dass ein Drittel der befreiten Frauen und Mädchen, etwa 300 000, von Mai bis Juni 1945 vergewaltigt wurden – sondern auch die verschleiernde Sprache trägt dazu bei, dass bis heute nicht angemessen darüber gesprochen wird. „Massenvergewaltigungen“, „Zwangsschwängerungen“, „Schändungen“ oder „versuchte Unzucht“ nennen nämlich weder die Täter beim Namen noch geben sie den Opfern ein Gesicht.

Hatte eine Frau solch eine äußerst gewalttätige Demütigung am eigenen Leib erfahren – meist geschah das unabhängig von ihrem Alter und oft mehrmals hintereinander oder durch mehrere Täter gleichzeitig – dann blieb ihr nichts anderes übrig, als darüber zu schweigen. Denn weder Ehemänner oder Familienangehörige trugen mit an dieser ungeheuren Last, sondern verstärkten diese eher noch durch Unverständnis, falsch verstandene Ehre oder schroffe Zurückweisung, noch gab es medizinische oder psychologische Hilfsangebote, die den verwundeten Körpern und Seelen Trost spenden konnten. Stattdessen sorgten die so „Gezeichneten“ dafür, dass ihre Kinder die Nachkriegszeit überlebten und danach Deutschland wieder auf die Beine kam.

Nicht wenige von ihnen konnten erst nach dem Tod ihrer Ehemänner beziehungsweise auf dem eigenen Sterbebett darüber sprechen, was ihnen damals wiederfahren war. Darüber berichteten vor allem ihre Töchter und Enkelinnen – meist anonym in Briefen, die sie nach dem 2008 gezeigten Film „Anonyma, eine Frau in Berlin“ an Monika Gerstendörfer schickten. „Für meine Mutter ist Sexualität untrennbar mit Gewalt verbunden“ und „Sie hat mich unter diesem Einfluss erzogen“, war da oft zu lesen. Monika Gerstendörfer berichtete auch davon, dass die jungen russischen Schauspieler bei den Proben für diesen Film nicht nur einmal in Tränen ausbrachen. Denn sie sind die Enkel und Urenkel der Frauen, die von deutschen Besatzern ebenfalls systematisch sexuell misshandelt wurden.

Frauen werden (seit der Antike) als Kriegswaffen benutzt, um den Gegner zu zermürben und die Völker langfristig gegeneinander aufzuhetzen, so eine weitere Aussage des engagierten und emotional sehr aufwühlenden Vortrages. Dem sich eine Diskussion über die schizophrene deutsche Täter-Opfer-Situation und die damaligen und heutigen Verdrängungsmechanismen anschloss. Am Ende empfahl Monika Gerstendörfer den überwiegend weiblichen Zuhörerinnen sich zu Hause unbedingt zu „erden“, denn es sei äußerst anstrengend und grenzüberschreitend, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-Tröger

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